Dieses Grundgefühl ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Nicht jeder verfügt darüber in gleichem Masse, aber es gibt erfreulich viele, die grosse Sorgfalt in ihren Ausdruck legen. Und natürlich wollen sie richtig schreiben und stören sich an Schreibfehlern anderer.
Ist das Besserwisserei? Oder laufen zu viele Oberlehrer herum? Das mag eine Rolle spielen und denjenigen als Erklärung völlig ausreichen, die noch nie unter schlechter Sprache gelitten haben. Die Sensibleren aber wissen, dass sprachliche Fehler ebenso Schmerzen bereiten können wie Misstöne in der Musik. Sprache ist eben mehr als ein beliebiges Transportmittel für Informationen.
Als Medium enthält die Sprache eine Vielzahl von Botschaften, die über den reinen Informationsgehalt hinausgehen. „Der Ton macht die Musik“, sagt man, um klarzumachen, dass ein- und derselbe Satz sehr unterschiedlich aufgefasst werden kann, je nachdem, wie er vorgebracht wird. Und wenn jemand eine E-Mail ohne Punkt und Komma und ohne alle Rechtschreibregeln verschickt, dann ist das so, wie wenn er auch zu gehobenen Anlässen grundsätzlich nur in kurzen Hosen erscheint. Man nennt so etwas stillos.
Wer sich für seine Mitteilung keine Mühe gibt, sendet damit das Signal der Wurschtigkeit aus. Der dafür empfindliche Empfänger fragt sich, was dem Sender denn überhaupt wichtig ist, wenn ihm die Form seiner Nachricht offensichtlich so gar nichts bedeutet.
Nun fallen auch bei relativ sorgfältig formulierten Texten immer wieder Schreib- und Kommafehler auf. Sie wirken wie Kratzer auf einer blank polierten Oberfläche. Die Fläche kann noch so gross sein und der Kratzer noch so klein: Man muss immer wieder auf den Kratzer gucken.
Dabei spielt mehr als ein rein ästhetisches Empfinden eine Rolle. Denn Kognitionspsychologen haben herausgefunden, dass wir bei Texten zuallererst die Grammatik verstehen müssen. Wir müssen also wissen, was das handelnde Subjekt ist, was die Handlung, wen sie betrifft, und so weiter. Fehler erschweren dieses Verständnis. Das merkt man sofort, wenn zum Beispiel Adjektive gross und Substantive klein geschrieben werden.
Überlegungen dieser Art können im Zeitalter der Kurzmitteilungen etwas altbacken wirken. Die meisten Kurzmitteilungen aber sind eher mit einem Grunzen zu vergleichen, weit unterhalb der üblichen sprachlichen Komplexität.