Das Publikum lässt den Schweizer Film im Stich. Und umgekehrt. Die Fördermillionen verpuffen. Als Gegenmittel haben die Verantwortlichen das Ei des Kolumbus entdeckt: Es braucht der Millionen mehr. Im Ernst. Tatsächlich sieht der Ernstfall anders aus.
Von den 651 neuen Filmen des vergangenen Jahres erblickten 76 – knapp jeder neunte – das Licht der Kinowelt und erzielten 650’000 Eintritte. Das gelang früher einzelnen Produktionen locker allein. «Schweizer Film» galt als Gütesiegel. Es herrschte Begeisterung, auch im Ausland. Die Filme trafen den Nerv der Zeit und entfachten Kontroversen bis ins eidgenössische Parlament. Tempi passati.
Stand der Dinge
2023 betrug der Marktanteil in der Schweiz 6,3%, was dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre und eben 650’000 Kinoeintritten entspricht.
Schweizer Filme gewinnen Schweizer Filmpreise. Bei internationalen Wettbewerben hapert es mit dem künstlerischen Durchsetzungsvermögen. Es genügt für Auszeichnungen bei thematisch eng fokussierten Festivals. Die letzten grossen Ehrungen durch wichtige Festivals wie Cannes, Berlin und Locarno sowie durch Hollywood mit einem «Oscar» liegen Jahre und Jahrzehnte zurück. Einen «Goldenen Löwen» aus Venedig gab es nie.
Das sind alles andere als berauschende Fakten. Umso weniger, als 70% der Kinoeintritte auf fünf Filme entfielen, nämlich auf «Bon Schuur Ticino», «Die Nachbarn von oben», «Der Bestatter», «Last Dance» und «Giacometti». In die restlichen 30% teilten sich 71 Produktionen, was pro Film statistisch 3’000 Kinoeintritte ergibt. Das ist nahe bei der Klassierung «unter Ausschluss der Öffentlichkeit».
Mehr ohne Mehrwert
Im kulturellen Leben ist der Schweizer Film ein Dornröschen. Trotz einer markanten Zunahme der jährlichen Produktionen. Jeden Werktag zwei neue. Es gelingt der Förderung seit Jahren nicht, die Qualität unserer Filme nennenswert zu heben und deren Resonanz eindrücklich zu verstärken.
Die reflexartig vorgebrachten Erklärungsversuche mit der Pandemie und den zu spärlich dotierten Budgets greifen ins Leere. Die Ursachen sind dem Fördersystem immanent. Das erhellt sich am Beispiel des Bundes klar.
Statt Kunst die Kunst, es allen recht zu tun
Es ist möglich und sinnvoll, Begabte zu fördern. Aber es ist unmöglich und sinnlos, Unbegabten zur Begabung verhelfen zu wollen. Sie ist ein genetisches Geschenk und mit keinem Geld erwerbbar.
Das ist gewiss ungerecht. Doch ohne diese Ungerechtigkeit gäbe es keine Kunst, die uns vor Glück den Atem raubt.
Diese Betrachtungswinkel fällt dem Bundesamt für Kultur und seiner Sektion Film schwer. Sie üben sich wider alle Erfahrung in der Kunst, es allen recht zu tun. Mit Genderkorrektheit und der verwaltungstypischen Risikoaversion.
Bürokratie in Fahrt
Während Jahren hinweg fanden die Subventionsbedingungen auf zwei A4-Seiten Platz. Heute ist es ein Aktenstoss, der einen Bundesordner füllt. Einst genügten für die Filmförderung 250 Stellenprozente, jetzt sind es sechs Mal mehr. Dazu passt die labyrinthische Website des Bundesamtes für Kultur.
Die Bürokratisierung nahm Fahrt auf zwecks Eindämmung der Gesuchslawine und Absicherung nach allen Seiten. Vergebens. Die Projektflut steigt wegen der Fehlanreize, das Wagnis gehört zum Erbgut des Films.
Drehung um die eigene Achse
Die vom Bund finanzierte Förderung lässt sich beschreiben als selbstreferenzielles System, das die Filmschaffenden faktisch steuern, die Filmschulen inflationär mit Gesuchstellern versorgen und gescheiterte Filme zuverlässig als notwendig bestätigen.
Auf den Punkt gebracht fördert die Filmförderung sich selber und dient der Strukturerhaltung. Mit jährlich 150 Millionen Franken. Mit rund 50 Millionen trägt der Bund die Hauptlast.
Dem Durchschnitt eine Chance
Um sie zu schultern, knüpfte der Bund ein engmaschiges Netz aus Kriterien, die teils irritieren und sich teils gegenseitig aufheben.
Deshalb führt die Begutachtung der Projekte zu Kompromissen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das bevorteilt innovativ enthaltsame Vorhaben und benachteiligt solche mit Kanten und Kühnheit.
Das selbstreferenzielle System ist auch personell stabilisiert. Die Fachkommissionen, die Schlüsselstellen für die Förderung, setzen sich zusammen aus im Schweizer Film verwurzelten Personen. Eine Aussensicht fehlt. Alle sind sich naturgemäss wechselseitig direkt oder indirekt in Abhängigkeit verbunden, Ausstandsregeln hin oder her.
Leitstern Diversität
Über der Filmförderung leuchtet als Leitstern die Diversität. Sie stattet Regisseurinnen, Nachwuchsregisseurinnen und Nachwuchsregisseure mit dem Privileg der prioritären Förderung aus.
Gerade noch geduldet sind Regisseure, auch erfahrene mit Leistungsausweis. Die Gleichbehandlung wird zur Ungleichbehandlung mit diskriminierten Männern. Regisseurinnen und Nachwuchskräfte geniessen bei der Subventionsverteilung den VIP-Status. Keine Frage: Diversität ist zwingend, aber nur bis an die Grenze zu Absurdistan.
Kunstferne Prämissen
Die Huldigung des Zeitgeistes vollendet sich mit kunstfernen Kriterien. Filme müssen in der Produktion einen «schonenden Umgang mit den Ressourcen» pflegen und in Kinos und an Festivals mit «barrierefreiem» Zugang gezeigt werden.
Überdies gebieten die Vorschriften, dass die zur Förderung empfohlenen Projekte die «kulturelle Vielfalt» spiegeln und ausgewogen aus den «verschiedenen Sprachregionen» stammen. Das tönt gut, erweist sich indessen als fatal.
Anordnung zum Duckmäusertum
Den Vogel schiesst die Bestimmung ab, die Filme hätten beizutragen «zur gesellschaftlichen Kohäsion». Wehe, ein Film liefert Steine des Anstosses für hart die Geister scheidende Diskussionen. Für Filmschaffende gilt die Order eines preussischen Generals der Kavallerie – «Ruhe ist die erste Bürgerpflicht» – und nicht die Bundesverfassung mit ihren Freiheitsrechten.
Am Publikum vorbei
Keine der kategorischen Auflagen trifft die Motive, weshalb sich das Publikum für Filme interessiert: Wegen einer spannenden Geschichte, einer bestechenden Inszenierung, brillanter Schauspielerinnen und Schauspieler, faszinierender Bilder, einer packenden Musik und emotionaler und intellektueller Impulse.
Ausholzen und entsorgen
Haben sich die Fachgremien fürs Erste auf eine Auswahl der zu unterstützenden Projekte verständigt, folgt das ideologische Ausholzen.
Auch künstlerisch überzeugende Vorhaben, die sich nicht mit der smarten Weltanschauung decken, fliegen raus. Kein Geld ohne gesellschaftliche Kohäsionsleistung, ohne bestandene Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne Auswertungsplanung mit barrierefreien Kinos und Festivals.
Gefördert wird nicht für Cinéphile und das breite Publikum, sondern für die Statistik. Eine aus dem Lot geratene Geschlechter- und Nachwuchsparität verlangt die Eliminierung der als störend beurteilten Projekte und den Ersatz durch quotengerechte. Ist eine Sprachregion untervertreten, werden zu deren Gunsten Projekte aus dominierenden Regionen geopfert. Wenn nicht schon vorher im Einklang mit der Lastenrad-Denkschule entsorgt worden ist.
Eine dem erziehenden Staat genehme Statistik generiert Filme für ein Nischenpublikum und einen konstant geringen Marktanteil.
Betreutes Kulturverhalten
Die Erfolgskomponenten, nämlich künstlerische, dramaturgische und professionelle Qualitäten, werden ausgehebelt mit für die Attraktivität eines Films unerheblichen Kriterien wie Geschlecht, Alter und sprachregionale Herkunft der Regisseurinnen und Regisseure.
Weil für ein Ja oder Nein zu einem Bundesbeitrag zusätzlich das patriotische, ökologische und inklusive Wohlverhalten massgebend sind, verschiebt sich der Film von der freien Kunst ins betreute Kulturverhalten und von der Förderung in die Protektion.
So oder so
Hinter diesem Irrtum steckt nicht allein die als zeitgemäss begriffene Tugendhaftigkeit, sondern auch die Absicht, für die Teilhabe am Subventionssegen möglichst viele Wege zu öffnen.
Wer an den Hürden der künstlerischen und professionellen Meisterschaft scheitert, behauptet sich wegen seines Geschlechts, seines jugendlichen Alters, seiner sprachregionalen Herkunft oder seiner emanzipierten Gesinnung.
Mit dem Gewirr der Subventions-Pfade vermindert sich die Berechenbarkeit der Förderung. Sie wird zur Lotterie und lädt Produzentinnen und Produzenten dazu ein, sich auch mit unausgereiften oder gar mangelhaften Projekten am Roulette zu beteiligen. Zur Wahrung der Chance auf Fortunas Gnade.
Konzentration aufs Wesentliche
Eine Förderung nach Moral, Gesinnung und Tombola-Prinzip entmündigt das Publikum und lenkt den Film in den Kindergarten für die obrigkeitliche Umerziehung.
Dieser in einem Land der Meinungsfreiheit unzumutbare Furor muss ein rasches Ende haben. Die Mitglieder der Fachkommissionen sollen wie einst um die besten kulturrelevanten Argumente für oder gegen ein Filmprojekt ringen.
Was keine Garantie für Erfolgsfilme ist, aber eine Gewähr für eine vitale Filmszene, die den Konkurrenzkampf mit künstlerischen Positionen und der in der Branche erforderlichen Professionalität führt.
Vom Jammer zum Jubel
Für die Wende von der irrlichternden Diversität zur taghellen Qualität reichen die Einsicht in kulturelle Selbstverständlichkeiten und ein Federstrich, um im Filmrecht die mit Moralin kontaminierten Kriterien zu tilgen. Zum Nutzen der Besten und nicht der Behüteten.
Der also befreite Film wäre dann wieder gleichgestellt mit der Bundesförderung der bildenden und angewandten Kunst, der Literatur und des Theaters.
Die erfreulichen Erlebnisse vor der Leinwand und dem Bildschirm würden zahlreicher. Mit dem politisch wichtigen Effekt, die Notwendigkeit der Filmsubventionen nicht mehr mit bejammerten Defiziten zu beweisen, sondern mit bejubelten Gewinnen fürs Publikum.
Priorität für Begabte
In der Konsequenz müssten die Verantwortlichen für die Förderung offenen Sinnes angestrengt nach Begabten suchen und ihnen so generös wie vertrauensvoll die freie Entfaltung sichern. Der Geist schlägt den Zeitgeist.