In Frankreich ist am letzten Wochenende in Lyon inoffiziell der Präsidentschaftswahlkampf eingeläutet worden. Gleich drei Kandidaten hatten sich dort ein Stelldichein gegeben und Grosskundgebungen abgehalten – der Linksaussen Jean-Luc Melenchon, der Mitte-links Kandidat Emmanuel Macron und die rechtsextreme Marine Le Pen. Nur einer fehlte zwei Tage lang in Frankreichs Öffentlichkeit: François Fillon, der Mann, von dem es Ende November 2016 bereits geheissen hatte, er sei der zukünftige Staatspräsident Frankreichs.
Merkwürdiger Wahlkampf
10 Wochen später ist er nur noch ein verhärmter, innerlich kochender oder – wie er selbst formulierte – von kalter Wut ergriffener Kandidat der Konservativen, der hilflos, ja fast verzweifelt nach Wegen sucht, sich aus dem Schlamassel herauszuwinden, in das ihn die Veröffentlichungen über die mehr als wahrscheinlichen jahrelangen aus der Staatskasse vergüteten Scheinbeschäftigungen seiner Frau gestürzt haben.
Seit zwei Wochen spricht niemand mehr über Fillons Wahlprogramm, das nach seiner Kür zum Präsidentschaftskandidaten für reichlich Aufregung gesorgt hatte. Fast niemand spricht mehr über die Inhalte, dafür haben es fast alle nur noch mit der Affäre, dem so genannten „Penelope Gate“.
Presseschelte
Also hat Fillon – beziehungsweise sein Kommunikationsapparat – beschlossen, es sei jetzt endlich Zeit für den Gegenangriff. Aussitzen allein reicht nicht. Madame Anne Méaux, die angebliche Beste unter Frankreichs Kommunikationsstrategen – sie war zum Beispiel für einen gewissen Dominique Strauss-Kahn tätig, als ihm einst in New York Böses widerfahren war – hat Fillon zur Pressekonferenz geraten. Weit über einhundert Journalisten waren gekommen, darunter 50 Vertreter der internationalen Presse. Das ungläubig staunende Ausland wollte denjenigen aus nächster Nähe sehen, der in ihren Heimatländern schon längst kein Kandidat mehr wäre.
Und was tat François Fillon? Er legte die Hand aufs Herz, beteuerte seine Unschuld und dass er sich in 35 Jahren seiner politischen Karriere niemals etwas habe zu Schulden kommen lassen. Zugleich übte er heftige Presseschelte und stimmte ein grosses Wehklagen darüber an, dass er von einer Meute gelyncht und verleumdet werde – den Wölfen zum Frass vorgeworfen.
Staatsstreich?
So als wäre alles, was die Presse in den letzten 14 Tagen getan und ans Licht gebracht hat, nichts anderes als pure Bösartigkeit. Noch ist Fillon in seiner Medienschelte nicht so weit gegangen wie Donald Trump in den letzten Wochen. Und doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der konservative Präsidentschaftskandidat bei seinen Erklärungsversuchen suggerieren möchte, all die Enthüllungen des Canard Enchainé, aber auch von Le Monde und dem Internetportal Mediapart in den letzten zwei Wochen seien nichts anderes als „Fake News“.
Ja, mehr noch: eine von dunklen Mächten und obskuren Interessensgruppen – so genannten „officines“ – gesteuerte Kampagne gegen sein Programm. Fast klingt es, als wolle Fillon den Eindruck erwecken, da hätten Geheimdienstkreise und Mächte ausserhalb Frankreichs die Finger im Spiel – deswegen wohl auch das unsägliche Wort vom „Versuch eines institutionellen Staatsstreichs“. Soll das jetzt heissen, dass sich Fillon schon für Ludwig XIV. hält – „L'Etat, c'est moi“ – dabei ist Fillon zur Zeit gar nichts ausser Präsidentschaftskandidat. Und wenn der stürzt, stürzt der Staat damit noch lange nicht.
Le Pen sagt danke
Sollte François Fillon jedoch meinen, die Enthüllungen über die Scheinbeschäftigungen seiner Frau könnten in der momentanen Situation mittelfristig gefährlich sein für den Staat beziehungsweise die Demokratie, muss man ihm Recht geben. Der generelle Missmut und die schier grenzenlose Skepsis der Bevölkerung gegenüber Politikern wurden durch seine Affäre nur noch weiter gefördert. Sie treiben, zudem verstärkt durch Fillons Verhalten in den letzten zwei Wochen, erneut zehn- wenn nicht hunderttausende Wähler in die Arme von Marine Le Pen.
Zahlreiche Reportagen aus der Provinz und das einfache Hinhören an den Tresen der Bistrots in diesen Tagen lassen keinen anderen Schluss zu. Dass Marine Le Pen ihrerseits eine Affäre um fiktive Parlamentsassistenten im Europaparlament am Hals halt, spielt keine Rolle – in dem Fall ist es schliesslich das böse Europa, das der Gallionsfigur der extremen Rechten Ärger macht – und Marine Le Pen spielt die Opferrolle perfekt.
Entschuldigung
„Mit François Fillon rücken wir die Familie wieder ins Zentrum unseres Gesellschaftsprojektes“ – dieser Satz steht irgendwo im Programm des Präsidentschaftskandidaten. Heute kann der Kandidat mit dieser Phrase nur noch Hohn ernten. Denn in der Fillonaffäre stand die Familie tatsächlich im Zentrum – Sohn, Tochter, Frau und Vater haben allesamt verdient und sich bedient.
Doch Fillon gab sich bei seiner Gegenoffensive während der Pressekonferenz weiterhin stur, ja trotzig: Alles war legal und transparent, diktierte er in die Notizblöcke der Reporter, ich hab mir nichts vorzuwerfen und ich habe nichts zu verbergen. Kaum hatte er das gesagt, sagte er aber auch, er bedauere, seine Familie beschäftigt zu haben und entschuldige sich bei den Franzosen, die diese an sich legale Möglichkeit heute nicht mehr akzeptierten. Was nun eigentlich? Wenn doch alles in Ordnung war, warum sich dann entschuldigen?
Scheinarbeit oder nicht?
François Fillon kann sich abstrampeln, so sehr er will: Die Untersuchungsbehörden haben nach zwei Wochen immer noch keine handfesten Belege dafür gefunden, dass seine Gattin in den insgesamt 15 bezahlten Jahren als Parlamentsassistentin tatsächlich etwas gearbeitet hat.
Seine Frau habe sich um den Briefverkehr, seinen Terminkalender oder um seine Reden vor Ort im Wahlkreis gekümmert und um vieles andere mehr, so Fillon auf der Pressekonferenz. Penelope sei nun mal diskret und habe nie das Scheinwerferlicht gesucht, beteuerte der Noch-Präsidentschaftskandidat.
Anscheinend war seine Gattin so diskret, dass sie jede Spur ihrer Arbeit für immer verwischt hat. Gleichzeitig war sie anscheinend regelrecht arbeitswütig, besonders auf ihre alten Tage: Von Juni 2012 bis November 2013 hatte sie doch glatt zwei Vollzeitjobs – einerseits als Parlamentsassistentin ihres Mannes für ca. 7‘000 Euro im Monat und andererseits als literarische Beraterin bei der „Revue des Deux Mondes“, in der einst Balzac oder Baudelaire geschrieben hatten – für monatlich 5‘000 Euro. Aber weder hier im Parlament oder im Wahlkreis, noch dort in den Redaktionsräumen der Revue, haben die Ermittler Hinweise darauf gefunden, dass Madame Fillon für dieses Geld auch tatsächlich etwas getan hat – Dossiers, handschriftliche Notizen, Terminkalender und ähnliches – Fehlanzeige.
Illegale Justiz
Und an dieser Erfolglosigkeit der Ermittler bei der Suche nach konkreten Spuren einer konkreten Arbeit von Madame Fillon dürfte sich in den nächsten Wochen auch kaum etwas ändern. Da mag der konservative Präsidentschaftskandidat noch so oft beteuern, diese ganze Affäre sei nichts anderes als ein Komplott gegen ihn.
Bislang hatte Fillon immer wieder unterstrichen, dass er der Justiz seines Landes, die die Voruntersuchungen aufgenommen hat, ganz und gar vertraue und hoffe, dass sie möglichst schnell arbeite. Nach knapp zwei Wochen haben er und seine Anwälte ihre Strategie radikal geändert, bezeichnen die gerichtlichen Untersuchungen plötzlich schlicht als illegal, kündigen eine Klage an und streiten in der Affäre Fillon die Zuständigkeit der neu geschaffenen Finanz- und Antikorruptionsstaatsanwaltschaft ganz entschieden ab.
Arbeitsgefährtin
Besonders peinlich bei Fillons Presseauftritt und dem damit verbundenen Rechtfertigungsversuch: Gleich mehrere heikle Fragen hat er elegant umschifft beziehungsweise erst gar nicht angesprochen und bei anderen kritischen Punkten nicht vollständig, aber doch mindestens zur Hälfte gelogen – und dies schon zum wiederholten Mal.
Nur ein Beispiel: Das Interview, das Penelope Fillon im Sommer 2007 der britischen Zeitung „Sunday Telegraph“ gegeben hatte und in dem sie sagte, sie sei nie die Assistentin ihres Mannes gewesen. François Fillon übte sich bei der Erklärung für diese Äusserung seiner Frau in Wortklauberei. Natürlich sei sie nicht seine Assistentin gewesen, denn zwischen ihnen habe es nie ein hierarchisches Verhältnis gegeben. Penelope, so Fillon, war meine Arbeitsgefährtin, „compagne de travail“.
Aktive Parlamentsassistenten, die jetzt sogar vor der Pariser Nationalversammlung öffentlich demonstrierten, weil sie durch diese Affäre das Image ihres Berufs zu Unrecht ramponiert sehen, empörten sich dieser Tage über die neue Wortschöpfung „Arbeitsgefährtin“ – ein Parlamentsassistent sei nun mal ein Parlamentsassistent und damit basta.
Weiter so
François Fillon betonte bei seiner Gegenoffensive, jetzt beginne ein zweiter, ein neuer Wahlkampf. Vier Millionen Flugblätter hat er drucken lassen, in denen er „seine Version“ der Affäre darstellt, wie es heisst. Sein Problem: Es finden sich unter seinen Anhängern nur noch schwer freiwillige Helfer, die diese Flugbläter auch verteilen wollen.
Einen offenen Brief an die Franzosen hat Fillon geschrieben und in der Tageszeitung „Ouest France“ veröffentlicht. Ein wirkliches Echo hat dieser Rechtfertigungsbrief bislang nicht gefunden.
Und ganz normal wollte Fillon den Wahlkampf wieder aufnehmen und über sein Projekt und sein Wahlprogramm sprechen. Doch das wird ganz offensichtlich schwierig. Bei seinen Auftritten finden sich jetzt mit schöner Regelmässigkeit einer oder mehrere, die ihn als Gauner oder Betrüger beschimpfen, pfeifen oder die Kochtöpfe herausholen und darauf trommeln. Geht er in eine Fabrik, zeigen ihm alle Arbeiter mit ihrem Monatssalär von knapp über 1000 Euro die kalte Schulter, tun so, als würden sie ihn ignorieren und geben ihm überdeutlich zu verstehen, dass er in einer völlig anderen Welt lebt und sie ihm in keiner Weise vertrauen.
Und wie Fillon jetzt Wahlkampf machen will mit einem Reformprogramm, in dem er der Bevölkerung grosse Opfer abverlangt und das Engerschnallen des Gürtels propagiert, bleibt ein Rätsel.
Keine Alternative
Der Hauptgrund dafür, dass der ehemalige Premierminister trotz allem weitermacht: Die Führungsetage der konservativen Partei, „Die Republikaner“, hat schlicht und einfach keinen Ersatz zu bieten. Alain Juppé hat zu Beginn der Woche definitiv abgesagt und jede andere Kandidatur würde unmittelbar wieder zu internen Grabenkämpfen führen und wäre eine noch schlechtere Lösung.
Also macht man weiter mit dem angeschlagenen Kandidaten, dem trotz allem eine konservative Stammwählerschaft treu bleiben wird, was sich am Ende auf 18 bis 20 Prozent im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen belaufen könnte. Ob das für den Einzug in die Stichwahl reicht, ist allerdings mehr als fraglich.
Andere Zeiten
Jacques Chirac hatte es 2002 mit knapp über 20 Prozent in den entscheidenden 2. Wahldurchgang geschafft und am Ende dann mit 82 Prozent gegen Vater Le Pen gewonnen. Doch das waren noch andere Zeiten. Innerhalb von 15 Jahren hat sich die berühmte „Republikanische Front“ gegen die extreme Rechte aus der politischen Landschaft Frankreichs verabschiedet.
Als Jean Marie Le Pen an dem berühmten 21. April 2002 mit 16,9 Prozent in die Stichwahl zwei Wochen später kam, gingen am 1. Mai in Paris rund eine Million Menschen auf die Strasse, um gegen den Vormarsch der extremen Rechten ein Zeichen zu setzen.
15 Jahre später hat sich jeder damit abgefunden, dass Marine Le Pen in die Stichwahl kommen wird, und kaum jemand wird mehr dagegen demonstrieren gehen. Die Frage ist nur noch: Bekommt die Chefin der Nationalen Front 25, 28 oder gar über 30 Prozent? Das ist die Realität im Frankreich des Jahres 2017.