Den heutigen Bilder- und Denkmalsstürmern wird von ihren Kritikern vorgehalten, dass sie das Gewicht von Namen weitaus überschätzen. Zum Beispiel erinnert eine Kantstrasse an einen grossen Philosophen, und ausser Fachleuten wird kaum jemand die Frage beantworten können, ob dieser Denker tatsächlich ein Rassist war. Aber natürlich kann man sich auch ohne Sachkenntnis darüber ereifern. Dabei könnten allerdings Themen von weit grösserer Bedeutung übersehen werden.
Denn es gibt andere Symbole mit ganz anderen Bindekräften als Strassennamen. Nationalflaggen zum Beispiel. Hinter ihnen versammeln sich die Staatsangehörigen. Wie wäre es, die Fahnen der USA oder der ehemaligen europäischen Kolonialmächte, also der heutigen demokratisch verfassten Staaten, schlicht und einfach deswegen zu verbieten, weil in ihrem Zeichen Verbrechen begangen worden sind? Und religiöse Symbole wie das Kreuz des Christentums sind nicht besser.
Was bliebe, wenn auf all diese kontaminierten Symbole verzichtet werden sollte? Ironisch liesse sich sagen, dass wir das Christentum ohne Kreuz schon haben. Pfarrerinnen und Pfarrer erzählen heutzutage lieber von ihrem letzten Urlaub als von den Tiefen und Untiefen des christlichen Glaubens, der eben nicht nur aus Nettigkeiten besteht. Mit dem Schwinden christlicher Symbole schwinden wichtige Fragen.
Wie problematisch auf staatlicher Ebene der Verzicht auf Symbole ist, erweist sich immer wieder an der deutschen Bundeswehr. Es gibt kaum einen General des 1. und insbesondere des 2. Weltkriegs, der in jeder Weise als Vorbild dienen könnte. Die wichtigsten Namen, die als Symbole für die „Traditionspflege“ dienen könnten, sind kontaminiert. Entsprechend werden jetzt wieder Kasernen umbenannt. Aus dieser Not haben nicht wenige Soldaten die falsche Tugend gemacht, dass sie NS-Devotionalien heimlich in ihren Kasernen untergebracht haben.
Wir brauchen Symbole, denn ihre Kraft liegt darin, dass sie Menschen vereinen. Symbole sind mehr als wohlgesetzte Ansprachen und kluge Argumente. Sie gehen unter die Haut. Die jubelnden Trump-Anhänger mit ihren amerikanischen Winkflaggen mögen ein abschreckendes Beispiel sein, aber daran kann man aktuell besonders gut studieren, wie das funktioniert. Keine noch so gut gemeinte Pädagogik könnte derartigen Stolz und Begeisterung entfachen.
Wir kommen nicht ohne Symbole und symbolische Leitfiguren aus. Und es ist keine Frage, dass einige Sklavenhändler, Kolonisatoren oder Kriegsverbrecher aussortiert gehören. Aber es dürfte keine bedeutende Gestalt der neueren Weltgeschichte geben, die nicht auch sehr tiefe Schatten geworfen hätte. Man macht es sich zu einfach, wenn man nur Lichtgestalten anerkennen wollte. Vielleicht könnte man auch einmal über die eigenen dunklen Seiten nachdenken.
Strassennamen lassen sich leicht auswechseln. Statt Kant also Carl von Ossietzky. Aber wenn es um nationale und kulturelle Identität geht, wird man ohne unerwünschte Einblicke keine Symbole finden.