Portugal empfängt mehr Touristen als je zuvor, und immer mehr betuchte Ausländer lassen sich im Land nieder. All das trägt zum Boom der Preise für Immobilienpreise bei. Unter Normalverdienern stösst die Regierung mit einem neuen Lockruf an «digitale Nomaden» mit Verdiensten, von denen Einheimische nur träumen können, auf wenig Verständnis.
In diversen Branchen ist die Arbeitskraft knapp, und da sollen Ausländer einspringen. Zugleich empfiehlt sich Portugal als neue Heimat für Leute, die das gute Klima, die aus ihrer Sicht günstigen Lebenshaltungskosten und nicht zuletzt die Sicherheit schätzen. Mit einigen punktuellen Änderungen am Ausländerrecht kommt das Land diesen Bedürfnissen entgegen. Wer einwandern will, muss ab Ende Oktober nicht mehr den Arbeitsvertrag in der Tasche haben. Stattdessen gibt es neu die Möglichkeit, ein 120-Tage-Visum für die Arbeitssuche zu beantragen. Erleichterungen schafft die Gesetzesänderung auch für Bürger aus dem Raum der CPLP, also der Gemeinschaft portugiesischsprachiger Staaten (ihre Mitglieder sind Portugal, Brasilien, sechs Länder in Afrika und Osttimor). Ausserdem umwirbt das Land gezielt kaufkräftige «digitale Nomaden», was angesichts der angespannten Lage am Wohnungsmarkt auch für Unbehagen sorgt.
«Fake news» in der Verfassung?
«Alle haben für sich und ihre Familien das Recht auf eine Wohnung von angemessener Grösse, die ein Leben mit Hygiene und Komfort bei Wahrung der persönlichen Intimsphäre und des Privatlebens der Familie gewährleistet.» Schön wär’s, der Satz klingt utopisch. Er steht aber weder im Forderungskatalog irgendeiner Gruppe von Hausbesetzern noch im Programm einer linken Partei, sondern in Artikel 65 der portugiesischen Verfassung, die aus dem Jahr 1976 stammt. Es wäre ehrlicher, das Recht auf Wohnung aus der Verfassung zu streichen, denn dies sei «fake news», bemerkte im Facebook gerade die aus Porto stammende Verlagsangestellte und Buchautorin Cláudia Araújo Teixeira.
Sie hat einen 2021 veröffentlichten Roman «Uma vida assim-assim» (frei übersetzt «Ein Leben comme si, comme ça») just in einem Getto in Porto angesiedelt. In dem Buch versucht eine junge Frau, dem Milieu der Ausgrenzung zu entkommen. Zum Anlass für ihren ironischen Vostoss gegen die «fake news» in der Verfassung nimmt die Autorin den Lockruf der Regierung an die digitalen Nomaden mit einer Kaufkraft, von denen die überwältigende Mehrheit der Portugiesen nur träumen kann. Sie fragt nach den Auswirkungen am Wohnungsmarkt.
Vier Mindestlöhne als Minimum
Die Regierung denkt an Personen, die freiberuflich oder im Rahmen von Arbeitsverträgen für ausländische Unternehmen tätig sind und ihre Arbeit etwa auch vom Strand oder vom «home office» aus erledigen können. Für den Erhalt der Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr soll es für Nicht-EU-Bürger aber nicht reichen, am Flughafen das Handgepäck mit dem Laptop vorzuzeigen. Sie müssen unter anderem auch nachweisen, dass ihr Monatseinkommen in den letzten drei Monaten mindestens viermal so hoch war wie der gesetzliche Mindestlohn von jetzt 705 Euro, also 2’820 Euro pro Monat (der Mindestlohn soll 2023 auf 760 Euro steigen).
Es mag sein, dass die digitalen Nomaden, die zusätzlich zu Touristen und betuchten ausländischen Residenten ins Land strömen, auf dem überhitzten Wohnungsmarkt keinen grossen Unterschied mehr machen. Von einer besonderen sozialen Sensibilität zeugt dieses neue Angebot aber nicht.
Der Markt unter Hochspannung
Eine Wohnung in Lissabon oder Porto zu mieten, ist für Einheimische mit normalen Verdiensten längst zur Illusion geworden. Nirgendwo sonst in der EU leben so viele junge Leute über 30 noch (oder wieder) bei ihren Eltern wie in Portugal. Zuletzt hat sich speziell auch das Angebot an Wohnraum für Studierende derart verknappt, dass in der Hauptstadt die monatliche Miete für eine Abstellkammer, wie Medien berichten, über 300 Euro betragen kann.
Am Markt hat sich in den letzten Jahren viel getan. Eine Liberalisierung der einst sehr mieterfreundlichen Gesetzgebung im Krisenjahr 2012 hat Räumungen erleichtert und erlaubt beispielsweise den Abschluss von Verträgen mit Laufzeiten von nur einem Jahr. Eine positive Folge dieser Änderung ist, dass die dringend nötige Sanierung von Altbauten rentabel geworden ist. In den renovierten Wohnungen logieren sehr oft allerdings nicht mehr Einheimische mit ihren Familien, sondern Touristen und andere Ausländer mit Kaufkraft.
Zum Anstieg der Kaufpreise haben unter anderem auch die «goldenen Visa» beitragen. Mit diesen Visa bedankt sich Portugal bei Nicht-EU-Ausländern dafür, dass sie Geld ins Land bringen, unter anderem durch Käufe von Immobilien im Wert von mindestens 500'000 Euro (in manchen Situationen genügen 350'000 Euro). In den ersten zehn Jahren seit der Schaffung dieses Programms wurden 11'180 solcher Visa vergeben, davon fast 5‘200 an Chinesen, viele auch an Personen aus Brasilien, der Türkei, aus Südafrika und aus den USA. Mit diesen Visa belohnt der Staat auch Kapitaltransfers, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung von Wissenschaft und Kunst. Mit Abstand beliebteste «Eingangstür» sind aber Immobilienkäufe, für die 10’322 Begünstigte bisher insgesamt ansehnliche 5,9 Milliarden Euro ins Land brachten.
Vor dem Hintergrund der Wohnungsnot und auch so mancher dubiosen Transaktionen haben linke Parteien bisher vergeblich die Abschaffung dieses Programms gefordert. Immerhin vergibt der Staat für Käufe von Immobilien in Lissabon, Porto und in manchen anderen Ballungsräumen grundsätzlich keine goldenen Visa mehr.
Steuererleichterungen auch ohne Immobilienkauf
Schon seit 2009 gibt es Steuererleichterungen für «non regular residents», so die amtliche Übersetzung des portugiesischen Begriffs «residentes não habituais». Und diese können auch Zuwanderer aus anderen EU-Ländern in Anspruch nehmen, insbesondere solche, die in ihren Herkunftsländern keine oder weniger Einkommenssteuer bezahlen wollen.
Dieses Angebot richtet sich an zwei Gruppen von Personen, die sich mindestens 183 Tage pro Jahr in Portugal aufhalten. Erstens gilt es für Leute mit qualifizierten Berufen, etwa im Bereich der Medizin, der Informatik, der Wissenschaft und der Künste, die zehn Jahre lang einen pauschalen Einkommenssteuersatz von 20 Prozent zahlen. Zweitens richtet sich der Lockruf an Pensionäre, deren Altersbezüge in Portugal anfangs ebenfalls zehn Jahre lang steuerfrei waren. Weil dies in Ländern wie Finnland und Schweden für Verdruss sorgte, müssen neue Aspiranten immerhin 10 Prozent an Steuer abführen. Niemand muss Immobilien kaufen, aber die Steuerersparnis erleichtert den Kauf von Eigenheimen, die voll den Anforderungen von Artikel 65 der Verfassung entsprechen. Es gab immerhin aber auch schon Begünstigte, die sich öffentlich zu Wort meldeten, weil sie sich übervorteilt fühlten und sich vergeblich darum bemüht hatten, freiwillig einen kleinen Prozentsatz ihrer Einkommen als Steuer an den Staat abführen zu dürfen.
Die Luft wird für Einheimische noch dünner
Unabhängig vom Andrang der Ausländer dürfte sich der Erwerb von Wohneigentum für Einheimische mit Normalverdiensten jetzt noch weiter erschweren. Erstens steigen die Zinsen, so dass auch die Monatsraten für alte Hypothekarverträge in die Höhe gehen, denn die Zinssätze sind variabel (sie sind üblicherweise an Euribor-Sätze gekoppelt, und diese gehen nach einer langen Zeit «im Keller» nach oben). Zweitens sinken dadurch die Höchstbeträge, die die Banken ihren Kunden zu leihen bereit sind. Sollten nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage die Marktpreise nicht sinken? Nicht nur wegen der digitalen Nomaden könnte die nach wie vor kräftige Auslandsnachfrage diesem Trend entgegenwirken.