Die Porträts von Stefan Moses sind mehr als nur perfekt. Sie handeln davon, was es heisst, Menschen vor der Kamera zu sich selbst zu führen. Man nimmt teil an diesen magischen Momenten unverstellter Begegnung. - Das Kunstforum Regensburg widmete Stefan Moses den Lovis-Corinth-Preis 2014 und zeigt jetzt eine Ausstellung seiner Porträts.
Begegnungszauber
Seinem begleitenden Essay im Begleitband hat Christoph Stölzl den Titel „Begegnungszauber“ gegeben. Besser lässt es sich nicht ausdrücken. Dieser Zauber wirkt je länger, desto stärker.
Im Laufe seines Lebens hat Stefan Moses verschiedene Mittel verwendet, um eine Begegnung zu gestalten. Zum Beispiel benutzte er ein graues Filztuch, das er an beliebigen Orten aufspannte. Dieses denkbar einfache Requisit erzeugt gleich mehrere verblüffende Effekte. Es sieht aus wie eine kleine Bühne. Diese Bühne befindet sich in einer Strasse oder vor einem Gebäude. Auf manchen Bildern ist die Umgebung zu sehen, auf manchen nicht. Mit einem einfachen Tuch wird eine Verfremdungssituation erzeugt.
Betrachtet man die Menschen, die zumeist auf dem vorderen Teil des Filztuchs stehen, merkt man, dass sie sich dieser Verfremdung äusserst bewusst sind und damit sehr gut umgehen können. Manche sind amüsiert, gelöst und heiter, andere wirken ernster, aber alle scheinen es geradezu zu geniessen, eine „Rolle“ zu spielen: eine Rolle, die sie selbst sind. Und tatsächlich, manche spielen auch Mikroszenen, die wie Hologramme ihres Lebens wirken.
Wie ist Stefan Moses auf diese Idee gekommen? Nach dem Krieg, 1947, wurde er am Nationaltheater Weimar für drei Jahre Theaterfotograf. Dort begegnete er Bertolt Brecht. Und Brecht benutzte ein Filztuch zur spärlichen Bühnengestaltung. Das gab den Anstoss. Dazu kommt die schier unendliche Menschenfreundlichkeit von Stefan Moses. Er ist ein Genie der Freundschaft. Wenn er Menschen begegnet, sind die eigentlichen Aufnahmen geradezu nebensächlich im Verhältnis zu den Gesprächen, die er mit ihnen führt.
"Pictor doctus"
Sein glückliches Naturell wurzelt nicht in einer behüteten und glücklichen Kindheit. Ganz im Gegenteil. Sein Vater starb, als er vier Jahre alt war. Die Nationalsozialisten machten seiner Mutter und ihm als Juden zusätzlich das Leben schwer. Er musste das Gymnasium frühzeitig verlassen und begann eine Lehre als Fotograf. Schon als Kind hatte er dafür seine Leidenschaft entwickelt. Aber diese Lehre fand ein Ende, als er interniert und gegen Kriegsende zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde.
Zeitweilig hat Moses mit dem Gedanken geliebäugelt, Deutschland in Richtung Amerika zu verlassen. Ein Onkel hatte schon das dafür Notwendige veranlasst und war ziemlich verärgert, als Moses sich statt dessen in München niederliess. Der liebe Gott habe ihn dahin geschickt, sagte er später und meint damit, dass er dort überreichlich mit geistigen Anregungen gesegnet war. Bis heute betont Stefan Moses, dass er in der Ainmillerstrasse eine Wohnung mit einem der damals renommiertesten Fotografen teilte: Herbert List.
In diesen Kreisen erwarb sich Moses schnell den Ruf eines "pictor doctus", denn er las unersättlich nicht nur die ihm während der NS-Zeit verschlossene Literatur, sondern auch die zentralen Werke der Kunstgeschichte. Und er suchte Malerinnen und Maler auf, um sie zu porträtieren. Dabei hatte er wieder eine Idee, die vom Theater inspiriert war: Masken. Jeder sollte irgendetwas nehmen, das ihm als Maske geeignet schien: eine Schere, eine Zeichnung oder was auch immer. Und so entstanden wieder Mikroszenen von grosser Tiefe oder auch nur von unnachahmlicher Komik.
Immer wieder inszenierte Stefan Moses Menschen vor Spiegeln. Genauer müsste man sagen: Er liess sie sich selber inszenieren und gab ihnen auch noch einen Fernauslöser in die Hand. Stefan Moses stellte nur die Bühne in Gestalt der Spiegel zur Verfügung. Diese Bilder wirken wie eine Parodie auf die Fotografie: Der Fotograf wird „im entscheidenden Augenblick“ gar nicht mehr gebraucht. Man sieht schon: Moses ist auch als Denker nicht zu unterschätzen.
Die Porträts im Wald
Ein völlig anderes Konzept verfolgten die Waldspaziergänge mit Politikern und Künstlern. Der Wald provoziert auf seine Weise. Und man kann sich gut vorstellen, wie sich Stefan Moses mit seinen Gästen unterhielt, wie man gemeinsam einen Platz suchte, der den richtigen Rahmen abgab, wie Gesten probiert wurden oder man es ganz beim Spontanen beliess. In jedem Falle erfordert der Wald eine Antwort.
Ganz anders wieder die Porträts der Emigranten. Dass Moses hier ein Thema hatte, das ihn ganz besonders berührte, muss nicht betont werden. Wieder und wieder suchte er sie auf und hielt mit der Kamera auch fest, wie sich ihr Leben im Alter und in zum Teil sehr bescheidenen Umgebungen gestaltete. Und schon als junger Fotograf, konnte er den prominentesten aller deutscher Emigranten porträtieren: Thomas Mann bei dessen Besuch in Weimar aus Anlass des Goethe-Jahrs 1949. Diese Bilder waren nicht inszeniert, sondern entstanden aus der Situation heraus.
Die Ausstellung im „Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg“ hängt mit der Verleihung des Lovis-Corinth-Preises 2014“ an Stefan Moses zusammen. Dieser Preis wird seit 1974 verliehen, und zu den Preisträgern gehören Maler wie Karl Schmidt-Rottluff und Oskar Kokoschka. Stefan Moses ist der dritte Fotograf, der mit diesem Preis ausgezeichnet wird.
In der Ausstellung und in dem vorzüglichen Begleitband, der im Kehrer Verlag erschienen ist, liegt der Schwerpunkt auf den Porträts von Stefan Moses. Moses war zugleich – und im Bild von Thomas Mann klingt das an – ein vorzüglicher Reportage-Fotograf. In dem Essay von Christoph Stölzl und in der verdienstvollen Biographie von Matthias Harder am Ende des Bandes kommen diese Seiten zum Ausdruck. Moses war für die deutsche Fotografie, aber auch international, zusammen mit seinen Kollegen Thomas Höpker, Robert Lebeck und Max Scheler stilbildend.
Diese Ausstellung und der dazu gehörende Katalog liegen ein wenig abseits des Mainstreams. In gewisser Weise gilt das auch für die Ausstellung, die im vergangenen Oktober im Museum Küppersmühle in Duisburg von Barbara Klemm und Stefan Moses gezeigt wurde. Aber Kenner und Sammler werden den neuen Katalog auch wegen der vorzüglichen Reproduktionen schätzen.
Ausstellung: Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg bis 31. Mai 2015
Katalog: Stiftung Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg (Hrsg.), Stefan Moses, Kehrer Verlag, Heidelberg, Berlin, 2015