Das Zweite Deutsche Fernsehen hat jetzt versucht, den Stier bei den Hörnern zu packen. Im „Sommerinterview“ am frühen Sonntagabend interviewte der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Berlin, Theo Koll, den AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen. Es dürfte in Deutschland keinen Politiker geben, der nicht nach dieser Bühne lechzte. Denn allein der Auftritt an dieser Stelle ist eine Art Ritterschlag.
Oder auch nicht, wenn nämlich der Moderator diesen Ritterschlag verweigert und statt dessen seine Peitsche gegen den Interviewten schwingt. Schon am Anfang wurde klar, dass Theo Koll dazu der Standpunkt und die Entschlossenheit fehlen. Denn er versuchte lediglich, sich mit ein paar Fragen und Nachfragen aus der Affäre zu ziehen.
Biedermann ganz gross
Erstes Thema: In der vergangenen Woche hat es den Mord am Hauptbahnhof Frankfurt gegeben. Ein Eritreer hat eine Mutter mit ihrem Kind vor einen Zug gestossen. Das löste grosse Betroffenheit aus. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann gab wenige Minuten danach über Twitter ihre Deutung des Geschehens kund: „Ich verfluche den Tag, an dem Angela Merkel geboren wurde.“
Wiederholt fragte Theo Koll den AfD-Vorsitzenden Meuthen, wie er diesen Tweet bewerte. Jeder halbwegs normale Mensch würde sich davon angeekelt distanzieren. Nicht so Jörg Meuthen. Er tat diesen Tweet als emotionale Äusserung ab, sah auch auf Drängen von Theo Koll keinen Grund, sich dafür als Parteivorsitzender bei der Kanzlerin zu entschuldigen, und meinte nur, die Abgeordnete könne dies ja bei passender Gelegenheit im Bundestag tun.
Biedermann ganz gross. Professoral-schulmeisterlich redet er einen Skandal klein. War da was? Und der Journalist beharrt auf seinen vorbereiteten Fragen, um jede persönliche Stellungnahme zu vermeiden. Diese Feigheit macht ihn zum Wegbereiter politischer Verwahrlosung. Denn indem Meuthen die völlig indiskutable Äusserung eines Parteimitgliedes verniedlicht und der Journalist des immerhin öffentlich-rechtlichen Fernsehens nicht energisch widerspricht, wird dieser Skandal als mögliche Meinungsäusserung eingemeindet. Wenn jemand Merkel mehr als den Tod wünscht, ist das von jetzt an schon irgendwie in Ordnung.
Volksverhetzung
Ein weiteres Thema war die Kriminalität von Ausländern. Die politische Redaktion des ZDF-Hauptstadtstudios hatte auch an diesem Punkt gut vorgearbeitet. So konnte Theo Koll von seinen Spickzetteln ablesen, dass die AfD fast ausschliesslich die Ausländerkriminalität zum Thema macht und dabei die Kriminalität der Inländer nahezu ausblendet.
Für Meuthen ist das natürlich kein Problem, denn das Thema der AfD sind ja nun einmal die unerwünschten Ausländer und nicht die Inländer, wie er treuherzig sagte. Was soll man dagegen einwenden, wenn man als Journalist nicht Stellung beziehen will? Da gibt es ein paar dürre Worte zum Thema Kriminalstatistik. Ein Journalist mit Profil aber würde an dieser Stelle von Volksverhetzung sprechen. Denn das ist es, was die AfD mit ihren „Meldungen“ betreibt.
Das Sommerinterview des Zweiten Deutschen Fernsehen ist ein Lehrbeispiel dafür, wie der Umgang mit der AfD nicht geht. Richtig ist zwar, dass die AfD nicht totgeschwiegen werden kann. Das wäre Wasser auf ihre Mühlen. Denn dann kann sie noch ihre allerletzten Botschaften mit dem Hinweis aufmöbeln, dass man diese nicht über die Medien des „Mainstream“ bekommt.
Journalistischer Mut
Aber Journalisten, die mit Vertretern der AfD reden, müssen einen klaren eigenen Standpunkt beziehen. Dazu genügt es nicht, scheinbar neutral die Frageform zu wählen. Damit hat Theo Koll versucht, sich aus der Affäre zu ziehen. Das Ergebnis ist jämmerlich. Die AfD zwingt Journalisten vielmehr dazu, sich darüber Rechenschaft abzulegen, wofür sie stehen. Wenn sie gegen Rechtsradikalismus und Volksverhetzung sind, dann kommen sie bei aller Sachlichkeit der Fragen nicht darum herum, klar und markant Stellung zu beziehen. Wenn ein Herr Meuthen den harmlosen Biedermann gibt, dann müssen sie klar sagen, dass er in Wirklichkeit ein Brandstifter ist. Dazu müssen sie stehen. Das erfordert Mut.