Freie Marktwirtschaft bedeutet, dass auch Staatsschuldpapiere frei gehandelt werden können. Wenn ein Gläubiger 100 bezahlt hat und dafür ein Versprechen in der Hand hält, dass er in der Zukunft 100 plus vereinbarte Zinsen zurückkriegt, dann ist es nicht in Stein gemeisselt, dass dieses Staatpapier einen Wert von 100 hat. Das steht zwar als Nennwert drauf, daneben gibt es aber auch den Marktwert.
Einmaleins des Handels
Jedes Stück bedrucktes Papier, ein Goldklumpen, ein Haus, eine Zahnbürste hat gleichzeitig drei Werte. Einen Nennwert, einen Marktwert und einen Gebrauchswert. Nennwert bedeutet, dass man es gegen etwas eintauschen kann, das nach Übereinkunft dem zugewiesenen Nennwert entspricht. Marktwert heisst, dass es im Zweifelsfall nur so viel wert ist, wie man dafür kriegt. Und Gebrauchswert heisst, dass man in einem Haus wohnen und sich mit einer Bürste die Zähne putzen kann.
Bei einem bedruckten Papier, vulgo Geldschein oder Anleihe oder Aktie, und bei einem Klumpen Gold ist der Gebrauchswert Null. Man kann es weder essen, noch darin wohnen noch sich damit die Zähne putzen. Erst durch seine Umwandlung in Nahrungsmittel, ein Dach über dem Kopf oder eine Zahnbürste bekommt es Gebrauchswert.
Wieso kauft man sich dann etwas, das keinen Gebrauchswert hat? Ganz einfach, um so nicht gebrauchtes Vermögen aufzubewahren und um im besten Fall für seine Verleihung eine Risikoprämie, vulgo Zins, zu erhalten. Selbst ohne Zins ist die Idee der Aufbewahrung, dass sie werterhaltend sei, man also bei der Rückwandlung in etwas Brauchbares den gleichen Gegenwert erhält, den man am Anfang der Aufbewahrung bekommen hätte – und den man selber reingesteckt hat. Durch eigener Hände Arbeit oder in Form eines Bankerbonus.
Zurück zu Argentinien
Das Land hat, bis es 2002 Bankrott erklärte, rund 100 Milliarden Dollar an Krediten bekommen. Meistens nicht in der menschenfreundlichen Absicht, dass sich die Argentinier damit einen schönen Tag machen, sondern damit sie diese Darlehen sinnvoll einsetzen und mit der dadurch ermöglichten Wertschöpfung die Kredite samt Zinsen wie versprochen zurückzahlen.
Die Höhe der Zinsen, netto bis zu 12 Prozent, wies dabei darauf hin, dass wir uns im Gebiet «no risk, no fun» bewegen. Auf der anderen Seite war der Gläubiger nicht ein Gaucho mit Rinderherde, sondern der argentinische Staat. Also gingen viele Geldgeber davon aus, dass der doch nicht pleite gehen könne und man nur, mit Zinseszins, rund 6 Jahre durchhalten musste, dann wäre zumindest das investierte Geld wieder zurück, und anschliessend sprudelt der Extraprofit.
Überraschend für einige erklärte Argentinien dann aber zum siebten Mal in seiner stolzen Geschichte Staatsbankrott. Ursächlich, weil es die Kredite eben nicht wertschöpfend verwendet hatte, sondern verröstet. Wie es sich in solchen Fällen gehört, begann das Fingerhakeln, Umschuldungsverhandlungen genannt. 2005 und 2010 einigte sich das Land in zähem Gefeilsche mit den meisten Gläubigern darauf, dass die Hälfte des geliehenen Geldes zurückbekommen immer noch besser sei als gar nichts. Aber nicht alle Gläubiger waren damit einverstanden.
Die freie Spekulation
Einige Gläubiger hatten aus welchen Gründen auch immer bereits zuvor die Hoffnung aufgegeben und erfuhren schmerzlich den Unterschied zwischen Nenn- und Marktwert. Sie verscherbelten ein Papier, das sie für 100 gekauft hatten, für 10 oder 5. Andere kauften diese Papiere in der spekulativen Hoffnung, dass sie vielleicht doch wieder 100 oder zumindest entschieden mehr an Wert bekommen würden, als dafür bezahlt wurde. Ebenfalls Abteilung «no risk, no fun».
Da einige dieser Schuldpapiere, um ihre Seriosität zu unterstreichen, in Dollar und nach US-Bestimmungen ausgegeben worden waren, ist es nicht verwunderlich, dass einige Besitzer, die keiner Umschuldung zugestimmt hatten, nun vor US-Gerichten ihre Forderung auf völlige Rückzahlung geltend machten. Und vor dem obersten US-Gericht gewannen. Das kann nun nicht einer der vielen Kleinanleger machen, die um alles oder die Hälfte ihrer Einlagen gebracht wurden. Sondern nur ein Grosser, also ein Hedge Fonds. Denn solche Prozesse, bei dem Streitwert, kosten Millionen und dauern Jahre. Aber jetzt ist Zahltag, die Uhr tickt.
Einerseits – andererseits
Einerseits zieht natürlich die korrupte und verlogene aktuelle Regierung Argentiniens unter der unfähigen Cristina Fernández de Kirchner alle Register. Beschimpft die Gläubiger als Geierfonds, die aus ihrer ursprünglichen Investition mehr als 1000 Prozent Profit ziehen und dafür das Land in den achten Staatsbankrott treiben wollen.
Andererseits sagen die Geierfonds, dass sie ein ganz normales geschäftliches Risiko eingegangen sind, Multimillionen, viel Anwaltskosten und Zeit investierten und einfach auf ihrem vor Gericht bestätigten Recht bestehen, zum Nennwert ausbezahlt zu werden.
«Duell der Erpresser» nennt das der «Spiegel» ganz richtig. Argentinien droht mit der nächsten Totalpleite, die Hedge Fonds wollen so viel wie möglich als Profit auf ihre Spekulation einfahren. Beides hat nichts mit Moral und Anstand, Ausbeutung und Unterdrückung zu tun. Sondern mit dem einfachen Grundprinzip des Kapitalismus. Schulden sind ein Versprechen auf die Zukunft. Weil der Gläubiger, deshalb heisst er so, dem Schuldner glaubt, dass der etwas Sinnvolles mit dem geliehenen Geld anfängt und es wieder zurückzahlt.
Die Motive des Gläubigers, Geldgier, Gewinnsucht, Spekulation, wohl meistens keine reine Menschenliebe, spielen dabei keine Rolle. Die Motive des Schuldners, Unfähigkeit, Korruption, Dummheit, wohl meistens keine reine unschuldige Torheit, ebenso wenig. Früher oder später ist immer Zahltag.