Laut der NZZ vom Donnerstag ist Folgendes «schlicht unverantwortlich». Sie lesen also auf eigene Gefahr weiter, denn hier wird nicht nur die Verteidigung der Untergrenze zum Euro in Frage gestellt. Sondern sogar die Kompetenz und Weisheit des Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Aber ausserhalb der NZZ kann wohl niemand im Ernst das hier glauben: «Beruhigt sich die Lage auf den Finanzmärkten wieder, sollte sich der Euro-Kurs über Fr. 1.20 einpendeln.» In welcher Welt lebt dieser NZZ-Redaktor eigentlich?
Das erste Fragezeichen
SNB-Präsident Jordan sagt, der Franken sei selbst beim krampfhaft gestützten Kurs von 1.20 zum Euro «überbewertet». Er stützt sich dabei auf Berechnungen der sogenannten Kaufkraftparität. Wenn der gleiche Warenkorb in der Schweiz 14 Franken und in der EU 10 Euro kostet, dann wäre nach dieser Milchmädchenrechnung der «richtige» Kurs 1.40 zu 1. Das könnte so sein, wenn wir in einer idealen Welt leben würden, in der weder eine Euro-Agonie noch ein Devisenhandel existieren würde, der ein tägliches Volumen von 6 Billionen Dollar hat. Allein schon der Versuch, bei einem absaufenden Euro diese Untergrenze zu verteidigen, gleicht der Absicht, den Zürichsee austrinken zu wollen.
Das zweite Fragezeichen
Wenn im Multimilliardenpack Franken hergestellt werden, um damit Euros zur Stützung dieser Untergrenze zu kaufen, entsteht dadurch Inflationsgefahr in der Schweiz. SNB-Präsident Jordan sagt, dass diesbezügliche «Ängste unbegründet» seien. Da ist man beruhigt, denn er ist sicherlich aufgrund beeindruckender Berechnungen, tiefschürfender Analysen, kompliziertester Formeln zu dieser Erkenntnis gelangt. Leider nicht, denn er führt aus: Umfragen unter den Marktteilnehmern hätten ergeben, dass Unternehmen weder Inflationsängste hätten, noch dass die Gefahr einer Deflationsspirale bestünde. Wahnsinn, wieso hat er nicht auch ein Orakel oder einen Voodoo-Priester befragt, Muschelwerfen wäre auch eine Möglichkeit.
Das dritte Fragezeichen
Die Begründung für eine angeblich nicht vorhandene Inflationsgefahr ist nicht nur erschütternd, sie ist auch schlichtweg falsch. Inflation wird ja nicht bei Erdnüssen oder Kinderunterhosen passieren, sondern bei Investitionsgütern. Oder hat Herr Jordan noch nichts von der Immobilienblase in der Schweiz gehört? Inflationsgefahr an einem Warenkorb des täglichen Gebrauchs zu messen (oder mit einer Umfrage!), ist genauso unsinnig, wie so zu einer Kaufkraftparität zwischen Währungen zu gelangen. Oder gibt es für Jordan erst dann Inflationsgefahr, wenn der Kaffee bei Sprüngli um 20 Rappen aufschlägt?
Das vierte Fragezeichen
Inflation wird nicht nur durch ein Missverhältnis zwischen Geld und Waren ausgelöst, sondern hat wie das meiste im Wirtschaftsleben eine psychologische Komponente. Das ist wie bei einem Bank-Run. Heute ist alles ruhig, morgen machen die ersten Gerüchte die Runde, übermorgen bilden sich Schlangen vor den Schaltern, und am nächsten Tag geht die Stampede los. Die Gefahr, dass Inflation ähnlich beginnen könnte, wird durch eine Aufblähung der Geldsumme ganz sicher nicht kleiner.
Und eines ist klar: Das Verpuffen der 100-Milliarden-Hilfe an Spanien, die kräftig steigenden Schuldzinsen für den spanischen und italienischen Staat, die bevorstehenden Wahlen in Griechenland werden todsicher nicht zur «Beruhigung an den Finanzmärkten» und einem «Einpendeln des Euro-Kurses über Fr. 1.20» beitragen. Wenn im Mai schon ungefähr 60 Milliarden Franken zur Verteidigung der Untergrenze aufgeworfen werden mussten, wie viele werden es dann im Juni, im Juli, im August sein?
Das fünfte Fragezeichen
Wenn sich der Franken an den absaufenden Euro klammert, dann verliert er im Gleichschritt an Wert gegenüber der grössten Währung der Welt, dem Dollar, und auch gegenüber der dritten Weltwährung, dem japanischen Yen. Das nimmt der SNB jeden Manövrierraum, eine eigene Währungspolitik zu betreiben. Wie begründet Jordan den Sinn dieses Unsinns? So: «Dabei unterstellen wir, dass sich die europäische Finanz- und Staatsschuldenkrise allmählich entschärfen wird.» Da bewegt sich Jordan mit dem oben zitierten Traumtänzer von der NZZ in einer Parallelwelt, die mit unserer Realität nichts zu tun hat.
Das letzte Fragezeichen
Wir wollen Jordan als Jugendsünde nachsehen, dass er sich in jüngeren Jahren in einer wissenschaftlichen Arbeit klar und gut begründet gegen jegliche Festlegung eines Wechselkurses des Schweizer Frankens ausgesprochen hat. Aber man kann nicht behaupten, dass er zwischenzeitlich etwas dazugelernt hätte. Im Gegenteil, er beweist: Auch Dummheit ist lernbar.