Für die Reform stimmten am Dienstag 348 Parlamentarier, 274 stimmten dagegen und 36 enthielten sich der Stimme. Nach den beispiellosen Kampagnen von Youtube, Google und Facebook zur Mobilisierung des Protests dagegen haben die meisten Beobachter nicht mit einem derartig deutlichen Ergebnis gerechnet.
Desinformation
Im Kern geht es bei dieser Reform darum, dass die Betreiber von Internetplattformen dafür verantwortlich sind, dass urheberrechtlich geschützte Werke, die bei ihnen heruntergeladen werden können oder die verlinkt sind, nach entsprechenden Vereinbarungen mit den Anbietern vergütet werden. Mit gezielten Desinformationskampagnen wollten die dominanten Internetkonzerne eben dies verhindern.
Deswegen setzten sie die falsche Behauptung in die Welt, dass die Regelungen für Vergütungen zu teuer und zu kompliziert wären und vor allem dass sie sogenannte Upload-Filter einsetzen müssten, um nicht versehentlich gegen das Urheberrecht zu verstossen. Dies wiederum führe zu einer extremen Ausdünnung des Angebots, worunter die Nutzer zu leiden hätten. Dabei wird verschwiegen, dass auch jetzt schon Upload-Filter eingesetzt werden und sich Vergütungssysteme so effizient gestalten lassen, dass es zu keinen unnötigen Blockaden von Inhalten kommt.
Zur Desinformation gehört auch die Behauptung, dass die neue Regelung für die Vergütungen für kleinere Anbieter von Plattformen zu teuer und daher ruinös sei. Das ist falsch. Denn kleinere Anbieter sind von der Vergütungsverpflichtung innerhalb gewisser Grenzen ausgenommen.
Mobilisierung
Mit diesen falschen Behauptungen wurden im Internet Millionen von Nutzern mobilisiert. Diese schickten E-Mails an Politiker und veranstalteten Demonstrationen. Allein am vergangenen Wochenende sollen in diversen Städten Zehntausende demonstriert haben. Weil den Internetkonzernen das aber noch nicht ausreichte, liessen sie Hunderttausende gleichlautender Mails an die Parlamentarier senden. Selten dürften Politiker vor einer Abstimmung derartig unter Druck gesetzt worden sein wie diesmal. In Deutschland gab es Kampagnen von Internetnutzern, die im Falle der Zustimmung zur Urheberrechtsreform insbesondere die SPD und CDU für unwählbar erklärten.
Jetzt müssen noch die Mitgliedsstaaten der EU den Beschluss des Europaparlaments bestätigen. Dies gilt als sicher.
Kulturkampf und Machtkampf
Die Auseinandersetzungen um die Urheberrechtsreform sind ein Kulturkampf und ein Machtkampf zugleich. So haben die Internetgiganten kein Interesse an unabhängigen und starken Printmedien. Indem sie auf deren Beiträge verweisen, ohne sie dafür zu entschädigen, sorgen sie für ihre immer weitere Schwächung. In Deutschland haben darauf insbesondere Mathias Döpfner von Springer und Julia Jäkel von Gruner + Jahr hingewiesen. In Zukunft sollen die Nutzer nur noch Inhalte beziehen, die in der Verfügungsmacht der Internetgiganten entstanden sind. Eine politische Kultur, die jenseits dieser Verfügungsmacht liegt, ist unerwünscht.
Ebenso unerwünscht sind Demokratien, die sich nicht dem Willen der Internetgiganten fügen. Deswegen wurden jetzt die unabhängigen Parlamentarier unter Druck gesetzt und zum Teil direkt bedroht, indem man ihnen klar machte, dass sie im Falle der Unbotmässigkeit einer beruflich höchst unsicheren Zukunft entgegengehen.
Nährboden der Demokratie
Mit der heutigen Abstimmung haben die Internetgiganten eine empfindliche Niederlage erlitten. Zeitlich betrachtet mag es ein Zufall sein, dass diese Niederlage mit den massiven Protestbewegungen und dem Widerstand zahlreicher Mitglieder des Unterhauses gegen die Brexit-Politik der Regierung von Theresa May einhergeht. Denn inzwischen ist gut dokumentiert, wie die Brexit-Kampagne von Facebook im Zusammenspiel mit Cambridge Analytica manipuliert wurde. Vielen von denen, die jetzt dagegen auf die Strassen gehen, ist inzwischen das Ausmass der Täuschung klar geworden.
Der Kampf um die Vergütung der Urheber künstlerischer Werke und journalistischer Beiträge hat ein neues Bewusstsein dafür geweckt, dass die Gratismentalität auf die Dauer die Kultur und die Demokratie zerstört.