Ich bin beeindruckt. Das meine ich ganz ehrlich. Es ist für mich beeindruckend, wie sich unsere Kollegialregierung kompetent, pragmatisch, behutsam verhält. Ich ziehe meinen Hut vor dem Krisenmanagement und der Krisenkommunikation des Bundes. In den letzten Wochen wurde richtig umgesetzt, was umgesetzt werden konnte und kann.
Der zweite Teil des letzten Satzes ist dabei entscheidend. In einer Krise nützt es nichts, nach optimalen Voraussetzungen zu schreien, wenn sie nicht vorhanden sind. Das Verfügbare muss richtig eingesetzt werden. Rückstände müssen nach Möglichkeit aufgeholt, Lücken geschlossen werden. In meinen Augen haben der Bundesrat und die zuständigen Behörden dies getan. Und tun es noch immer.
Gleichzeitig erleben wir gerade die Feuertaufe der Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Alle appellieren immer an die Eigenverantwortung. Bei uns gehört der Staat dem Bürger. Nicht umgekehrt. Das Volk ist der Souverän, lernen wir schon in der Schule. Nun können wir beweisen, ob und wie souverän wir sind. Ich bin zuversichtlich, dass wir es sind.
Die Politiker kriechen aus der Quarantäne
Die Wochen ziehen ins Land. Nun poppen in den Medien und hinter den Kulissen die Stimmen und Meinungen von Experten und Politikern auf, die darauf hinweisen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Ich habe ein mulmiges Gefühl, wenn ich an die bevorstehenden Sessionen im Parlament denke. Denn ich befürchte, dass nun Parteien und Politiker aus ihrer Quarantäne hervorkriechen, das nächste Mikrofon, die nächste Kamera suchen, sich in Stellung bringen, um sich dann mit Entrüstung darüber auszulassen, was so nicht hätte sein dürfen, wo der Bundesrat zu weit, zu wenig weit gegangen ist, wo die Bundesbehörden versagt haben, warum jetzt die Kantone wieder die Führung übernehmen müssen.
Noch ist es nicht so weit und wenn, dann erst vereinzelt. Daher möchte ich allen zurufen: Bitte nicht!
Wir mögen’s gerne bequem
Fakt ist doch, dass alle versagt haben, sofern es denn ein Versagen geben muss. Die Stimmbürger haben in den letzten Jahren regelmässig die falschen Politiker gewählt, die Kantone haben nie verstanden, dass wir uns den Kantönligeist nicht mehr leisten können, die Gesundheitsdirektoren haben versagt, die Spitaldirektionen ebenso wie die Organisatoren und Verantwortlichen aller Pandemieübungen. Was nützen Szenarien, Empfehlungen nach Übungen, wenn sie in der Folge nicht zeitnah und überprüfbar umgesetzt werden?
Ist das so? Nein. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir mögen’s gerne bequem. Das ist auch unser gutes Recht. Das ist an sich nicht schlecht. Solange es nicht brennt, ruft niemand die Feuerwehr. Wenn wir etwas lernen wollen in dieser einzigartigen Zeit, dann sollten wir Schuldzuweisungen unterbinden.
Wir sollten allen Politikerinnen und Politkern zurufen: Bitte nicht! Fangt jetzt nicht wieder an mit eurem ewig gleichen Pseudotheater. Niemand von euch hat im Vorfeld dafür gesorgt, dass wir besser vorbereitet in diese Krise hineingerasselt wären. Niemand. Also schaut nach vorn und setzt die wertvolle und knappe Zeit dafür ein, dass wir künftig besser vorbereitet sind. Schweizweit. Mit Rücksicht auf regional spezifische Strukturen. Und helft mit, unsere Wirtschaft und unser Gesellschaftsleben wieder auf die Beine zu bringen. Partei- und Kantonsgrenzen überschreitend, kooperativ und konstruktiv. Kreativ.
Die Chance, souverän zu reagieren
Wir haben jetzt die vielleicht in der Art noch nie dagewesene Chance, souverän zu reagieren und nach vorne zu schauen. Ich hoffe deshalb, dass auch die Medien sich nun weiterhin ihrer Verantwortung bewusst sind und diese auch leben. Denn es erfordert von einem Journalisten natürlich fast schon übermenschliche Disziplin, Experten und Politiker nicht in fetten Lettern zu zitieren, wenn sie über all das herziehen, was man hätte anders und besser tun müssen, wovor sie schon vor Jahren gewarnt haben. Ich würde all jenen nur eine Frage stellen: «Warum haben Sie nicht mit aller Konsequenz und ohne Rücksicht auf Ihre eigene Bequemlichkeit dafür gesorgt, dass das verbessert oder umgesetzt wird?»
Der Bundesrat, oft belächelt und kritisiert, hat in den letzten Wochen gezeigt, was im Rahmen des Verfügbaren möglich ist. Nicht perfekt, aber aus meiner Sicht sehr gut. Und er tut es weiter. Wenn es uns gelingt, auch nur schon einen Teil dieses Spirits in die Zukunft mitzunehmen, dann könnte dies wirklich der Beginn einer ganz neuen Art von Föderalismus sein. Eine souveräne Art.
Bin ich naiv? Bitte nicht.