Der von Areva und Siemens entwickelte Europäische Druckwasserreaktor EPR war Ende der 90-er als Atomreaktor der neuen Generation angepriesen worden. Doch bei den ersten, im Bau befindlichen Exemplaren, ob in Finnland oder im französischen Flamanville kommt es zu gigantischen Kostenexplosionen und jahrelangen Verzögerungen.
Neuer Atomreaktor - drei mal so teuer
Für den EPR in Flamanville, so musste der künftige Betreiber, der französische Stromkonzern EDF jetzt eingestehen, sind die Kosten auf 8,5 Milliarden Euro gestiegen und haben sich damit fast verdreifacht.
Mittlerweile stellt sogar der französische Rechnungshof – und das will dann doch etwas heissen - die Wirtschaftlichkeit dieses neuen Reaktors in Frage. Für Präsident Hollande und die Regierung Ayrault – die im Prinzip den ökologischen Umbau und eine Energiewende auf ihre Fahnen geschrieben hatten und bis zum Jahr 2025 eine Reduzierung des Atomstromanteils von heute fast 80 auf 50 Prozent angekündigt hatten – wird dieser neue Reaktor auf der Halbinsel Cotentin zu einem echten Klotz am Bein.
EPR – ein Desaster
«Wird der EPR zu einer neuen Concorde?» So lautet die in Frankreich dieser Tage immer wieder gestellte Frage. Denn der mit 1650 Megawatt bislang leistungsstärkste Atomreaktor der Welt, mit deutlich höheren Sicherheitsstandards etwa für den Fall einer Kernschmelze und einer um fast 20 Prozent höheren Wirtschaftlichkeit, war als der Atomreaktor der neuen Generation gepriesen worden. Nun, ein Jahrzehnt nach der offiziellen Präsentation des Modells , sieht es allerdings so aus, als wollte fast niemand mehr diese letzte Erfindung der französischen Nuklearingenieure haben.
Es ist, als hätte die französische Atomlobby schlicht an den Bedürfnissen der meisten Länder vorbei geplant. Der EPR-Reaktor im französischen Flamanville sollte nach ursprünglichen Planungen eigentlich bereits seit mehreren Monaten am Netz sein. Inzwischen wird als Termin für die Inbetriebnahme bestenfalls das Jahr 2016 ins Auge gefasst.
Grüne Minister schweigen
Der Reaktor wird statt 3,3 jetzt mindestens 8,5 Milliarden Euro kosten. Diese erneute Kostenexplosion um weitere 2 Milliarden im Vergleich zur letzten Prognose, hatte unmittelbar zur Folge, dass sich der italienische Stromkonzern ENEL aus dem Projekt zurückgezogen und seine 12,5 Prozent Anteile zurückgegeben hat. Frankreichs Stromriesen EDF kostet das weitere 700 Millionen, seine Aktie ist durch diese Ankündigung auf den historischem Tiefststand von nur noch 13 Euro abgerutscht – 2008 war sie noch fast das Siebenfache wert gewesen.
Die zwei Minister der französischen Grünen im Kabinett von Premier Jean Marc Ayrault schweigen betreten zu diesem Thema und werden immer öfter gefragt, wie lange sie noch in einer Regierung bleiben wollten, die in den ersten 6 Monaten alles, was mit ökologischem Umdenken zu tun hat, auf die lange Bank geschoben hat. Währenddessen laufen aber zumindest die Abgeordneten der Grünen Sturm. Noël Mamere, einen der Dienstältesten, bringt die Kostenexplosion beim EPR auf die Palme. Die einzige Schlussfolgerung, die man aus dieser schändlichen Geldverschwendung besonders in Krisenzeiten ziehen könne, polterte er letzte Woche, sei der sofortige Baustopp des EPR und der Ausstieg aus der Atomenergie in den nächsten 25 Jahren .
Das Schicksal der Concorde
Als vor 5 Jahren eine erste deftige Preissteigerung für den EPR angekündigt wurde, argumentierten die Befürworter noch, dies sei für einen Prototypen normal. Unterschwellig war immer klar: Der EPR im französischen Flamanville muss gebaut werden, nicht weil Frankreich ihn unbedingt bräuchte, sondern weil die Atomindustrie ihn exportieren will, ja muss und es dafür quasi unerlässlich ist, dass zumindest ein Exemplar im Herkunftsland in Betrieb geht und auch funktioniert.
Mit anderen Worten: Die Kostenexplosionen beim EPR in Flamanville sind für den Export des neuen Reaktors nicht gerade förderlich. Grossbritannien, das zwei davon bauen wollte, zögert bereits und auch auf dem amerikanischen Markt, wo Frankreichs Atomindustrie wieder Zukunftsluft witterte, ist noch nichts fixiert. Und selbst in Frankreich, wo Nicolas Sarkozy, als er noch Präsident war, bereits vollmundig den Bau eines zweiten EPR in Penly an der Kanalküste angekündigt hatte, spricht seit Monaten niemand mehr von diesem Projekt.
Daher meinen Experten jetzt immer häufiger, das Ganze erinnere zusehends an die Geschichte des Überschallflugzeugs Concorde. Das heisst: Frankreichs geniale Ingenieure haben wieder mal eine leistungsstarke High-Tech-Maschine entwickelt, auf die die Nation stolz sein darf und soll, die sich am Ende aber als wirtschaftliches Fiasko herausstellt, weil sie zu teuer, zu komplex und, im Fall des EPR, auch zu gross ist für die tatsächlichen Bedürfnisse auf dem Weltmarkt.
Legende vom billigen Atomstrom
Momentan sieht es so aus, dass der EPR, der eine extrem komplexe Infrastruktur erfordert, höchstens zwei oder drei Länder auf der Welt, darunter China, interessiert, alle anderen Länder wollen, wenn überhaupt, kleinere Reaktoren.
Zu allem Überfluss hat dann auch noch der französische Rechnungshof darauf hingewiesen, dass angesichts der Kostenentwicklung beim EPR die Legende vom billigen Atomstrom in Frankreich definitiv zu Ende sein dürfte. Denn das Kilowatt Strom aus dem EPR wäre um 40 Prozent teurer, als aus bisherigen AKWs, ja sogar teurer als ein Kilowatt, das durch Windkraft produziert wird. Angesichts dessen wird es noch schwieriger zu verteidigen, was aus den Reihen der sozialistischen Regierung in den letzten Wochen immer wieder zu hören war, nämlich dass die Atomindustrie nach wie vor eine Zukunftsindustrie sei. Der umtriebige Minister für – um es wörtlich zu übersetzen - „die produktive Wiederaufrichtung Frankreichs“, Arnaud Montebourg, hat dies wiederholt betont.
Rohbau zu 93 Prozent fertig
Dementsprechend hält die Regierung jetzt auch an der Fertigstellung des EPR fest. Umweltministerin Batho verwies darauf, dass der Rohbau in Flamanville bereits zu 93 Prozent fertig sei. Ausserdem habe der Präsident der Republik bei Amtsantritt zugesagt, dass der EPR zu Ende gebaut werde, genau so wie er versichert habe, dass das AKW Fessenheim geschlossen wird. Beides werde die Regierung einhalten.
Frankreichs Grüne und andere Kritiker werfen der Regierung mittlerweile Verbortheit vor, die der Nation mittelfristig teurer zu stehen kommen könnte, als wenn man den Bau des EPR sofort stoppen würde. Eine Verbohrtheit, die sich auch bei einem anderen infrastrukturellen Grossprojekt zeige.
Eisenbahntunnel Lyon – Turin
So wurde Anfang des Monats auf einem italienisch-französischen Gipfel das Megaprojekt des Eisenbahntunnels für Hochgeschwindigkeits- und für Güterzüge zwischen Lyon und Turin offiziell unterzeichnet bzw. noch einmal bestätigt. Denn es handelt sich um ein Vorhaben, das im Prinzip bereits 1991 angestossen worden war, als man noch von gigantischen Zunahmen des Güter- und Personentransports über die Alpen ausging. Mittlerweile würde dieser über 50 Kilometer lange Tunnel aber 26 Milliarden Euro kosten. Zur Stunde ist niemand in der Lage zu sagen, wie diese Summe finanziert werden soll.
Und auch in diesem Fall hat der französische Rechnungshof inzwischen ein für seine Verhältnisse sehr strenges Urteil gefällt und darauf hin gewiesen, dass alternative Lösungen nicht ausreichend berücksichtigt und vertieft worden seien. Offensichtlich war auch dem Rechnungshof nicht entgangen, dass das Frachtaufkommen zwischen Italien und Frankreich seit 10 Jahren nicht etwa zugenommen hat, sondern rückläufig war und dass ein bereits bestehender Eisenbahntunnel für den Gütertransport zwischen Frankreich und Italien nicht mal zu einem Drittel ausgelastet ist.
Aufruhr in Notre-Dame-des-Landes
Aktuell am meisten Schwierigkeiten bereitet der Regierung aber das Projekt des internationalen Flughafens in Notre-Dame-des-Landes in der Nähe von Nantes. Auch dies ist ein Vorhaben, das im Prinzip schon vor zwei Jahrzehnten auf den Weg gebracht worden war und für notwendig erklärt wurde, weil man von einer exponentiellen Zunahme des Flugaufkommens und damit von einer Überlastung des bestehen Flughafens von Nantes ausgegangen war. Argumente, die mittlerweile einfach nicht mehr stichhaltig sind.
Doch das Projekt war nun einmal 20 Jahre lang das gehätschelte Kind des langjährigen Bürgermeisters von Nantes. Und der hiess bis Mai dieses Jahres Jean Marc Ayrault. Der weigert sich als Premierminister nun mit aller Kraft, das Projekt noch einmal zu überdenken. Formaljuristisch ist der Weg für den Flughafenbau frei, sämtliche Einsprüche von Anwohnern und Verbänden sind abgelehnt. Trotzdem könnte es politisch für Premier Ayrault und seine Regierung ein Fiasko werden.
Erinnerung an den Widerstand gegen das Larzac-Projekt
Schon denkt man an die Proteste gegen den geplanten Truppenübungsplatz auf dem Hochplateau des Larzac Mitte der 70-er Jahre und den letztendlichen Verzicht auf das Projekt durch den damals neu gewählten Präsidenten, François Mitterrrand. Denn auch in Notre Dame des Landes gibt es diese Mixtur aus militanten Bauern und Anwohnern, die von Umweltschützern, Alternativen, Grünen und einigen anarchistischen Grüppchen unterstützt werden und wie zu Zeiten des Larzac die Methode des lang anhaltenden, gewaltlosen Widerstands praktizieren.
Geräumte Höfe werden umgehend wieder besetzt, über Nacht entstehen neue Holzhäuser auf dem künftigen Flughafengelände und wo es möglich ist, geht der juristische Kleinkrieg mit den Behörden weiter. Die täglichen Bilder von 600 schwerst ausgerüsteten Bereitschaftspolizisten, die auf Wiesen und in Wäldern mit Tränengas und Wasserwerfern gegen kleine Gruppen von Gegner des Flughafenprojektes vorgehen, haben bereits dazu geführt, dass der Premierminister zumindest eine Art Schlichtungskommission einsetzte und jede weitere Räumung des Geländes vorerst einmal ausgesetzt ist.
Glaubhafte Energiewende?
Bleibt die Frage, wie die neue französische Regierung angesichts ihres Verhaltens in diesen Affären in den nächsten Monaten noch glaubhaft machen kann, dass sie wirklich an einer Energiewende und am ökologischen Umbau des Landes interessiert ist. Die Grünen, die im Parlament zur Regierungsmehrheit gehören und in der Regierung Ayrault zwei Minister stellen, scheinen daran jedenfalls immer grössere Zweifel zu haben.