Thomas Buomberger, Historiker und Journalist, legt ein spannendes Buch vor *). Teilaspekte hatten wir bereits mitbekommen; aber eine derart breite Übersicht mit Anmerkungsapparat und Literaturübersicht fehlte bisher.
Buomberger hatte sich in Buch- und Artikelform wiederholt zur Raubkunst in Schweizer Museen und Sammlungen vernehmen lassen. Diesmal weitet er den Blick zu einer Gesamtschau, ohne seine progressiven Präferenzen zu verstecken.
Er gliedert das Buch in zwölf Kapitel und umreisst mit den Überschriften zugleich seine Grundhaltung:
GEFANGEN IM REDUIT. Wie ist 1938 Philipp Etters „Geistige Landesverteidigung“ entstanden, eine anfangs breit begrüsste Standortbestimmung zur Distanzierung vom bedrohlichen Nationalsozialismus? Mit einigen nationalen Übertreibungen, die hinzunehmen waren?
1945 DRÄNGTE SICH EINE DREHUNG UM 180 GRAD AUF: Der Antikommunismus als Glaubensbekenntnis. Erstmals wieder Streit um die Landesverteidigung. Auf der ersten Traktandenliste standen die von der kommunistischen Partei der Arbeit (PdA) freudig begrüssten Abrüstungsinitiativen aus der Romandie (ausgeheckt vom freisinnigen Nichtkommunisten Samuel Chevallier): Reduktion der Rüstungsausgaben auf die Hälfte, nämlich auf 500 Mio Franken, stattdessen Hilfe beim Wiederaufbau der Nachbarländer. Einzelne Linksgruppierungen mitsamt Pazifisten trugen mit; Gewerkschaften und Sozialdemokratie lehnten scharf ab: „von Moskau gesteuert“.
„Das Lumpenpack der PdA“
Die erste Chevallier-Initiative erklärte das Parlament für „ungültig, weil unmöglich“, die zweite versank im Lärm des Ungarnaufstands (November 1956). Aber die neuen Töne waren gesetzt. Die Nachfolgestaaten Osteuropas unter der Besatzung der Sowjets, kommunistischer Putsch in Prag, und jetzt die gewaltsame Unterdrückung der aufbegehrenden Ungarn. Der Ungarnaufstand setzte ungeahnte emotionale Energien frei. Bei der bürgerlichen Rechten sowieso. Aber auch der sozialdemokratische Vordermann Helmut Hubacher fand, das politische Lumpenpack der PdA sei nach Moskau zu verfrachten oder in Gehegen auszustellen. Berner Studenten teilten der Bevölkerung 1500 Zünder für Molotow-Cocktails aus. Offiziersschüler (ich einer von ihnen) rückten am freien Wochenende ein, um Ortswehr-Veteranen am Raketenrohr gegen Ostpanzer auszubilden. Da waren Wut und Angst, nicht nur (wie Buomberger andeutet) „imaginäre“ Steigbügelhilfe für den Antikommunismus.
Eher am Rand hielten sich Aktivisten auf wie Major Hans von Dach, dessen Buch „Der totale Widerstand“ mit Guerilla und Sabotageanleitungen später auch Terroristen begeisterte. Und Eingang fand in das zu Recht umstrittene Zivilverteidigungsbuch.
Warnung vor „McCarthyistischen Angstpsychosen“
Die Empörung verstetigte sich. Manchenorts kam es zu einer Kommunistenhatz. Gewerkschaften und Beamtenschichten wurden „gesäubert“. Umgekehrt nahmen Bundesrat und Rotes Kreuz – teils gegen Empfehlungen der Hilfswerke – tausende Flüchtlinge hastig in die Schweiz auf. Auch in späteren Jahren, während der CSSR-Krise und den Balkankriegen, drängten sich bis 46‘000 Exilsuchende an der Grenze: Negativ konnotiert, teils politisch instrumentalisiert, was sich für die SVP auszahlte (vermutet Buomberger, allerdings ohne Quellenangabe).
Wer trug die Drehung um 180 Grad im Bedrohungsbild seit 1938? An die Stelle der einflussssreichen armeenahen Sektion Heer und Haus, die zwischen Armee und Bevölkerung vermittelte, trat ab Kriegsende der zivile Schweizerische Aufklärungsdienst. Erster Präsident war der Ostschweizer Verleger Hans A. Huber, der unablässig vor linker Unterwanderung warnte. Erst später versuchte Hubers Nachfolger, der Luzerner Rechtsanwalt Hans W. Kopp, den SAD auf neue Problemstellungen wie die Europafrage anzusetzen. Auch Kulturpromis wie der bekannte „Weltchroniker“ Hans R. von Salis, nunmehr Präsident der Kulturstiftung Pro Helvetia, und der wirtschaftsnahe Bundesrat Hans Schaffner beim Thema Osthandel warnten vor McCarthyistischen Angstpsychosen, zumal die Arbeiterschaft dafür gesorgt hatte, dass der Kommunismus in der Schweiz nie eine reale Grösse erreichte.
Konzeptionelle Rösselsprünge
In einem präzis recherchierten Kapitel zeichnet Buomberger das Auf und Ab in der Frage von Atomwaffenbeschaffung für die Schweiz nach. Ernsthafte Abklärungen befahl der Bundesrat unter Druck wichtiger Militärs und Rüstungsbeschaffer 1958. Sowjetunion und Südafrika offerierten später Plutonium. Der Mirage-Skandal um die Flugzeugbeschaffung und die internationale Entspannung liessen die Debatte 1972 endlich abrupt enden.
Neben der Armeestrategie, wo sich die bescheidenere und realistischere Variante des Infanteriegenerals Ernst gegen die Nato-nahe Variante des Zürcher Panzerbefürworters Züblin durchsetzte, warf der Zivilschutz viele ungelöste Fragen auf. Buomberger gehört zu den skeptischen Zweiflern. Er zählt die vielen konzeptionellen Rösselsprünge auf, den Irrglauben an die Überlebensfähigkeit unter Boden, die hohen Unterhaltskosten, die Rendite der Bauindustrie, die mangelhaften Rechtsgrundlagen.
Haarsträubendes in Erinnerung gerufen
Mir scheint allerdings, dass er die Modernisierung des Zivilschutzes – weg von der Überlebensdoktrin im Atomkrieg, hin zu neuerer Gefahrendoktrin – etwas gar knapp streift. Wenn ich Zivilschutz google, lese ich: „Heute ist der Zivilschutz nicht mehr auf die Kriegsbedrohung, sondern auf Katastrophen und Notlagen ausgerichtet.“ Ähnliches liesse sich vielleicht auch vom Staatsschutz 2016 sagen, der nach der antikommunistischen Hysterie der Jahre 1950 bis 1990 mit ihren Fichen-Affären den neuen Gefahren im Daten- und Persönlichkeitsschutz zuwendet.
Buombergers Erzählung ist gut konzipiert, bewältigt eine riesige Materialmasse, ruft Haarsträubendes wieder in Erinnerung und warnt, wer aus diesen Geschichten nicht lernt, könne gezwungen werden, sie zu wiederholen.
*) Thomas Buomberger: „Die Schweiz im Kalten Krieg 1945–1990“, Verlag Hier und Jetzt, 2017, 420 Seiten, 12 sw Abbildungen, ISBN 978-3-03919-390-5, CHF 44.--