Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer jüngsten Bundestagsrede die Mahnung ausgesprochen: „Politiker, die wie wir hier Verantwortung tragen, sollten sich in ihrer Sprache mässigen.“ Und sie fuhr fort: „Wenn auch wir anfangen, in der Sprache zu eskalieren, gewinnen nur diejenigen, die alles immer noch klarer und einfacher ausdrücken können.“ – Grosser Beifall.
In den Berichten hiess es dann, Angela Merkel habe sich gegen „sprachlichen Extremismus“ ausgesprochen. Sogleich meldete sich darauf Bezug nehmend die Verbandspräsidentin des Bayerischen Lehrerverbandes, Simone Fleischmann, mit einem Manifest gegen Sprachverrohung zu Wort und kündigte an, dass nun an den bayerischen Schulen dafür gesorgt werden solle, dass auch die Schüler sich verbal mässigen. Konsens, Konsens.
Dieser Konsens aller Wohlmeinenden von der Kanzlerin zur Verbandspräsidentin hält aber nur so lange, wie keiner genau hinschaut. Was ist eine sprachliche Eskalation? Für die Verbandspräsidentin ist völlig klar, dass es sich dabei um diskriminierende und herabsetzende Äusserungen handelt. Das ist aber alles andere als neu. Seit Jahrzehnten wird das Thema unter dem Label „Political correctness“ behandelt und hat uns die schönsten Stilblüten beschert.
Auch Frau Merkel ist schlecht beraten. Sie müsste den Spiess umdrehen. Denn die Sprache könnte ja auch dazu dienen, „diejenigen, die alles immer noch klarer und einfacher ausdrücken können“, überhaupt erst zur Klarheit zu zwingen. Wenn zum Beispiel von einem gewissen bayerischen Parteivorsitzenden penetrant „Obergrenzen“ für die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen gefordert wird, dann wäre die sprachliche Implikation zu klären, dass Grenzen gezogen werden müssen. Wer zieht die Grenze wie und mit welchen Mitteln? Zäune, Schiessbefehle, Lager? Das Wort von der Obergrenzen liesse sich schnell entzaubern.
Das Zurückschrecken vor sprachlicher Eskalation bringt gar nichts. Man sollte die Eskalation benutzen, um die Folgen der verbalen Kraftmeiereien zur Sprache zu bringen. Das sind doch die Fallstricke, in denen sich derzeit Donald Trump immer wieder verfängt. Und wenn Politiker, die, wie Merkel so schön sagt, „Verantwortung tragen“, sprachlich eskalieren oder zuspitzen – wo liegt hier der Unterschied? – bieten sie offene Flanken des Erklärungsbedarfs. Die gilt es zu nutzen.
Und die Lehrer seien an den Ethnologen Hans Peter Duerr erinnert. Seit Jahrzehnten weist er darauf hin, dass die Menschen nicht besser geworden seien, sondern nur „Besser-Redner“. Keiner ist mehr ein Rassist, aber man macht sich Sorgen wegen gewisser genetischer und kultureller Unterschiede ... Und vielleicht heisst es in gewissen Kreisen eines Tages nicht mehr: „Ausländer raus!“, sondern politisch korrekt und nicht-eskalierend: „Nichts gegen Ausländer, so lange sie sich in Grenzen halten.“