Michel Houellebecq, das Enfant terrible der französischen Gegenwartsliteratur, von den einen über den grünen Klee gelobt, von den anderen verachtet, hat rund um dieses Wochenende, in den verschiedensten europäischen Sprachen seinen 7. Roman vorgelegt.
Seit Freitag liegt die ursprüngliche, französische Version in Frankreichs Buchläden auf, seit Montag in den Buchhandlungen des deutschsprachigen Raums. Die Rede ist von: „Serotonin“ – so der Titel des neuen Houellebecq-Romans – ein Glückshormon, das die 46-jährige, deprimierte Hauptperson ausgiebigst konsumiert.
Ein Agraringenieur, der einst bei Monsanto tätig war, zuletzt als Berater im Pariser Landwirtschaftsministerium arbeitete, bevor er sich aus seinem ohnehin schon trostlosen sozialen Pariser Umfeld noch weiter zurückzieht, sich von seiner Gefährtin trennt, in die Anonymität eines seelenlosen Hotelzimmers abtaucht und auf den Selbstmord in einem anonymen Einzimmerappartment hoch oben in einem der Hochhäuser des 13. Pariser Arrondissements hin steuert.
Übliche Provokationen
Die Houellebecq-Maschinerie mit den üblichen Provokationen des mittlerweile 60-jährigen Autors im Vorfeld des Erscheinens eines Romans hat erneut perfekt funktioniert – mehr als 300’000 Exemplare beträgt die erste Auflage in Frankreich, wo die Kritik, mit wenigen Ausnahmen, immer noch Loblieder in höchsten Tönen singt, 80’000 Exemplare sind für den deutschsprachigen Raum vorgesehen.
Wenn man so will ist „Serotonin“ in der Tat wieder ein echter Houellebecq. Seitenlang darf man erneut über den Zustand oder die Qualität von weiblichen oder männlichen Genitalien lesen, Seitenhiebe auf Holländer in einer spanischen Nudistenkolonie wahrnehmen, sich suhlen im grenzenlosen Zynismus eines abgehalfterten Mitvierzigers aus der oberen Mittelklasse, der sich doch glatt an seine Unterschichtenleser wendet, um ihnen zu erklären, was denn eine Mastersuite in einem der hässlichen Hochhäuser entlang der Seine im 15. Arrondissement ist.
Menschen-verachtend
Der Erzähler hat praktisch keine Freunde, ein total reduziertes Sozialleben, ergötzt sich an permanenten Fussballübertragungen der Pay-TVs, lässt sich seitenlang über Vorzüge und Nachteile von Antidepressiva aus und trinkt sich sich zwischen Anfang und Ende des Romans durch fast alle Sorten von Alkohol. Frauen werden meist als Schlampen bezeichnet, Homosexuelle kann Houellebecqs Protagonist gar nicht leiden, Umweltschützer noch weniger und Europa und die gesamte damit verbundene Bürokratie natürlich sowieso nicht.
Kurzum: nichts ist neu an diesem Houellebecq mit seinem permanent Menschen verachtenden Unterton.
Der Autor selbst, der beim Erscheinen seines Romans gerade mal wieder keine Interviews gibt, hatte im letzten Herbst, als er „Serotonin“ schon längst abgeschlossen hatte, bei der Verleihung eines drittklassigen Literaturpreises für sein Gesamtwerk mit der reichlich hohen Meinung von sich selbst nicht hinter dem Berg gehalten:
„Es gibt eine Kategorie von Phänomenen unserer Welt“, so der Meister, „die man heute als Houellebecqsche bezeichnet und die vor mir nicht beschrieben worden waren – das stimmt wohl. Man kann mich dafür loben, Lebensweisen in unserer Welt ausfindig gemacht zu haben, die zuvor nicht beachtet worden waren. Meine Bücher können in der Tat dazu führen, dass man lebensunfähig wird. Bücher schreiben kann eine schwerwiegende Verantwortung sein, aus der ich mich nicht davonstehlen will.“
„Trump ist der Grösste“
Und weil das Erscheinen eines Houllebecqschen Romans auch immer von grösseren oder kleineren Skandälchen begleitet sein muss, hat der Autor diesmal zeitgerecht für Harper’s Magazine im Dezember einen Text abgeliefert, in dem er Donald Trump als den grössen Präsidenten der USA bezeichnet, dessen Nationalismus und Protektionismus hochleben lässt und den man mit der orangefarbernen Haarwelle als Friedensfreund preist.
Teile der französischen Kritik haben Houllebecq auch diesmal wieder – und ebenso unberechtigt wie schon vor vier Jahren beim Erscheinen seines Romans „Die Unterwerfung“ – als Visionär und Propheten bezeichnet. Weil Bauern in diesem neuen Roman jetzt eine Autobahnzufahrt blockieren, hat Houellebecq noch lange nicht die Gelbwestenbewegung vorhergesehen.
Vor zwei Jahren gab es eben in der Bretagne und der Normandie – wo ein Gutteil der Romanhandlung angesiedelt ist – die „Rotmützenbewegung“, die damals schon eine erste Ökosteuer zu Fall gebracht hatte. Umweltministerin Segolène Royal liess diesen Rückzieher den französischen Steuerzahler über eine Milliarde Euro kosten.
Von der Provinz nicht die geringste Ahnung
Und wenn Houellebecq heute über die französische Provinz und besonders über die Normandie schreibt und seine Hauptfigur dort in Erinnerungen schwelgen lässt, dann darf man den Eindruck haben, er hat sich eine der guten alten, gelben Michelin-Karten auf den Schreibtisch gelegt, zusätzlich einige Webseiten über sehenswerte Schlösser und charmante Hotels in historischen Gebäuden aufgeschlagen und dann „Namedropping“ betrieben. Nie stellt sich der Eindruck ein, als hätte der Autor vom so genannten tiefen Frankreich und den Provinzen, in die es seine Romanhelden verschlägt, auch nur die geringste Ahnung.
Man selbst hat den vor exakt vier Jahren erschienenen Roman „Die Unterwerfung“ in dem Moment definitiv aus der Hand gelegt, als sich der Hauptakteur vor dem sich ausbreitenden Islamismus aus Paris ins französische Zentralmassiv geflüchtet hatte. Fast alles was dort in der Auvergne geschah, klang falsch und unauthentisch.
„Goethe, das Rindvieh“
Am Ende seines über dreihundert Seiten starken neuen Werkes lässt Houellebecq diesmal die Hauptfigur die Fallgeschwindigkeit von nicht ganz 5 Sekunden berechnen, bei dem bevorstehenden Selbstmord aus einem Wolkenkratzer im 13. Pariser Arrondissement, wo der Autor tatsächlich selbst lebt. Nicht ohne dass Houellebecq wenige Seiten zuvor und aus völlig heiterem Himmel Goethe ein altes Rindvieh nennt, einen deutschen Humanisten mit mediterranem Einschlag und einen der grauenvollsten Schwafler der Weltliteratur.
Vielleicht ist dieser siebte Houellebecq-Roman nun doch derjenige, nach welchem es mit dem Stiefellecken der internationalen Kritik ein Ende hat, vor einem Autor, der die pure Provokation und den schier unermesslichen Zynismus zum immer wiederkehrenden Prinzip seiner Romanwelten erhoben hat. Das Ärgerlichste bei Houellebecqs Masche und seinen Werken bleibt: die Kritik tut immer wieder und auch diesmal so, als stünden Houellebcqs hochnäsige Charaktere, voll des Zynismus und der absoluten Wurschtigkeit, für den Zustand der gesamten französischen Gesellschaft und des Landes schlechthin.