Weder in Israel noch in Saudi-Arabien oder gar in Iran will es Joe Biden bis anhin so recht gelingen, die amerikanische Politik von den Altlasten, welche die Vorgängerregierung Trump in der Region zurückgelassen hat, zu befreien.
Anfang Mai – nur kurz nach den gewaltsamen Zusammenstössen zwischen palästinensisch-muslimischen Demonstranten und israelischen Sicherheitsorganen auf dem Ostjerusalemer Tempelberg – zeichnete sich eine neue Eskalation ab: Aus Washington war zu hören, US-Präsident Joe Biden wolle bei seinem geplanten Besuch in Jerusalem auch «privat» den (1967 von Israel eroberten und 13 Jahre später völkerrechtswidrig annektierten) Ostteil der Stadt besuchen. Und dabei ohne offizielle israelische Begleitung auch den Tempelberg, auf dem zu biblischen Zeiten der jüdische Tempel stand – das grösste Heiligtum der Juden – und im 8. Jahrhundert n. Chr. mit der Al Aqsa Moschee und dem Felsendom das drittwichtigste Heiligtum des Islam entstanden war.
Querelen um einen geplanten «Spaziergang»
Israel reagierte empfindlich: Nationalistische Kreise warfen Biden vor, er werde damit neue Auseinandersetzungen über diese Heiligen Stätten verursachen. Offizielle Kreise in Politik und Polizei liessen wissen, angesichts der gespannten Lage in Ostjerusalem sei solch ein «Spaziergang auf den Tempelberg» ohne offiziellen Schutz für den Staatsgast undenkbar und deswegen unmöglich.
In Washington wurden durch solche Argumente zumindest vorübergehend politische Kreise mobilisiert, die dem demokratischen Präsidenten unterstellten, er wolle «Jerusalem wieder teilen», denn Biden beabsichtige doch, das US-Konsulat im arabischen Ostteil der Stadt wieder zu eröffnen, das jahrzehntelang der dortigen palästinensischen Bevölkerung als US-Vertretung gedient hatte. Dies beruhte auf dem international nie umgesetzten Teilungsbeschluss von 1947 für Palästina, nach dem Jerusalem eine «internationale Stadt» werden sollte. Stattdessen war Jerusalem bis zum Sechstagekrieg 1967 geteilt, wobei einige wenige Staaten (unter ihnen die USA) Konsulate auf beiden Seiten der Demarkationslinie unterhielten, die USA im arabischen Osten unweit des Damaskustors und im jüdischen Westen am Unabhängigkeitspark. Dabei blieb es, bis Bidens Vorgänger Trump 2018 offiziell Israels Annexion von Ostjerusalem (1980) anerkannte, das bisherige Konsulat West zur US-Botschaft erklärte und das Konsulat Ost schloss. Solch einseitigen wie eigenwilligen Massnahmen schien Joe Biden seit seiner Wahl ablehnend gegenüberzustehen.
Trumps fatale Nähe zu Bibi Netanjahu wirkt nach
Ebenfalls als schwierig erweist sich die Haltung Washingtons gegenüber der israelischen Siedlungspolitik in dem während des Sechstagekrieges eroberten Westjordanland: Das Verhältnis zwischen Trump und dem damaligen israelischen Premier Benjamin Netanjahu war derart eng gestrickt, dass so mancher Trump nachsagte, er gehorche Netanjahu aufs Wort. So stellte Trump ihm unter anderem frei, 40 Prozent des Westjordanlandes zu annektieren.
Und wenn es Trump auch gelang, zwischen Israel und einigen arabischen Staaten die sogenannten Abraham-Friedensverträge zustande zu bringen, so wird bei näherer Betrachtung doch klar, dass es hierbei nicht um eigentliche Friedensverträge ging, sondern oft um Geschäfte, die bislang bereits hinter verschlossenen Türen betrieben wurden, zum Beispiel zwischen «sicherheitsrelevanten» Firmen in Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Von diesen profitierte vielleicht nicht direkt Trump, möglicherweise aber sein Schwiegersohn, Jared Kushner. Er ist nicht nur Architekt der erwähnten Friedensverträge, sondern inzwischen auch Chef eines multilateralen arabisch-israelischen Firmenverbandes.
MBS – ein Name, der Alarm bei Biden auslöst
Offiziell ist daran der wichtigste arabische Staat der Region nicht beteiligt: Saudi-Arabien, das erste Ziel eines Staatsbesuchs Trumps nach seiner Amtseinführung. Trump machte weltweit Schlagzeilen mit Fotos von Degentänzen. Vor allem aber konnte er dort gleich mit umfangreichen Waffenverkäufen auftrumpfen. Dies zu einer Zeit, als Saudi-Arabien mit dem Iran am Rande eines offenen Krieges stand und die Verbindung Teherans zu den Huthis im Jemen mit ein Vorwand war für das von den Saudis organisierte internationale Eingreifen im Jemen. Diese multinationale Dimension macht diesen Krieg zu einem der folgenschwersten für die jemenitische Bevölkerung. An dieser Tatsache dürfte selbst der inzwischen verlängerte Waffenstillstand nicht viel ändern.
Oberbefehlshaber auf der Seite der Saudis ist Kronprinz Mohamed Bin Salman. Ein Name, der bei Trump-Nachfolger Biden die Alarmglocken auslöst. Und nicht nur dort: Die CIA ist überzeugt, dass MBS – wie er allgemein genannt wird – für die Ermordung des saudischen Regimekritikers Jamal Khashoggi im Oktober 2018 verantwortlich ist. Der Journalist, der im US-Exil für die «Washington Post» arbeitete, wurde ins saudische Konsulat in Istanbul gelockt, dort von angeblichen Diplomaten getötet sowie seine Leiche zerstückelt und «entsorgt».
Kein verlässlicher Verbündeter mehr
Schon unmittelbar nach dem Mord und auch während des Präsidentschafts-Wahlkampfes hatte Biden gefordert, die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Offenbar war und ist die bei MBS liegende Hauptverantwortung nun aber einer der Hauptgründe dafür, dass Biden es – ganz im Gegensatz zu Vorgänger Trump – nicht eilig hatte, Saudi-Arabien zu besuchen. Zumal der 86-jährige König Salman aus gesundheitlichen Gründen wohl kaum als Gesprächspartner in Frage käme. Sondern eben MBS. Immerhin hat Biden jetzt aber wissen lassen, dass er in einigen Wochen – wahrscheinlich Anfang Juli – Israel und auch Saudi-Arabien besuchen werde.
Gewiss kein leichtes Problem für Biden. Zumal die Haltung der Saudis in letzter Zeit einige Fragen offenlässt: Riad ist ganz offensichtlich kein verlässlicher Verbündeter Washingtons mehr. So sprechen führende saudische Politiker heute von der Bedeutung ihrer Beziehungen zu Peking. Und was die Ukraine betrifft, so lassen sie sich nicht ins Anti-Putin-Lager abwerben. Früher wäre es vermutlich ein Leichtes gewesen, Riad zur Steigerung seiner Erdölproduktion zu überreden, um die wirtschaftlichen Engpässe zu überbrücken, heute erscheint dies eher fraglich.
Drohendes Scheitern der Atomverhandlungen mit Iran
Und dann noch die Frage des Iran: Es war Biden, der schon im Wahlkampf davon gesprochen hatte, dass er versuchen werde, zum Atomabkommen mit Teheran zurückzukehren. Dieser wohl wichtigste Plan, einen verhängnisvollen Trump-Beschluss rückgängig zu machen, ist jedoch immer weniger realisierbar. Auch Teheran hatte vorgeschlagen, die Sanktionen gegen eine Rückkehr zum Abkommen von 2015 einzutauschen, dann aber kamen die Wahlen und erwartungsgemäss wurden diese von Ebrahim Raisi gewonnen, einem bekannten Hardliner, der aus jeder Verzögerung Pluspunkte für seine Liste von Bedingungen gewinnt.
Raisi scheint es auch nicht zu kümmern, dass ein Scheitern der Wiener Verhandlungen auch ein Scheitern der Regierung Biden bedeuten könnte. Denn die politischen Umstände zwingen diesen zu einer Konzession nach der anderen. Je länger dies andauert, desto mehr dürfte sich in Florida ein Golfspieler darauf freuen, bald wieder in der Politik in vorderster Front mitzuspielen. Was das bedeutet, haben die letzten Jahre gezeigt. Und da spielt es kaum eine Rolle, wenn Israel warnt, es werde sich nicht an ein neu ausgehandeltes Atomabkommen halten.