Die «Fünf-plus-Eins-Verhandlungen» zur Verhinderung einer atomaren Bewaffnung Irans haben nach neunmonatiger Dauer nichts erreicht – ausser, dass sie weiter andauern. Was ja bereits etwas Positives ist.
Der Iran erwarte, dass Frankreich bei den Wiener Verhandlungen zwischen dem Iran und den Unterzeichnerstaaten des 2015 geschlossenen Atomabkommens eine konstruktive Rolle übernimmt und aufhört, den Lauf der Verhandlungen wie bisher wiederholt zu stören. Der iranische Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian, der dies auf einer Pressekonferenz mit seinem irakischen Amtskollegen erklärte, gab damit den bisherigen Verhandlungen eine neue Deutung.
Der Aussenminister tat dies nicht allein, um den Vorwurf abzuwehren, der Iran versuche die Verhandlungen möglichst lange zu verschleppen, um von der gewonnenen Zeit zu profitieren. Wie die iranische Tageszeitung Hamshahri («Mitbürger») in ihrer Online-Ausgabe schreibt, nimmt der Minister sogar die USA bis zu einem gewissen Grad in Schutz: Zwischen dem Iran und den USA (die in Wien präsent sind, aber nicht am Verhandlungstisch sitzen), habe es bisher einen «informellen Austausch schriftlicher Botschaften» gegeben.
Chancen auf Fortsetzung der Verhandlungen
Trotz immer neuer entmutigender Hinweise auf schwindende Erfolgsaussichten während der zurückliegenden neun Monate scheint die Hoffnung auf eine Einigung damit doch nicht völlig zerstört zu sein. Vielmehr scheint es, dass die «Fünf-plus-Eins-Verhandlungen» (Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, China sowie die USA) mit dem Iran den Jahreswechsel überleben werden.
Besonders die Rolle Frankreichs wird jetzt von Teheran «trotz der tiefen Differenzen zwischen dem zionistischen Regime und den Vereinigten Staaten» kritisch in den Vordergrund gerückt: Paris unterstütze den negativen Kurs Israels. Ein Vorwurf, der mehr oder wenig stellvertretend für die Westeuropäer erhoben wird, weil diese sich zwar zum Atomabkommen bekannt hatten, nach dem US-Rückzug aus dem Abkommen 2018 aber nichts zu dessen Wiederherstellung und Rettung getan hatten.
Wenn Teheran gleichzeitig von Differenzen zwischen Israel und den USA spricht, dann dürfte dies ein Zeichen dafür sein, dass der Iran – selbst unter der Präsidentschaft von Hardliner Ebrahim Raissi – nach Wegen sucht, sich langsam aus der selbstgeschaffenen Falle zu befreien, mit dem «grossen Satan» USA nicht zu verhandeln oder Verträge zu schliessen.
Informationswege an Zensur vorbei
Beim Umgang mit dem «kleinen Satan» (Israel) scheint man von solchen Gedanken unverändert weit entfernt. Aber immerhin: Man setzt sich in den iranischen Medien durchaus auch mit Erklärungen, Kommentaren und Meinungen in der israelischen Öffentlichkeit auseinander. Hauptsache, das Zitierte wird mit seiner Quelle angegeben und nicht als Meinung des (iranischen) Autors verstanden. Eine Technik, die in Israel längst gang und gäbe ist: Fakten, die dort längst bekannt sind, können durchaus von der Militärzensur «aus Sicherheitsüberlegungen» zurückgehalten werden. es sei denn, der Inhalt der Meldung wird «ausländischen Quellen» zugeschrieben.
Auf diese Weise ist Israel mit seiner eigenen atomaren Bewaffnung umgegangen: Jahrelang wurde die Atomforschung in einer angeblichen Textilfabrik bei Dimona im Süden des Landes erst weitgehend totgeschwiegen, danach als «zivilen Zwecken dienend» bezeichnet. Was die Atombombe betreffe, so werde «Israel nicht das erste Land sein, das solch eine Waffe in der Region einführe». Jahre später gab der damalige Ministerpräsident Olmert in einem Interview zu, dass Israel Atommacht sei, inzwischen aber wird die Anzahl von rund 200 israelischen Atombomben nur mit dem Hinweis genannt «wie in ausländischen Quellen behauptet wird».
Iranische Medien zitieren aus diesen Gründen in letzter Zeit immer häufiger auch israelische Presseberichte – immerhin ja auch «ausländische Quellen». So war es ein gefundenes Fressen, dass israelische Zeitungen die Erklärungen von Militär- und Sicherheitsexperten veröffentlichten, in denen diese sich kritisch mit den Aussagen rechter Politiker und Militärs auseinandersetzten, Israel könne auch im Alleingang die iranischen Atomanlagen zerstören. Hatten diese Autoren argumentiert, die iranischen Anlagen seien zu weit über das Land verstreut und unterirdisch gegen Angriffe geschützt, wurde das Zitat verkürzt wiedergegeben: Israel könne das nicht.
Umgekehrt versucht der Iran, Israel mit Warnungen vor einem Angriff abzuschrecken, indem man demonstrativ Raketentests veranstaltet, um zu zeigen, dass der Iran auch ohne Atombombe in der Lage wäre, Israel im Ernstfall anzugreifen. Und es dauert jeweils nur einige Tage, bis hinzugefügt wird, es könnten ja auch hochmoderne Drohnen eingesetzt werden, über die der Iran verfüge und die zu mehreren auf LKWs transportiert und von diesen abgefeuert werden könnten. Etwa von syrischem oder irakischem Territorium.
Als Kronzeugen für solche und ähnliche Behauptungen werden Autoren israelischer Medien herangezogen, die doch längst konstatiert hätten, dass Israel im Ernstfall nicht nur aus dem Iran, aus dem Irak oder Syrien bedroht sei, sondern selbst aus dem Jemen (von syrisch unterstützten Huthies). Ganz abgesehen von der palästinensischen Hamas aus Gaza oder der ebenfalls islamistischen Hisbollah aus dem Libanon. Was letztere betrifft, so wird sogar darauf hingewiesen, dass diese über Zehntausende von Raketen verfüge. Dass diese im Iran hergestellt oder doch zumindest von diesem geliefert wurden, dürfte dem iranischen Leser bekannt sein, ohne dass gross darauf hingewiesen wird.
Die Frage bleibt, inwieweit solche martialischen Darstellungen und verkappten Drohungen wirklich ernst zu nehmen sind. Dasselbe gilt auch für die Diskussion in Israel über einen möglichen Alleingang gegen den Iran. Vielleicht sind all diese Themen ja nur deswegen so breit und unkonventionell behandelt – im Iran wie auch in Israel – weil man letztlich der eigenen Bevölkerung etwas von der Angst nehmen will, die solche Diskussionen natürlich auslösen. Die jüngsten Äusserungen des iranischen Aussenministers zum Thema Wiener Verhandlungen könnten ein ähnliches Motiv haben. Und zusätzlich sind sie vielleicht ein erster Schritt zu einer Annäherung zwischen Teheran und Washington. Vielen Iranern wäre das durchaus willkommen.