Präsident Macron, der eine Theatervorstellung besucht, muss von seinen Sicherheitsleuten in Schutz genommen werden. Im Saal hat einer getweetet, er sitze drei Reihen hinter dem Präsidenten, Engagierte des Protestes gegen die Rentenreform in der Umgebung sollten schnellstmöglich zum Theater kommen. Und prompt erscheinen ein paar Dutzend Gewerkschafter und versuchen in den Theatersaal einzudringen. Das Präsidentenpaar wird für kurze Zeit exfiltriert. Letztlich können Emmanuel Macron und seine Frau das zeitgenössische Theaterstück „La Mouche“ zu Ende sehen. Der tweetende Mann im Saal, Journalist und zugleich politischer Aktivist, wird festgenommen und kommt erst 24 Stunden später wieder auf freien Fuss.
In derselben Nacht gegen 5 Uhr morgens brennt die überdachte Terasse der berühmten Brasserie „La Rotonde“ am Pariser Boulevard Montparnasse. Es ist der Ort, an dem Macron mit Mitarbeitern und Freunden Ende April 2017 sein Ergebnis von über 24 Prozent der Stimmen im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen gefeiert hat. Noch ist unklar, wer wirklich hinter dem Brandanschlag steckt, doch die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Täter an die etwas voreilige Siegesfeier des Präsidenten erinnern wollten. Schliesslich standen da der zweite Wahlgang und der endgültige Sieg noch aus, und so mancher warf Macron damals schon Arroganz vor. Ein Vorwurf, den er bis heute nicht losgeworden ist.
Gewerkschafter gegen Gewerkschafter
Wenige Tage vorher waren rund dreissig Gewerkschafter – eher vonseiten der exkommunistischen Gewerkschaft CGT – mehr oder weniger gewaltsam in den Hauptsitz der reformistischen und mittlerweile grössten Gewerkschaft des Landes, CFDT, eingedrungen, hatten Rabbatz gemacht und die Gewerkschaftskollegen und den reformistischen CFDT-Chef, Laurent Berger, als Verräter beschimpft. Gewerkschafter gegen Gewerkschafter in einer aufgeheizten Stimmung, ein Unikum in der reichlich komplizierten französischen Gewerkschaftsgeschichte der letzten fünfzig Jahre.
Und gleich mehrmals kam es bei den Pariser Verkehrsbetrieben RATP zu unschönen Szenen, als arbeitswillige Bus- oder Metrofahrer und -fahrerinnen sich von blockierenden Gewerkschaftern sexistisch und rassistisch beschimpfen lassen mussten und nur unter Polizeischutz ihre Arbeit aufnehmen konnten.
Blockaden bei Strom und Verkehr
An diesem Dienstag hat die sich die in den letzten Wochen zunehmend radikalisierende Gewerkschaft CGT, von der man den Eindruck haben kann, dass sie ein wenig um ihre Existenz kämpft, ihre Mitglieder beim französischen Stromkonzern EDF dazu aufgerufen oder sie zumindest nicht daran hindern können, den Strom in sechs oder sieben Vororten südöstlich von Paris zu kappen. Dies hiess nicht weniger, als dass Rungis, der wichtigste europäische Grossmarkt, die automatische Metrolinie Orlyval vom Flughafen Orly nach Paris, eine weitere Metrolinie und mehr als eine Million Menschen in Wohnungen und Büros für mehrere Stunden vom Stromnetz abgeschnitten waren.
Auch sind ab diesem Donnerstag erneut alle wichtigen Häfen des Landes von Anhängern der Gewerkschaft CGT für drei Tage blockiert. Man spricht bereits von 100 Millionen Euro Schaden und mittelfristig von einer Katatsrophe vor allem für die wichtigsten Häfen Le Havre und Marseille. Schiffe, die dort nicht anlegen und entladen werden können, fahren eben weiter zur Konkurrenz nach Rotterdam, Antwerpen oder Genua. Diese wilden Streikaktionen, die nicht einmal direkt mit der Rentenreform zu tun haben, hätten bereits die Arbeit eines ganzen Jahrzehnts zunichte gemacht, klagen die Hafenbehörden, die in den letzten Jahren erfolgreich versucht hatten, Frankreichs Häfen wieder wettbewerbsfähiger zu machen.
Gewalt auf beiden Seiten
Und dann sind da die Demonstrationen, die in den letzten Wochen, obwohl es klassische Gewerkschaftsdemonstrationen waren, regelmässig aus dem Ruder gelaufen sind und in Paris und den Zentren anderer Städte beträchtlichen Schaden angerichtet haben. Gewaltszenen, die sich fast nahtlos an die monatelang andauernden, häufig sehr gewaltsamen Gelbwestenproteste anschliessen.
Und auf der anderen Seite sind da die Polizeikräfte, die seit Beginn der Terroranschläge vor fünf Jahren und der Gelbwestenbewegung seit November 2018 nicht mehr zu Ruhe gekommen und grenzenlos überstrapaziert sind. Sie haben Millionen Überstunden angehäuft. In den letzten Wochen mussten sie sich fast bei jeder Demonstration per Handy-Video dabei ertappen lassen, wie sie auf einzelne wehrlose, am Boden liegende Demonstraten eintraten oder einschlugen. Inzwischen war selbst die Regierung gezwungen einzugestehen, dass Frankreichs Polizei ein echtes Gewaltproblem hat. – Alles in allem ein Potpourri, das nichts Gutes verheisst.