Zum ersten wird Mexiko mit seinen 130 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern von einer Frau regiert. Die bald 62-jährige Claudia Sheinbaum von der sozialdemokratischen «Morena»-Partei hat die Präsidentschaftswahlen klar gewonnen. Ihre Gegenkandidaten, die rechtsgerichtet Xochitl Galvez, und Jorge Álvarez Máynez vom linksgerichteten «Movimiento Ciudadano», haben ihre Niederlage eingestanden. Rund 60 Millionen Bürgerinnen und Bürger waren am Sonntag an die Urnen gegangen, um ein neues Staatsoberhaupt zu wählen.
Der Sieg von Claudia Sheinbaum ist keine Überraschung. Seit Monaten lag sie in Meinungsumfragen klar in Führung. Laut dem provisorischen Endergebnis erzielte sie 57,6 Prozent der Stimmen.
Die neue Präsidentin studierte in Berkley und war Expertin bei der Uno für Klimafragen. Fünf Jahre lang war sie als Gouverneurin (Ober-Bürgermeisterin) der Mega-Metropole Mexiko-Stadt vorgestanden. Sie war Kandidatin einer Dreier-Koalition, die sich aus der «Morena»-Partei, der «Arbeiterpartei» (Partido del Trabajo) und der grünen «Ökologischen Partei» (Partido Verde Ecologista) zusammensetzt.
Ihre Gegenkandidatin war die Senatorin und Millionärin Xóchitl Gálvez Ruiz vom rechtsgerichteten Oppositionsbündnis «Frente Amplio por México». Sie ist eine Computeringenieurin und Unternehmerin. Gálvez Ruiz ist zwar charismatischer als Sheinbaum, politisch jedoch unerfahren. Sie trat für ein Bündnis an, das von der rechtskonservativen «Partei Acción Nacional» (PAN) angeführt wurde. Sie kommt laut dem provisorischen Endergebnis auf 29,5 Prozent der Stimmen.
Dritter Kandidat war Jorge Álvarez Máynez vom linksgerichteten «Movimiento Ciudadano». Er kam auf etwa 10,6 Prozent der Stimmen.
Fast 100 Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbehörde rechnet mit einer Wahlbeteiligung von rund 60 Prozent.
Die säkulare Jüdin Sheinbaum stammt aus einem intellektuellen Elternhaus. Sie wurde in Mexiko geboren. Die aschkenasischen Eltern ihres Vaters stammen ursprünglich aus Litauen. Die sephardischen Eltern der Mutter flüchteten vor dem Holocaust aus Bulgarien. Der Vater war Chemieingenieur, die Mutter Biologin und Professorin.
Erste Frau in der 200-jährigen Geschichte Mexikos
«Unsere Pflicht ist und bleibt es, uns um jeden einzelnen Mexikaner zu kümmern, ohne Unterschied», sagte Sheinbaum am Montag früh in ihrer Siegesrede. «Auch wenn viele Mexikaner nicht mit unserem Projekt einverstanden sind, müssen wir in Frieden und Harmonie zusammenarbeiten, um den Aufbau eines gerechten und wohlhabenden Mexikos fortzusetzen.»
Sie sprach auch über die historische Bedeutung ihrer Wahl zur ersten weiblichen Präsidentin des Landes.
«Ich bin auch dankbar, weil ich zum ersten Mal in der 200-jährigen Geschichte der Republik die erste Frau als Präsidentin Mexikos sein werde.»
Sheinbaum sagte, ihre beiden Konkurrenten im Rennen, Xóchitl Gálvez und Jorge Álvarez Máynez, hätten angerufen, um ihr zu ihrem voraussichtlichen Sieg zu gratulieren.
Sheinbaum wird ihr Amt als Präsidentin am 1. Oktober antreten.
In den Fussstapfen von «Amlo»
Sie wird Nachfolgerin des abtretenden linken Präsidenten Andrés Manuel López Obrador («AMLO»). Er, «der tropische Messias», wie er früher genannt wurde, ist nach wie vor beliebt, durfte aber nicht mehr kandidieren. Die mexikanische Verfassung sieht für Präsidenten nur eine einmalige sechsjährige Amtszeit vor. López Obrador ist Gründer der sozialdemokratischen «Morena»-Partei, die das über 70-jährige rechtsgerichtete und immer korrupter werdende mexikanische Parteiengefüge durcheinanderwirbelte. Morena steht für «Movimiento Regeneración Nacional»: Bewegung der nationalen Erneuerung. Claudia Sheinbaum ist eine enge Vertraute des zurücktretenden Präsidenten und will die Stossrichtung seiner Politik fortführen.
Siehe auch Journal 21, 23. Mai: Eine Chance für Mexiko
Journal 21, 1. Februar: Bahn frei für Claudia
«Fast unlösbare» Probleme
Sheinbbaum steht vor riesigen Herausforderungen, die manche Beobachter als «fast unlösbar» bezeichnen. Zwar erlebte das Land unter López Obrador einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung. Doch noch immer leben fast 47 Millionen der insgesamt fast 130 Millionen Mexikaner und Mexikanerinnen unter der Armutsgrenze.
Gewalt
Zudem gehört Mexiko zu den lateinamerikanischen Ländern mit der höchsten Mordrate. Die sechsjährige Amtszeit von Präsident López Obrador war die blutigste eines mexikanischen Präsidenten. Experten schätzen, dass in den letzten sechs Jahren über 170’000 Menschen ermordet wurden. Dazu kommen fast so viele «Desaparecidos» (Verschwundene), von denen vermutlich die meisten tot sind.
Selbst der Wahltag wurde von Gewalt nicht verschont. In der südostmexikanischen Stadt Coyomeapan kam es in einem Wahllokal zu einer Schiesserei. Das Lokal wurde deshalb für einige Stunden geschlossen.
Drogen
Vor allem die Drogenkriminalität hat sich tief in den Staat und die Gesellschaft eingefressen. Täglich kommt es oft auf offener Strasse zu Schiessereien zwischen den verschiedenen Drogenbanden. Viele Militärs und Polizeibeamte stecken mit den Drogenkartellen unter einer Decke. Politiker, die nicht mit den Drogendealern kooperieren, leben gefährlich. Viele Mexikaner und Mexikanerinnen trauen sich fast nicht mehr auf die Strasse.
Korruption
Ein weiteres Hauptproblem ist die endemische Korruption, die sich in alle Gesellschaftsschichten eingefressen hat. Als Bürgermeisterin (Gouverneurin) von Mexiko-Staat war es Sheinbaum gelungen, die Korruption einzudämmen. «Korruption ist kein kulturelles Problem, wie es früher hiess», sagt sie. «Korruption ist ein Problem, das im Laufe der Jahre in korrupten Regierungen entstanden ist, in denen es nur Straffreiheit gab.»
Claudia Sheinbaum weiss, dass ihre Regierungszeit an der Bekämpfung der Kriminalität gemessen werden wird. In ihrem Plan «Hundert Schritte für eine Transformation Mexikos» kündigte sie eine radikale Verstärkung der Nationalgarde und der Polizei an.
(Journal 21)