An „Otelo“ sollten sich aber bald die Geister scheiden. Als kontroverse Figur ist der Soldat im Alter von 84 Jahren gestorben.
Bei einem Militärputsch muss nicht unbedingt Blut fliessen. Siehe Portugal. Als dort junge Militärs am 25. April 1974 ein marodes Regime stürzten, war der brutale Putsch von General Augusto Pinochet in Chile vom 11. September 1973 in frischer Erinnerung. In Chile aber putschte das Militär gegen die Demokratie und errichtete eine Diktatur.
In Portugal richtete sich die geradezu festliche „Nelkenrevolution“ stattdessen gegen eine 48-jährige faschistische Diktatur. Sie hatte das Ziel, das Land auf den Weg der Demokratie zu bringen, zermürbende Kolonialkriege in Afrika zu beenden und im „Armenhaus Westeuropas“ den Weg zur wirtschaftlichen Entwicklung zu öffnen. Als militärischer Stratege des unblutigen Putsches profilierte sich der damals nur 37-jährige Major Otelo Saraiva de Carvalho, der schlicht als „Otelo“ bekannt war. Am Sonntag ist dieses einstige Idol vieler Linker im In- und Ausland 84-jährig in einem Militärspital in Lissabon gestorben.
Soldat statt Schauspieler
Mit der Erinnerung an den Revolutionshelden tut sich das Land allerdings schwer. An seinem Verdienst als brillanter militärischer Stratege am 25. April 1974 rüttelt kaum jemand. An diese seine Rolle als Protagonist in einem entscheidenden Moment von Portugals jüngerer Geschichte erinnerte prompt Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa. Für eine historische Würdigung mit der gebotenen Distanz sei es aber noch zu früh, fand der Präsident. Schon bald nach dem Sturz der Diktatur hatten die Geister begonnen, sich an „Otelo“ zu scheiden. Und da gab es alles von Verehrung bis zu offener Animosität. Sogar manche westeuropäische Linke machten Otelo zu einem Idol.
Otelo kam 1936 in Lourenço Marques (heute Maputo) in Moçambique zur Welt. Seinen Vornamen verdankt er einem von Shakespeare inspirierten Grossvater, und er selbst wäre gern Schauspieler geworden, schlug aber die militärische Laufbahn ein. In den portugiesischen Kolonialkriegen der Jahre 1961–74 absolvierte er Einsätze an der Front in Angola und beim Generalstab in Guinea-Bissau. Wie viele Kameraden kam er zum Schluss, dass die Kolonialkriege aussichtslos seien. Er engagierte sich ab 1973 bei der „Bewegung der Hauptleute“, später „Bewegung der Streitkräfte“ (Movimento das Forças Armadas – MFA), die sich den Sturz des Regimes vornahm. Unter dem Decknamen „Óscar” koordinierte er am 25./26. April 1974 von einer Kaserne in Lissabon aus die einschlägigen Operationen.
Die Linke im Militär dreigeteilt
Mit dieser Revolte begann eine turbulente Übergangsperiode unter linksgerichteten Militärregierungen, in der sich auch Bewegungen der Arbeiterschaft mit dem Ruf nach raschen materiellen und sozialen Verbesserungen zu Wort meldeten. Ein Teil des Militärs wollte nicht mehr nur Demokratie, sondern eine sozialistische Ordnung, und tatsächlich schlug das Land zunächst einen sehr linken Weg ein. Selbst über den „richtigen“ Sozialismus waren sich die Militärs aber uneins. Im „heissen Sommer“ von 1975 gab es eine kommunistische Linie, die in den Übergangsregierungen von General Vasco Gonçalves dominierte. Mit ihr rivalisierten eine moderate Linke mit Rückhalt vor allem bei den Sozialisten von Mário Soares und eine extrem linke Fraktion um Otelo.
Ihm unterstand das Operative Kommando des Festlandes (COPCON) gegen konterrevolutionäre Aktivitäten. In jenem heissen Sommer schwebte Otelo vor, den Botschafter der USA zur „persona non grata“ zu erklären – dies just zu einer Zeit, da manche Köpfe in den USA eine „chilenische“ Lösung für das Nato-Land Portugal mit der strategisch überaus wichtigen Inselgruppe der Azoren nicht ausschlossen. Er soll auch vorgeschlagen haben, Faschisten in die Stierkampfarena von Lissabon zu sperren. Otelo wurde schliesslich vorgeworfen, zu den Hintermännern eines gescheiterten ultralinken Putschversuchs am 25. November 1975 zu gehören, was ihm eine zweimonatige Haft eintrug. Als einvernehmlicher Volksheld ging er schon recht früh also nicht mehr durch.
Träume von Volksdemokratie und ein Terroristenprozess
Nach jenem 25. November gewannen die moderaten Kräfte definitiv die Oberhand. Im April 1976 trat die neue, seitdem mehrmals stark veränderte Verfassung in Kraft. Als die Portugiesen im Juni 1976 erstmals ihren Staatspräsidenten zu wählen hatten, trat Otelo an. Er kam hinter General Ramalho Eanes, der bis 1986 das höchste Staatsamt wahrnehmen sollte, auf den zweiten Platz, mit immerhin 16,5 Prozent der Stimmen. Er träumte damals noch davon, die repräsentative bürgerliche Demokratie durch eine direkte Volksdemokratie zu ersetzen. Bei einer zweiten Kandidatur für das höchste Staatsamt erhielt er 1980 nur noch 1,5 Prozent der Stimmen.
Von 1984 bis 1989 kam er wieder in Haft, diesmal als mutmasslicher Anführer einer terroristischen Organisation „FP25“ (Forças Populares 25 de Abril), der 18 Morde und diverse Überfälle zugeschrieben wurden. Er selbst wies alle Anschuldigungen zurück, wurde aber zu 15-jähriger Haft verurteilt. Nur wurde das Urteil nie rechtskräftig. Wegen Überschreitung der erlaubten U-Haft-Dauer kam er frei. Er profitierte 1996 dann von einer Amnestie für politische Delikte und wurde einige Jahre später auch von allen anderen Vorwürfen freigesprochen.
Loyaler Freund mit grossem Herzen
Auch Kameraden, mit denen er nicht immer einer Meinung war, erinnerten nach seinem Tod an seine menschlichen Qualitäten. Er habe ein „enormes Herz“ gehabt und sei ein stets loyaler Freund gewesen, sagte Vasco Lourenço von der Associação 25 de Abril, ein Zusammenschluss der Aktivisten von damals und einst Vertreter der moderaten Linie innerhalb der Streitkräfte.
Nur in der Politik schien der Verstorbene vieles nicht verstanden zu haben, und das macht ihn letztlich irgendwie zur tragischen Figur. Beim Rückblick auf die Zeit unmittelbar vor und nach dem 25. April 1974 führt an Otelo kein Weg vorbei. Schon jetzt laufen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag dieser Revolte, die Otelo als einer der Hauptfiguren nicht mehr erleben wird.