Die Burka drücke die Missachtung der Frau in einer vormodernen patriarchalischen Gesellschaft aus, so die Kritiker. Sie sei ein mobiles Gefängnis. Das trifft auch auf die christliche klerikale Kleidung zu – und nicht nur für Nonnen. Denn auch die Priester, Kardinäle und andere kirchliche Würdenträger werden durch ihre Kleidung ihrer Persönlichkeit und Freiheit beraubt.
Betonte Taille
Diese Freiheitsberaubung beginnt damit, dass diese Kleidung ihre Träger als sexuell Unberührbare kennzeichnet. Sie gehören buchstäblich einer anderen Welt an, in der Selbstbestimmung nicht vorgesehen ist. Sie unterstehen einer Hierarchie, in der jede Amtsgewalt auf übernatürliche Kräfte zurückgeführt wird.
Der katholische Theologe, Psychologe und Kirchenkritiker Eugen Drewermann hat sich in seinem Buch, „Kleriker. Psychogramm eines Ideals“ (1989) auch mit der Kleidung beschäftigt. So beschreibt er, wie die Kleidung bei den Männern dazu dient, jede Form der Männlichkeit zu verdecken: „Die Schultern werden in der Klerikerkleidung mit einem runden Tuch umhüllt, doch dieses Schultertuch dient gerade nicht der Betonung, sondern einzig der Verhüllung der männlichen Stattlichkeit – eine rundliche Form bildet sich ab, wie um nach Möglichkeit die eckige Statur eines Mannes, so gut es geht, durch rundere Formen zu mildern. Die Albe (bzw. die Soutane) verbirgt alles, was sonst noch am männlichen Körper beeindrucken könnte; dafür hebt ein Gürtel (das Zingulum oder die Binde der Soutane) die Taille wirkungsvoll ganz nach Art einer Frau hervor.“
Unbewältigte Sexualität
Weiter schreibt Drewermann: „Söckchen, Lackschühchen, Ringe, Kreuze und Spangen vervollständigen zusätzlich noch den effeminierten Gesamteindruck.“ Im Zusammenhang mit den Prozessionen in geistlicher Kleidung heisst es bei Drewermann: „Es ist eine Feier des vergeistigten Todes ... Jede sexuelle Erregung wird hier zu Grabe getragen, und was irgend als männlich erscheinen könnte, hüllt sich wie auf der Flucht vor sich selbst in ganz und gar weibliche Züge.“
Dieses Buch erschien Jahre bevor bekannt wurde, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche nicht die seltene Ausnahme, sondern allzu oft die Regel war. Offenbar war es der Kirche nicht gelungen, die sexuelle Erregung ihrer Amtsträger „zu Grabe zu tragen“. Wahrscheinlich wurde sie ungewollt gesteigert. Unter der geistlichen Kleidung kochte etwas hoch, das sich selbst mit den seit 2000 Jahren geübten Praktiken der Repression nicht im Zaum halten liess und sich prompt den übelsten aller Auswege suchte: die Perversion. Käme so etwas in einem normalen Verein vor, wäre der schon längst verboten worden.
Anpassung aus Schwäche
Gegen die Burka wird auch das Argument vorgebracht, dass der Islam nicht zu Europa gehöre. Er passe nicht zum aufgeklärten Denken, zur Toleranz, zu den Menschenrechten und den freiheitlichen Lebensformen. Das gilt aber auch für das Christentum. Europa ist ja gerade zu dem geworden, was es heute ist, indem es sich vom Christentum emanzipiert hat. Das Denken der Aufklärung richtete sich gegen die theologischen Dogmen und die Herrschaftsansprüche der Kirche. Wenn ihre Kleriker jetzt so tun, als fänden sie Gefallen am modernen Treiben, dann ist das lediglich eine notgedrungene Anpassung aus Schwäche. Dass die Kirche auch ganz anders auffahren kann, zeigen die selbstbewussten Würdenträger der russisch-orthodoxen Kirche. Die würden den dekadenten Westen am liebsten mit Atombomben heimsuchen. Es ist nicht bekannt, dass sich westliche Würdenträger in der gebotenen Deutlichkeit von ihren östlichen Amtsbrüdern distanziert hätten.
Die evangelische Kirche fällt weniger durch ihre Kleidung auf, auch wenn ihre Würdenträger gerne in „selbstdesignten Klerikalklamotten“ herumlaufen, wie der Theologe Friedrich Wilhelm Graf schreibt. Doch durch den weitgehenden Verzicht auf die ausufernde Kleidungssymbolik der katholischen Kirche erspart sie sich die damit verbundene Auseinandersetzung. Die käme erst, wenn sich in Deutschland ein Laizismus wie in Frankreich etablierte.