Eine derartig nichtsnutzige, unsinnige und letztlich schädliche Diskussion hat Frankreichs Öffentlichkeit wohl schon Jahrzehnte lang nicht mehr erlebt. Das Gezerre um die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Terroristen, die in der Verfassung festgeschrieben werden soll, sie dauert nun schon zweieinhalb Monate und je länger die Diskussion anhält, desto weniger wird verständlich, warum diese Massnahme, ebenso wie der Ausnahmezustand, auch noch unbedingt in den Stein der französischen Verfassung gemeisselt werden müssen, um in Zukunft den Terrorismus effektiver bekämpfen zu können. Eine Debatte, die mit der Zeit etwas Aberwitziges an sich hat und den Verdacht aufkommen lässt, die Republik könnte durch die Terroranschläge doch stärker angeschlagen sein, als man es gemeinhin vermutet hat.
Zu Versailles
Man schrieb den 16. November 2015. Staatspräsident Hollande hatte drei Tage nach den Terroranschlägen von Paris und Saint-Denis über 900 Abgeordnete aus der Nationalversammlung und aus dem Senat gemeinsam ins Schloss von Versailles beordert, wo normalerweise der Kongress zusammentritt, um über Verfassungsänderungen zu entscheiden. Minutenlang erhielt der Staatspräsident an jenem Tag in der monarchischen Kulisse stehenden Applaus aller Anwesenden als Zeichen der nationalen Einheit gegen den Terrorismus. Nach einer Rede, in der François Hollande der Bevölkerung eingehämmert hatte, dass sich Frankreich im Krieg befindet, in der er aber auch schon angekündigt hatte, dass er eine Verfassungsänderung anstrebe und die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft ins Auge fasse für Bürger, die wegen Terrorismus verurteilt werden.
Der Satz Hollandes wurde durchaus wahrgenommen, aber nicht wirklich ernst genommen. Irgendwie war die Öffentlichkeit da noch mit Wichtigerem beschäftigt, der Horror war noch zu nah, nicht alle Terroristen waren tot, weitere Attentatsprojekte lagen noch in der Luft und wurden im letzten Moment und nur Dank einer Zeugin verhindert.
Copyright bei der Nationalen Front
Es brauchte zwei, drei Wochen, bis die ersten dann endlich die Frage stellten, was das Ganze denn soll, was den sozialistischen Präsidenten denn getrieben haben könnte, ausgerechnet auf eine Massnahme zurück zu greifen, für die das Copyright seit über einem Jahrzehnt ausgerechnet bei der Nationalen Front liegt und die von Nicolas Sarkozy in seiner berühmt-berüchtigten, ja skandalösen Rede vom Juli 2010 in Grenoble aufgenommen worden war. François Hollandes Vorgänger hatte damals den Entzug der Staatsbürgerschaft auch für diejenigen gefordert, die französischen Ordnungskräften nach dem Leben getrachtet hätten. Jetzt hofften wohl viele aus der Umgebung von François Hollande und in der sozialistischen Partei, der Präsident werde diesen Gedanken des Entzugs der Staatsbürgerschaft einfach wieder fallen lassen. Zumal in Ruhe betrachtet auch dem letzten schnell klarwerden musste, dass kein islamistischer Terrorist, der bereit ist, sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft zu sprengen, sich wird von einem Attentat abhalten lassen, weil ihm der Entzug der französischen Staatsbürgerschaft drohen würde. Zur Terrorbekämpfung ist diese Massnahme so überflüssig wie ein Kropf.
Augen zu und durch
Doch Präsident Hollande insistierte, liess das Projekt am Tag vor Weihnachten im Ministerrat einbringen und das Fiasko nahm seinen Lauf - auch der konservative Präsident des Senats, Gerard Larcher, konnte den Staatspräsidenten nicht umstimmen, als er ihn in einem letzten Gespräch gebeten hatte, man möge doch gesunden Menschenverstand walten - und das Ganze an diesem Punkt einfach bleiben lassen.
Doch nein: letzten Freitag musste Frankreichs Nationalversammlung nun die Debatte über das Gesetz zur Verfassungsänderung aufnehmen, in einer Stimmung, in der schon seit Wochen nur noch von Farce, Schlamassel oder Fiasko die Rede war, mit sozialistischen Abgeordneten, die überwiegend verlegen auf ihre Schuhspitzen starren, vom Präsidenten und vom Premierminister wie hirnloses Stimmvieh behandelt werden und wie Pennäler, denen man mit dem Zeigefinger droht.
Doch selbst Regierungschef, Manuel Valls, tat sich bei der Präsentation der Reform im Parlament ordentlich schwer, glänzte mit Allgemeinplätzen, wonach es nun mal darum gehe, die Feinde der Republik, die Feinde Frankreichs zu bekämpfen. Und bezeichnete die Aberkennung der Staatsbürgerschaft als kollektive Antwort der Franzosen gegenüber anderen Franzosen, die beschlossen hätten, das Leben der Nation in Gefahr zu bringen.
Zwei Kategorien von Franzosen
Das unlösbare Problem für Präsident und Premierminister: die drohende Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft kann - da internationale Verträge untersagen, einen Bürger staatenlos zu machen - nur Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit treffen – theoretisch sind das rund 3,5 Millionen mit Wurzeln in Nord- und Schwarzafrika,. Diese Reform kann de facto nicht mehr als ein symbolischer Akt sein, wobei das Symbol letztlich darin besteht, dass man plötzlich zwei Kategorien von Franzosen schafft und dabei auch noch ausgerechnet die stigmatisiert, die im gegenwärtigen Klima ohnehin schon unter Generalverdacht stehen, Islamisten zu sein. Plötzlich soll es in der Verfassung dieses Landes eine Passage geben, in der nicht mehr alle Franzosen gleich sind!
Eindringliche Warnungen
Namhafte Juristen, Philosophen und Autoren, wie Mitterrands ehemaliger Berater, Jacques Attali, haben jüngst in einem öffentlichen Aufruf in "Le Monde" an die Abgeordneten appelliert, diese Reform im Namen der Grundfreiheiten abzulehnen. Auch Robert Badinter, der ehemalige Justizminister, Präsident des Verfassungsgerichts und historische Figur der französischen Sozialisten aus der Ära Mitterrand, verwies auf die Nutzlosigkeit dieser Massnahme.
Und in der Nationalversammlung betonten Redner aus verschiedensten Fraktionen gleich reihenweise, man hätte sich diese Debatte wahrlich ersparen können, denn weder der Ausnahmezustand noch die Aberkennung der Staatsbürgerschaft machten eine Verfassungsreform notwendig.
Und auch Jacques Toubon, einst Justizminister unter Präsident Chirac und seit einigen Monaten Ombudsmann zum Schutz der Bürgerrechte, sagte laut und deutlich, was in Frankreich mittlerweile vielen durch den Kopf geht: „Angst ist kein guter Ratgeber. Wenn am Ende dieser Terrorperiode, die wir zu erleiden haben, eine gefestigte Republik steht, dann haben wir gewonnen. Wenn wir die Republik jetzt aber herabsetzen, dann werden die Terroristen in gewisser Weise erreicht haben, was sie wollten."
Rücktritt der Justizministerin
Frankreichs Staatspräsident hat durch diese Aberkennung der Staatsbürgerschaft, die Verfassungscharakter bekommen soll, bereits seine Justizministerin verloren – Christiane Taubira, einst die Passionara in der Auseinandersetzung über die gleichgeschlechtliche Ehe, ist aus Protest dagegen zurückgetreten und hat Präsident Hollande nur wenige Tage später diese geplante Verfassungsreform in Form eines Buchs regelrecht um die Ohren gehauen. "Ein Land muss doch wohl noch in der Lage sein, mit seinen eigenen Staatsbürgern klarzukommen", schreibt sie und fragt, "was wäre das für eine Welt", in der jede Nation seine gebürtigen Staatsbürger ausweist, sobald sie ihr unerwünscht sind. Sollen wir uns vielleicht eine Art Müllhalde vorstellen, wo wir diese Menschen dann abladen können?"
Politische Niederlage
Inzwischen scheint für das Vorhaben des Staatspräsidenten nicht mal mehr eine Mehrheit in der Nationalversammlung sicher zu sein - der Riss geht durch alle Parteien, Dutzende bei den Sozialisten und bei den Konservativen könnten gegen die Vorlage stimmen. Um so unwahrscheinlicher wird deswegen von Tag zu Tag, dass der Kongress – die Vereinigung der Abgeordneten aus Nationalversammlung und Senat – dieser Verfassungsänderung in einigen Monaten mit einer 3/5-Mehrheit wirklich zustimmen könnte. Für François Hollande könnte sich damit die schwerste politische Niederlage in seiner bald vierjährigen Amtszeit abzeichnen - und dies zu einem Zeitpunkt, da de facto bereits der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2017 in Gang kommen wird.