Provokationen stellen gängige Schönheitsvorstellungen in Frage. Dies geschieht meistens dadurch, dass sie schlicht und einfach zertrümmert werden. An die Stelle des Schönen treten die Karikatur, die Persiflage oder gleich der Trash. Das ist dann der Punk.
Der Mode-Designer Alexander McQueen war ein Rebell durch und durch, aber die Grenze zum Punk hat er nicht überschritten. Sie gab ihm vielleicht den Thrill, während er in bgenadeter Weise mit Farben, Stoffen, Formen und Inszenierungen jonglierte. Seine Ideen waren so vielfältig und von einer derartigen ästhetischen Überzeugungskraft, dass sie ihm schon nach kürzester Zeit höchste Anerkennung einbrachten. Seine erste Kollektion präsentierte er in den 1990er Jahren, und dabei fehlten natürlich nicht die üblichen Schocker wie blutverschmierte Models oder Accessoires wie Totenköpfe. Glücklicherweise blieben sie marginal.
Robert Fairer
Schon 1997 wurde McQueen überraschend zum Designer für die Haute Couture des Modehauses Givenchy bestellt. Er war also zur festen Grösse des Modebetriebs geworden, wobei er allerdings seiner Rolle als Provokateur treu blieb.
Sein Fotograf Robert Fairer ist in gewisser Weise den umgekehrten Weg gegangen. Er hatte am „London College of Printing“ Photographie studiert, einige internationale Aufträge für Hochglanzbroschüren übernommen und sich auch als Modefotograf der damals berühmtesten Modelle und Ausstellungen einen Namen gemacht, so dass er schliesslich fest für Vogue arbeitete. 1993 stiess er auf Alexander McQueens Show „Nihilism“. Das packte ihn so, dass er bis zuletzt als Backstage-Fotograf alle Shows von Alexander McQueen begleitete und dokumentierte.
Hymnen an die Schönheit
Die ganze Souveränität von Robert Fairer erschliesst sich am besten, wenn man in dem umfangreichen Bildband einmal relativ rasch blättert. Denn dann sticht ins Auge, mit welcher Leichtigkeit Robert Fairer die Dynamik, die Hektik, das Improvisierte der Shows mit ebenso improvisiert und wie hingehuscht wirkenden Bildern einfängt, um dann wieder zur Ruhe zu finden und geradezu Gemälde wie Hymnen an die Schönheit zu schaffen. Allerdings sollte man sich nicht täuschen: Selbst die improvisiert wirkenden Bilder sind jeweils professionell ausgeleuchtet und nicht selten äusserst gekonnt inszeniert.
Man muss sich nicht für Mode begeistern oder gar ein Fan von Madonna sein, für die Alexander McQueen seit 2006 die meisten Kostüme und Outfits entwarf, um sich von diesen Bildern in den Bann schlagen zu lassen. Ihre Dynamik und ihre zum Teil bis ins Letzte ausgefeilte Ästhetik sind einfach bezwingend.
Alexander McQueen verstarb am 11. Februar 2010. Er litt unter Depressionen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei seinem Tod um einen Suizid handelte. Somit gibt der vorliegende Band von der ersten bis zur letzten Show das Lebenswerk dieses originellen und kraftvollen Designers wieder. Diese Bilder waren bislang nicht veröffentlicht worden. Der Verlag hat damit eines der kreativsten Kapitel der neueren Mode-Geschichte und ihrer Fotografie dokumentiert.
Robert Fairer: Alexander McQueen – Unseen. Mit Texten von Sally Singer und Claire Wilcox 352 Seiten, 376 Abbildungen, Schirmer/Mosel Verlag, München 2016, 49,80 €