Auch Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben die Nase voll von unappetitlichen Vergütungssystemen einer kleinen Parallelwelt, deren Top-Vertreter sich noch immer unbelehrbar geben.
Die Parallelwelt der Grossbanken und einiger Konzerne, jene abgehobene Welt der masslosen Boni, ist im April 2017 ins Wanken geraten. Endlich ist auch einem Teil der betroffenen Aktionäre der Kragen geplatzt. Noch ist von wirklicher Einsicht der Verantwortlichen nichts zu spüren.
Der Schuss vor den Bug
In der Rückblende auf jene Wochen vor der Generalversammlung (GV) 2017 der Credit Suisse (CS) kommt einem das Spiel der dreisten Gambler on Top (VR und CEO) besonders abstrus vor. Hatten diese doch eben noch den Routineplan für ihre Eigentümer (Aktionäre) ausgeheckt, sich ungeachtet der angehäuften Milliardenverluste die „branchenüblichen“ Vergütungen absegnen zu lassen, ging das diesmal bös in die Hosen.
Es war doch so: In den vergangenen Jahren hatten jeweils erboste Kleinaktionäre aus dem Saal den Aufstand an der GV geprobt. Von oben herab, vom Tisch des Verantwortlichen aus, waren sie geduldig angehört und Verständnis simulierend beruhigt worden. Denn dort oben am Tisch herrschte Gewissheit, dass auch tausend Kleinaktionäre „nichts“ zu bedeuten hatten angesichts des sicheren Abnickens der Anträge der Geschäftsleitung durch die ausländischen Grossaktionärsgruppen.
Doch plötzlich kam alles anders. Aus unterschiedlichsten Gründen hatten sich Stimmrechtsberater (z. B. ISS, Glass Lewis und Ethos) erdreistet, den Aktionären die Ablehnung des Jahresberichts 2016 (insbesondere dessen Vergütungsbericht) zu empfehlen.
Das durchschaute Wendemanöver
Offensichtlich überrascht durch diesen Gewitteraufzug reagierten CEO und VR-Präsident der CS sofort und leiteten ein abruptes Wendemanöver ein. Flugs wurde die Traktandenliste angepasst. „Freiwillig“ meldeten die beiden Herren den Verzicht von 40 Prozent ihrer hartverdienten Boni. Doch der erwartete Applaus für diesen Kurswechsel blieb weitgehend aus. Zu durchsichtig war das Manöver. Niemand wollte dem „freiwillig“ so recht Glauben schenken. Und wohl nicht zuletzt wusste man unten im Saal, dass auch nach diesem reumütigen Verzicht die Betroffenen nicht wirklich zu leiden hatten. Die verbleibenden Millionen sollten eigentlich genügen.
Die verbleibenden Millionen
Für das VR-Gremium wurden 500‘000 Franken gestrichen, somit blieben ihm statt 12,5 noch 12,0 Millionen Franken. Die Reduktion der kurzfristigen Boni bei der Geschäftsleitung, „Belohnung“ für das erzielte Resultat des vergangenen Jahres, belief sich auf 8,9 Millionen, d. h. statt der beabsichtigten 26 Mio. Franken werden nur noch 17,1 Mio. ausbezahlt. Zur Erinnerung: das Resultat des vergangenen Jahres war nicht etwa ein Gewinn, sondern ein Verlust von 2,6 Milliarden Franken, nachdem dieser noch ein Jahr vorher „nur“ 2,4 Milliarden betragen hatte. CEO Tidjane Thiam erhielt, nach seinem Bonusverzicht, eine Gesamtvergütung von 10,2 Millionen Franken statt der ursprünglichen 11,9 Millionen (NZZ). Soviel zum freiwilligen Verzicht und der Belohnung für eingefahrene Riesenverluste.
Der nächste Denkzettel
Auch wenn schliesslich die Aktionäre nach fünf Stunden Ausharrens und Kritisierens den Vergütungsbericht der CS-Führung durchgewinkt haben – eine Sternstunde dürfte diese Veranstaltung im Hallenstadion Zürich für die Herren oben am Tisch nicht gewesen sein. Alle, die es wissen wollen, haben realisiert, dass die Gehälter und Boni der CS-Führungsspitze von den Eigentümern des eigenen Betriebs (von dem sie als Angestellte funktionieren), als unangemessen, unappetitlich und unverfroren taxiert werden.
Die weitgehend unsensible Antwort auf begründete Kritik an diesem eigentlichen Parallelsystem (auch Schattensystem genannt) kennen wir seit Jahren, ja seit Jahrzehnten. „Unsere Gehälter bewegen sich im Rahmen dessen, was im Ausland für vergleichbare Arbeit bezahlt wird. Würden wir da nicht mitmachen, könnten wir keine geeigneten Talente rekrutieren und bei der Stange halten.“ Damit meinen diese Herren tatsächlich, sie wären aus dem Schneider. Geneigte Leserinnen und Leser fragen sich jetzt: Was ist von „vergleichbarer Arbeit“ zu halten, bei jährlichen Milliardenverlusten? Und welche „geeigneten Talente“ qualifizieren sich eigentlich für diese Show?
Bussen statt Steuern bezahlen
Nicht vergessen bei diesen unschönen Diskussionen ist der Umstand, dass die Grossbanken seit 2007 Unsummen an Bussen – vor allem an die Behörden der USA – zu bezahlen hatten. Ein Teil davon ging auch an geprellte Hauskäufer. Der TA weiss zu berichten, dass seither 321 Milliarden Dollar an Bussgeldern geflossen sind, 63 Prozent davon geleistet von nordamerikanischen Bankinstituten, also 202 Mia. Das Wort Ramschhypotheken ist auch zehn Jahre später noch omnipräsent. Die restlichen 119 Mia. steuern Banken aus aller Welt – d. h. auch aus der Schweiz – bei. Hier bleibt auch der Begriff Steuerstreit in Erinnerung.
Gerade eben hat im Mai 2017 die UBS eine weitere „Zahlung“ in den USA eingestanden: 445 Millionen Dollar kostete sie die Beilegung des Immobilienrechtsstreits. Die CS meldete gleichentags en passant, dass sie 400 Millionen Dollar für die Beilegung eines Rechtsstreits um faule Hypothekenpapiere bezahlt hat.
Wenn also die UBS (sieben Jahre lang) keine Gewinnsteuern und die CS nur solche in „homöopathischen“ Dosen bezahlten, wird auch aus dieser Perspektive ersichtlich, wie schädlich das Verhalten der Top-Kader dieser Parallelwelt ist für ein funktionierendes Demokratiesystem, wie es die Schweiz kennt.
Abgehobene Boni-Kultur beider Grossbanken
Bei aller Kritik an der CS, bei der UBS ist die Boni-Kultur nicht viel besser. In unserer Marktwirtschaft ist es natürlich eine privatrechtliche Angelegenheit, wie diese Beträge ausgehandelt und festgelegt werden. Doch – wie ich schon vor acht Jahren erstmals geschrieben habe – sind die Langzeitfolgen dieser absurden Vergütungssysteme in der Gesellschaft verheerend.
Leistung und Lohn klaffen bei Topkadern auseinander
Die öffentliche Dimension wird dort sichtbar, wo sich die Steuern zahlenden Bürgerinnen und Bürger nicht nur zu wehren beginnen, sondern sie wird offensichtlich im allgemeinen Trend hin zum Wutbürger, der sich – verständlicherweise – betrogen vorkommt. Es geht hier weder um Neid noch um Emotionen. Doch immer mehr Menschen kritisieren die Auswüchse eines marktwirtschaftlichen Systems, welches ursprünglich ein solides Fundament der Schweizer Wirtschaft ausgemacht hat.
Die Banken sind nicht allein
Diverse andere Firmen fallen ebenso negativ auf – auch wenn das dort nicht die ganze Branche betrifft. Die Generalversammlungen der letzten Monate haben gezeigt, dass sich Widerstand der Aktionäre formt, der irgendwann das Fass zum Überlaufen bringen könnte. Gemeint sind Firmen wie GAM, Georg Fischer, Sika. Bei weiteren Unternehmen ist der Nein-Stimmenanteil zum Vergütungsbericht wachsend, liegt aber noch unter der 50-Prozentmarke: ABB, Novartis, Kardex, OC Oerlikon, Implenia sind gemeint (NZZ am Sonntag).
Mahnende Worte
Auffallend ist an dieser Stelle die Einmischung dreier renommierter Wissenschaftler. Da der Ökonom Ernst Fehr der Universität Zürich, der mit klaren Worten für einfache, transparente Vergütungssysteme plädiert, die Mehr- oder Minderwert der betroffenen Unternehmen honorieren oder eben abstrafen. Also ziemlich das Gegenteil dessen, was momentan abläuft.
Dort Bruno S. Frey und Margit Osterloh von der Uni Basel, die noch einen Schritt weitergehen und sich und uns fragen, ob nicht das „System“, das solche Exzesse überhaupt zulässt, geändert werden müsste. Sie plädieren für neue Rahmenbedingungen, die auf demokratischem Wege von aussen eingeführt werden sollten. Exemplarisch zeigt dieser Vorschlag, warum immer mehr staatliche Regulierungen auf uns zukommen – bekämpft und beklagt von eben jenen Kreisen, die selbst dafür verantwortlich sind.
Noch einer, der sich im Bankenwesen bestens auskennt, hat sich schon im März 2017 in der ZEIT zu Wort gemeldet. Philipp Hildebrand, auch er für radikal geänderte Geschäftsmodelle der Banken plädierend, stört sich daran, dass Europas Banken „auch zehn Jahre nach der Krise immer noch ein Problem sind. Das macht mich persönlich traurig“. Nicht nur ihn.
Ob diese Botschaften angekommen sind, werden wir in einem Jahr wissen. Wenn nicht, käme es wohl – wie in anderen Ländern – zu den oben erwähnten regulatorischen Eingriffen. Wie immer bei solchen Reaktionen dürfte der Aufschrei dannzumal bei den Wirtschaftsparteien FDP und SVP am lautesten sein. Und wie immer, müssten sich die Betroffenen selbst an der Nase nehmen. „Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht.“
Fazit: Die gewaltige Aufruhr in dieser Parallelwelt signalisiert den Anfang eines doppelten Umdenkens. Hier die Aktionäre, die Wissenschaft, die Bürgerinnen und Bürger, die Verwaltungen und – nicht zu vergessen – die vielen schweizerischen Unternehmen, die ihre Aufgabe mit Bravour lösen ohne zu tricksen. Sie haben die Nase voll von einer Branche der Abzocker. Dort die in diesem Beitrag scharf kritisierten Top-Kader, die in ihrer eigenartigen Überheblichkeit und vermeintlichen Unverletzlichkeit noch immer nicht kapieren wollen, wohin die Reise geht. In Richtung Abschaffung dieser Parallelwelt.