Barytpapier wird immer knapper. Es gibt namhafte Fotografen wie Barbara Klemm, die Jahrzehnte damit gearbeitet haben und jetzt sagen, es gebe fast keines mehr. Entsprechend findet man im Internet nur noch wenige Angebote, die Preise sind stark gestiegen, und die Liefersituation ist wacklig.
Grund zur Trauer?
Auf Barytpapier wurden Schwarzweissbilder kopiert. Jahrzehntelang war es Standard, dann gesellten sich kunststoffbasierte Papiere hinzu, die im Labor weniger Aufwand erforderten. Das war eher etwas für Laien, die nicht allzu genau auf die Qualität achteten. Die Museen zeigten natürlich nur Fotos auf Barytpapier, und oftmals zierte diese die Aufschrift „Vintage Print“.
Allerdings litt die Qualität der Barytpapiere im Laufe der Zeit. Denn die Hersteller waren aus Umweltschutzgründen dazu gezwungen, den Anteil des Bromsilbers zu reduzieren. Stefan Moses beklagte sich schon in den 1990er Jahren darüber. Und unter denjenigen, die trotz des Siegeszuges der digitalen Fotografie noch wacker an den analogen Verfahren festhielten, verbreitete sich der Eindruck, dass auch die Qualität der Filme, möglicherweise auch die Qualität der Entwickler, nachliess. Das sorgte ebenso für Diskussionen wie die Frage, ob Filme unter den Röntgenstrahlen bei Gepäckkontrollen leiden. Einige sahen das so, andere nicht.
Fest steht jedenfalls, dass die digitale Fotografie die analoge immer mehr zu einem Nischenprodukt gemacht hat. Was das bedeutet, fällt den meisten Zeitgenossen nicht weiter auf. Die digitale Fotografie hat den Alltag erobert und sie ist enorm praktisch. Warum sollte man der analogen Fotografie nachtrauern?
Ausgeliefert sein
Der Regisseur und Fotograf Wim Wenders hat dieser Frage mehrere Essays, die seine Bildbände begleiten, gewidmet. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass gerade das Unpraktische und der Mehraufwand, den die analogen Bilder erfordern, eine Qualität ermöglichen, die im Digitalen völlig untergeht. Denn da die Anzahl der Bilder auf einem Film begrenzt ist, erfordert der Druck auf den Auslöser eine andere Entscheidung als bei einem potentiell unbegrenzten Speicherplatz. Und weil man ein Bild nach der Aufnahme nicht gleich begutachten kann, entsteht dazu eine andere Beziehung. Man muss warten, zweifelt und überlegt mehr. Und ein misslungenes Bild lässt sich nicht mit einem Klick entfernen, denn es ist auf einem Film dokumentiert.
Wenders beschreibt im Grunde den Zustand des Ausgeliefertseins. Die begrenzte Anzahl der Bilder, die fehlende Nachkontrollmöglichkeit vor Ort und das Warten auf die Bildresultate führen dem Fotografen vor Augen, mit welchen Unwägbarkeiten er es zu tun hat. In glücklichen Momenten fühlt er sich seiner Sache ganz sicher, aber die stellen sich auch bei sorgfältiger Arbeit nicht immer ein.
Verbessern und organisieren
Dieses Gefühl der Unsicherheit und des Ausgeliefertseins an Unwägbarkeiten ist in der digitalen Fotowelt weitgehend verschwunden. Selbst die Kameras in Mobiltelefonen bewältigen schwierigste Lichtverhältnisse, und da der Fotograf seine Werke sofort auf dem Display bewundern kann, sieht er sich in aller Regel bestätigt. Er fühlt sich weder verunsichert noch ausgeliefert.
In aller Regel macht er sich keine Gedanken darüber, dass dieser Komfort durch komplexe technische Systeme ermöglicht wird, von denen er, ohne es zu bemerken, restlos abhängig ist. Seine Herrschaft über das Bild ist eine Illusion. Ihn stört das aber nicht, weil er in einer perfekten Bilderwelt lebt.
Dazu mussten die Anbieter zwei Aufgaben lösen. Zum einen ging es um die Bildqualität. In ihren Anfängen war das digitale Bild dem analogen unterlegen, inzwischen macht es optisch enorm viel her, zumal die meisten Bilder auf elektronischen Endgeräten betrachtet werden. Der fabelhafte Eindruck wird durch immer raffiniertere Software kreiert. Die Verbesserung der Sensoren und der Objektive spielt dabei auch eine Rolle, aber der entscheidende Punkt liegt in der Software, die den Prozess von der Aufnahme bis zur Präsentation steuert. Deswegen fotografieren die meisten heutzutage mit ihren Smartphones, und die Hersteller anspruchsvoller Kameras kämpfen mit drastischen Umsatzrückgängen.
Hand in Hand mit der Bildqualität wurde das zweite Problem gelöst: die Organisation der Bilder. Dabei mussten ganz neue Wege beschritten werden. Denn die Erfahrung zeigt, dass die wenigsten Menschen begnadete Archivare sind. In Zeiten der analogen Fotografie stellte das kein besonderes Problem dar, denn es gab Familienalben und vor allem Schachteln. Damit blieben die Fotos, auch wenn sie nicht besonders gut organisiert waren, im Prinzip auffindbar. Aus diesem Grund hat so mancher Umzug dem einen oder anderen Hobbyfotografen die schönsten Wiederbegegnungen geschenkt.
Zwei ärgerliche Probleme
Digitale Fotos sind weitaus schwieriger zu organisieren. Wie wird welches Bild benannt, wo wird es so gespeichert, dass man es wiederfindet, und vor allem: Wo wird es dauerhaft gesichert? Bei diesen Fragen hat man es zudem mit einer grösseren Anzahl von Fotos als zu analogen Zeiten zu tun.
Die Entwickler von kommerzieller Fotosoftware, insbesondere des Marktführers Adobe, haben dem Thema der Organisation von Fotos neben der ständigen Verbesserung der eigentlichen Bearbeitungssoftware grösste Aufmerksamkeit gewidmet. In ihrer ursprünglichen Form waren diese Programme anspruchsvoll und erforderten eine gewisse Einarbeitung. Doch mit einiger Mühe und Disziplin erzielt man mit ihnen bis heute gute Ergebnisse.
Aber es gibt Probleme, die sich insbesondere am Programm Adobe Lightroom zeigen. Während man bei Adobe Photoshop die gespeicherten Fotos noch in diversen Ordnern auf externen Festplatten sichern kann, läuft Lightroom im Prinzip jeweils nur auf der Hauptfestplatte eines Rechners. Die jeweilige Festplatte kann zu klein sein. Noch ärgerlicher ist, dass die schönen Katalogdaten weitgehend verschwinden, wenn der Computer eines Tages seinen Geist aufgibt. Man kann sich zwar gegen diesen Datenverlust wappnen, aber das erfordert etwas überdurchschnittliche Kenntnisse, und man muss regelmässig daran denken.
Automatische Beschriftung
Folgerichtig bietet Adobe eine Cloud an, auf der alles wunderbar läuft. Lightroom greift nun nicht mehr ins Leere, wenn dieses Programm nach den Originaldateien sucht, die es so dringend braucht wie früher das Vergrösserungsgerät im Labor das Negativ. Wer sich längere Zeit mit diesen Problemen herumgeschlagen hat, wird diesen Vorteil sehr zu schätzen wissen. Und eine Cloud erscheint allemal sicherer als der heimische Computer.
Und auch für das Katalogisieren haben sich die Entwickler einiges einfallen lassen. Ein Smartphone und eine moderne Kamera sind heute mit GPS ausgestattet. Jedes Foto ist mit entsprechenden Daten versehen. Adobe, aber auch andere Anbieter wie Apple mit iPhoto, das auf neueren Betriebssystemen als "Apple Fotos" läuft, machen daraus Beschriftungen. Dazu gibt es Gesichtserkennungssoftware, die nur einmalig mit Namen gefüttert werden muss. Da das Aufnahmedatum sowieso gespeichert wird, hat man nun schon fast alle Angaben, die man für einen perfekten Katalog braucht.
Das Wunder der KI
Und die Bilder selbst? Selbstverständlich werden die automatisch verbessert und mittels einer speziellen KI, wie Adobe wirbt, zu ansehnlichen Sammlungen zusammengestellt. Apple macht das natürlich auch. Da kann nichts mehr schiefgehen.
Die meisten Funktionen kann der Nutzer deaktivieren, seine Fotos entsprechend selbst bearbeiten und seine Kataloge selbst zusammenstellen. Dazu muss man nur ein bisschen im Neinsagen geübt sein. Aber seit Ende 2019 gibt es bei Adobe eine Neuerung, die zu denken gibt und auf merkwürdige Weise daran erinnert, dass etwa zur selben Zeit der Bezug von Barytpapier extrem schwierig, wenn nicht unmöglich geworden ist. Diese Neuerung besteht darin, dass es das Programm Lightroom nicht mehr zu kaufen, sondern nur noch zu mieten gibt. Bislang konnte man Lightroom Classic kaufen und auf seinem Rechner installieren. Das geht jetzt nicht mehr. Zwar kann man das Programm weiterhin lokal nutzen, also auf seinem Rechner installieren und dort belassen, aber man muss monatlich für das Abo zahlen.
Zum Besten des Nutzers
Die Beträge sind gering und die Vorteile, wie Adobe versichert, gross. Aber man ist Adobe ausgeliefert. Man kommt sich vor wie ein Gast, dem versichert wird, dass er jederzeit nach Hause gehen kann, „aber den Hausschlüssel lassen wir erst einmal hier.“
Wenn man nicht aufpasst und die entsprechenden Häkchen tilgt, überlässt man seine Fotos den Anbietern auch für alle möglichen Auswertungen. Selbstverständlich werden die Fotos nur zum Besten der Nutzer ausgewertet. Dieses „Beste“ besteht darin, dass die angelieferten Fotos zur Verfeinerung der Programme genutzt werden, die der „Optimierung“ dienen. Kein Blinzeln mehr bei einer Gruppenaufnahme, überhaupt werden alle noch ein bisschen zurechtgerückt, so dass das Foto den gängigen ästhetischen Normen entspricht. Ähnliches geschieht bei Landschaftsaufnahmen – und so weiter. Verpatzte Fotos von Sonnenuntergängen gibt es nicht mehr.
Was mit der Fotografie geschehen ist, geht weit über den Ersatz eines Speichermediums durch ein anderes hinaus. Die alte analoge Technik mit ihren Filmen, Baryt- und anderen Papieren hatte mit all ihren Schwächen und Risiken einen völlig anderen Charakter als die heutige digital vernetzte Perfektion, die den Fotografen zwar nicht überflüssig, aber austauschbar macht. Er liefert nur noch die Rohdaten für die schöne neue Bilderwelt.