Auf den Aufruf von Bundesrat Beat Jans für eine Einigung mit der EU folgte eine publizistische Debatte. Nach Alt-Bundesrat Ueli Maurer meldeten sich nochmals zwei prononcierte EU-Kritiker zu Wort. Zu deren Votum nimmt Josef Aregger in einem Gastkommentar Stellung.
Am 23. Juli 2024 hat Bundesrat Beat Jans in der NZZ einen Gastkommentar veröffentlich, in dem er sich sehr engagiert für den Abschluss der Verhandlungen mit der EU aussprach. Dieser offenbar mit Bundesrat Cassis abgesprochene Beitrag hat zu einer hämischen Reaktion von Marcel Erni, einem der Gründer der Partners Group, und dem Geschäftsführer von Kompass Europa, Philip Erzinger, geführt (Tages-Anzeiger, 29. Juli 2024).
Aber nicht Bundesrat Jans, sondern die sieben Bundesräte haben mit dem definitiven Verhandlungsmandat vom 8. März 2024 nach intensiven Sondierungsgesprächen zwischen der Schweiz und der EU den Weg zu neuen Verhandlungen freigegeben. Diese Verhandlungen bis Ende Jahr zu Ende zu führen und die Fortführung des erfolgreichen bilateralen Wegs sicherzustellen, ist das Ziel.
Dass aus der sattsam bekannten Ecke von Kompass Europa nun gegen Bundesrat Jans geschossen wird, ist wenig erstaunlich. Man will die Verhandlungen wohl als linkes Projekt darstellen. Ärgerlich ist, wenn dem Leser suggeriert wird, dass es sich um eine Neuauflage des abgelehnten Institutionellen Rahmenabkommens von 2021 handle, obwohl die institutionellen Aspekte neu in den einzelnen Abkommen verankert werden und der Bogen mit neuen Abkommen viel weiter gespannt wird. Erni und Erzinger wollen partout nicht akzeptieren, dass der Bundesrat die Weiterführung des bilateralen Wegs mit neuen Abkommen und Kooperationsmöglichkeiten, mit der Teilnahme an der Entscheidungsfindung (decision shaping) und einer in den einzelnen Abkommen geregelten Streitbeilegung beschlossen hat.
Dass der Europäische Gerichtshof (EUGH) für die Auslegung des Binnenmarktrechts zuständig ist, sollte einleuchten. Über die Angemessenheit allfälliger Ausgleichsmassnahmen entscheidet das Schiedsgericht. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der dynamischen, aber nicht automatischen Rechtsübernahme. Die Schweiz will weiterhin den vollen Zugang zum Binnenmarkt von 452 Millionen Einwohnern und bringt dabei ihr volles Gewicht ein. Der Grössenunterschied zur Schweiz spiegelt sich darin, dass wir die EU-Binnenmarktregeln übernehmen. Auf EU-Seite wiederum besteht das Interesse an geregelten Beziehungen zur Schweiz, was erlaubt, für die Interessen der Schweiz adäquate Lösungen zu finden.
Erni und Erzinger machen geltend, heute müsse man sich auf Asien konzentrieren. Aber das Wachstum des wirtschaftlichen Austauschs mit Asien ändert nichts daran, dass die EU unser wichtigster Partner ist und bleibt. Sie schreiben, der Handelsbilanzüberschuss der EU zeige, dass die EU von der Schweiz mehr profitiere als die Schweiz von der EU, erwähnen aber nicht, dass dieses Defizit grösstenteils durch den Überschuss bei den Dienstleistungen ausgeglichen wird, wobei der Tourismus nicht einmal berücksichtigt wird.
Für den Leser des Meinungsbeitrags im Tages-Anzeiger irreführend sind die Aussagen über die angeblich kränkelnde und verbürokratisierte EU. Diese EU hat den europäischen Staaten Frieden, wirtschaftliches Wachstum und Wohlergehen gebracht. Die Mechanismen der Einigung auf gemeinsame Regeln unter 27 Staaten verhindern, dass die EU zu einem zentralistischen Gebilde wird. Über die Bürokratie beklagen wir uns auch in der Schweiz. Und Europas Einigungsprozess geht mit jeder neuen Herausforderung voran. Trotz Meinungsverschiedenheiten und dem aus der Reihe tanzenden ungarischen Ministerpräsidenten hat der Überfall Russlands auf die Ukraine die EU-Staaten insgesamt zusammenrücken lassen.
Josef Aregger ist ehemaliger Schweizer Botschafter.