Das Volk wünscht sich eine starke Persönlichkeit, kooperativ und mit internationaler Erfahrung. Ein fröhliches Gemüt oder bäuerliche Wurzeln als Qualifikation allein genügen diesmal nicht.
Siehe auch: Der Bundesrat – unsere Regierung?
Im Vorfeld der Eidgenössischen Abstimmung zur Neubesetzung des Parlamentes (National- und Ständerat) vom 22. Oktober und 19. November 2023 wurde bereits orakelt, wer Nachfolger des zurücktretenden Alain Berset im Bundesrat werden könnte. Nach den beiden Wahlterminen verdichteten sich die Spekulationen. Alles drehte sich dabei um die Parteizugehörigkeit, als wäre dies die einzige Qualifikation für das Amt eines Bundesrates.
Aufbruch aus der Vergangenheit
Buchstäblich seit Jahren steckt unser Land in einer lähmenden politischen Pattsituation zwischen konservativem, bäuerlich-geprägtem und progressivem, wirtschaftsliberalem Denken. Man könnte auch sagen: zwischen vergangenheitsverklärtem Blick der Ewiggestrigen zurück und den andern, jenen mit nach vorn gerichtetem Fokus, den nüchtern agierenden, strategisch planenden «Zukunftsbewegern».
Mindestens drei der sieben jetzigen Bundesräte haben bäuerliche Wurzeln. Was der Schweiz jetzt im obersten Gremium guttäte, wäre eine Persönlichkeit mit praktischer Erfahrung im Ausland und in internationaler Zusammenarbeit – mit offenem Blick für die sich am Horizont abzeichnenden Erfordernisse, um den strategisch richtigen, wirtschaftsoffenen und wohlstandssichernden Platz der Schweiz in Europa zu festigen. Wir wollen nicht Gefahr laufen, von verharrenden, rückwärtsblickenden Exponenten aus landwirtschaftsnahen Kreisen in die Zukunft geführt zu werden. Schon eher von jenen der aufbruchs- und zukunftsgeprägten Sektoren IT, KI, innovativem Handel, Produktion und Wissenschaften.
Hohe Zeit des parteipolitischen Taktierens und Ränkeschmiedens
Sofern die althergebrachte Tradition der Nichtabwahl eines amtierenden Bundesrates auch diesmal hält, stünden sechs Personen aus der SP bereit, Alain Berset zu beerben. Am Abend des 13. Dezember werden wir wissen, wer siegreich aus dem unberechenbaren Taktieren und Ränkeschmieden hervorgegangen ist, denn – wie immer – wird eine kandidierende Person auf Stimmen aus den Lagern anderer Parteien angewiesen sein.
Wer sich noch nicht klar ist, für wen er sich entscheiden würde (auch wenn die Wahl ja das Privileg der Vereinigten Bundesversammlung ist), hier eine kleine Übersicht zur Auswahl, begonnen mit dem altersmässig Jüngsten:
- Jon Pult (39), lic. phil. Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Philosophie, Nationalrat, jüngster Kandidat (Verjüngung des Bundesrates?);
- Evi Allemann, (45), lic. iur., kandidiert nach 2022 zum zweiten Mal;
- Roger Nordmann (50), lic. phil. Politik- und Wirtschaftswissenschaften, gilt als kompetent und kompromissbereit, aber aus der Westschweiz stammend, die damit deutlich übervertreten wäre;
- Matthias Aebischer (56), Journalist, kommt aus dem Kanton Bern wie Bundesrat Albert Rösti;
- Daniel Jositsch (58), Rechtsanwalt, eben wiedergewählter Ständerat des Kantons Zürich;
- Beat Jans (59), ausgebildeter Bauer, aber Gegner der Landwirtschaftslobby.
Der 2. Sitz der FDP im Bundesrat
Nach dem Wahldebakel gerät der 2. Sitz der FDP im Bundesrat ins Wanken. FDP-Präsident Thierry Burkart ist wahrlich nicht zu beneiden, denn für das enttäuschende Abschneiden seiner Partei sind vor allem Leute vor seiner Zeit verantwortlich. Wenn in den letzten Jahrzehnten vieles in schweizerischen Vorzeigeunternehmen (Swissair, CS etc.) schiefgegangen ist – immer waren bekannte FDP-Grössen an vorderster Front mit dabei und damit mitverantwortlich.
Gemäss einer Nachbefragung von 20 Minuten und Tamedia hat die FDP diesmal 10 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler an die Mitte und sogar 15 Prozent an die SVP verloren. Vordergründig eine klare Tendenz. Doch das zeitweise Zusammenspannen der FDP mit der SVP sollte nicht als Allerheilmittel für die Zukunft gelten. Die beiden Parteien passen nun mal nicht zusammen, zu verschieden sind ihre Grundausrichtungen. Diese dürfen nicht – wie es die FDP meinte – aus kurzfristigem Wahlopportunismus geopfert werden.
Entscheiden die Lobbys …
Es ist zumindest anzunehmen, dass der Einfluss der Lobbyisten mitentscheidend sein wird. Als aktuelles Beispiel spreche ich von Beat Jans, der von der einflussreichsten Lobby des Landes, der Landwirtschaftslobby, vehement bekämpft wird. Warum? «Kaum ein anderer Politiker kennt sich in Sachen Landwirtschaft und Ökologie so gut aus wie Jans», schreibt die Sonntags-Zeitung. Was also spricht gegen ihn? Er versteht zu viel von der Landwirtschaft. Zu viel über Missstände in der Tierhaltung, Düngemittel-Missbrauch und Ackerbau.
Bei dieser Gelegenheit: Analysten im Bundeshaus sind klar der Meinung, dass Elisabeth Baume-Schneider die Wahl in den Bundesrat im Dezember 2022 nur dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Bauernlobby geschafft hat. Sie (mit ihren Schwarznasenschafen) galt in diesen Kreisen als harmlos. Heute wirkt Baume-Schneider überfordert. So etwa schreibt die NZZ: «Zehn Monate nach ihrer Wahl scheint sie noch nicht richtig in ihrem Amt angekommen.»
… oder die SP-Bundeshausfraktion?
Neben Lobbying und Bundeshausfraktion gibt es leider noch eine andere Möglichkeit, denn es «hat sich über die Jahrzehnte ein abgekartetes Spiel entwickelt – man könnte es als eine Art von Kartell bezeichnen», kritisiert der Historiker Urs Altermatt in der NZZ. Wenn die SP-Bundeshausfraktion am 25. November 2023 einen ihr nicht passenden Kandidaten aus den eigenen Reihen (denkbar wäre z. B. Daniel Jositsch) nicht nominieren würde, müsste man sich fragen, so Urs Altermatt, wie weit das im Sinne von Artikel 168 der Bundesverfassung wäre, steht doch dort: «Die Bundesversammlung wählt die Mitglieder des Bundesrates».
Wie wir wissen, hat die SP-Fraktion am 25. November 2023 Beat Jans und Jon Pult auf ihr Bundesratsticket gesetzt. Die gegenwärtig von ehemaligen Juso-Kadern dominierte SP-Parteileitung mit Cédric Wermuth und Mattea Meyer hat es also geschafft, ihren Willen durchzusetzen und aus dem Rennen zu nehmen, wer ihr in den eigenen Reihen nicht genehm ist. Am 13. Dezember 2023 wird die Bundeshausfraktion also wählen, doch man sagt ihr diskret, wen sie zu wählen hat.
Hat also die Bundeshausfraktion der SP dem Parlament die Kontrolle über die Bundesratswahl entrissen? Nein, denn politische Ränkespiele hin oder her, das Parlament bleib juristisch frei, in den Bundesrat zu wählen, wen es will.
Zur Erinnerung: Exakt vor 40 Jahren wählte das Parlament anstelle der von der SP nominierten Bundesratskandidatin Lilian Uchtenhagen den Solothurner Otto Stich – «die SP schäumt», dazu kam es «nach klandestinen Absprachen in der Nacht vor der Wahl, die seither als ‹Nacht der langen Messer› bezeichnet wird» (NZZ).