Über die Wahl des Begriffs «Alternative Fakten» zum Unwort des vergangenen Jahres braucht man sich nicht lange den Kopf zu zerbrechen. Der Begriff geht auf die Beraterin des Lügenbarons Trump, Kellyanne Conway, zurück. Sie hat nachweisbare Tatsachenverdrehungen (wie den zahlenmässigen Publikumsaufmarsch bei Trumps Amtseinsetzung) kurzerhand als «alternative Fakten» gerechtfertigt. Natürlich haben Trump und seine Sprachrohre die bewusste Verdrehung von Fakten nicht erfunden. Aber kaum je zuvor ist in einer Demokratie dieses Geschäft von oberster Stelle derart hanebüchen, notorisch und schamlos betrieben worden.
Beim Begriff «Genderwahn», dessen Gebrauch die Gesellschaft für deutsche Sprache und Dichtung ebenfalls als unangemessen rügt, liegen die Dinge komplizierter. Mit diesem Ausdruck würden «in konservativen und rechtspopulistischen Kreisen zunehmend Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit in undifferenzierter Weise diffamiert», heisst es in der Verlautbarung vom Januar. Schaut man sich aber einige konkrete Fälle etwas näher an, bei denen von «Genderwahn» die Rede war oder ist, dann verlaufen die Fronten weniger eindeutig.
Beispiel North Carolina
Nehmen wir den Fall von North Carolina. In diesem US-Einzelstaat wurde vor zwei Jahren vom Parlament beschlossen, dass Transgender-Personen in öffentlichen Gebäuden diejenige Toilette zu benützen hätten, die ihrem in der Geburtsurkunde festgehaltenen Geschlecht entspreche. Aufschrei bei der Transgender-Lobby und ihren Anhängern: Dies sei eine unakzeptable Diskriminierung der Minderheit des dritten Geschlechts.
Hollywood-Stars, Filmorganisationen, Musiker und andere Prominenz drohten mit Boykott-Massnahmen gegen North-Carolina. Die republikanische Mehrheit im Parlament liess sich von den Protesten beeindrucken und hat inzwischen das WC-Gesetz zurückgenommen. Als distanzierter Beobachter darf man zumindest die Frage stellen: Auf welcher Seite liegt nun in diesem Streit der Transgenderwahn? Vielleicht auf beiden?
Abschaffung von «gegenderten» Anreden?
Noch ein Beispiel. Die Vorsitzende der Jungen Union (CDU) in Hamburg, Antonia Niecke, hat im vergangenen Herbst den Antrag an die Regierung Merkel gestellt, dass alle sogenannt geschlechtergerechten oder «gegenderten» Anreden wieder abgeschafft werden sollten. Das sei nur eine «Verkomplizierung, die nicht sein muss», erklärte die Jungpolitikerin. Zur tatsächlichen Gleichstellung trage es nichts bei, «wenn man von Bürgerinnen und Bürgern spricht, statt das generische Maskulinum zu verwenden». Ist das nun eine diffamierende Attacke (im Sinne des Genderwahn-Vorwurfs) gegen die anzustrebende Geschlechtergerechtigkeit, oder einfach ein vernünftiger Vorschlag zu einem pragmatischen Sprachgebrauch?
Bedürfnisse der «Maskulisten»
Doch es gibt bei dieser vielschichtigen und vorläufig uferlosen Debatte um Gendergerechtigkeit und Genderwahn nicht nur um Anliegen von weiblicher Seite. Auch Männer fühlen sich mitunter benachteiligt und fordern mehr Verständnis in der Gesellschaft für ihre Rechte und Bedürfnisse. Aktivisten auf diesem Gebiet bezeichnen sich – offenbar inspiriert vom Begriff der Feministinnen – als «Maskulisten», wie man beim Stöbern im Internet durch die entsprechenden Sprachfelder erfährt. Auch sie sind nicht geschützt gegen den Vorwurf des «Genderwahns» – auch weil sie selber damit operieren, wenn es darum geht, der Gegenseite Hysterie vorzuwerfen.