Blenden wir 10 Jahre zurück: 2005 publizierte die dänische Rechtsaussenzeitung „Jyllands-Posten“ zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed, um herauszufinden, ob da ein Tabu bestehe. Bei gewalttätigen Protesten im arabischen Raum starben dann innerhalb weniger Monate 100 Menschen: Ein tiefgreifender Kulturkonflkt zwischen muslimischer Verehrung Mohammeds und westlicher Karikaturfreiheit zeichnete sich ab.
Kontroversen um die dänischen Karikaturen
Mehrere Medienredaktionen zeigten einen oder mehrere Belege der dänischen Karikaturen – meist inmitten eines Textberichts: „SonntagsZeitung“, „NZZ am Sonntag“, Television Suisse Romande“, „Blick“. Andere Titel, oft im selben Verlag, verzichteten aus Respekt vor muslimischen Mitbewohnern darauf: „Tages-Anzeiger“, „NZZ“, deutschschweizer Fernsehen SF.
Beim „Schweizer Presserat, den ich damals präsidierte, häuften sich die Anfragen von Redaktionen: Darf man oder darf man nicht? Das Präsidium des Presserats publizierte sogleich eine erste provisorische Stellungnahme: Angesicht der weltweiten Kontroverse dürfen Redaktionen Belege solcher Karikaturen veröffentlichen; es sei medienfremd, Karikaturen nur in Wortumschreibungen mitzuteilen. Die Karikaturfreiheit sei Bestandteil der Kommentar- und Kunstfreiheit in der westlichen Kultur seit der französischen Revolution 1789.
Damit müssten sich auch hier lebende Muslime abfinden. Freilich sei die Verhältnismässigkeit zu wahren. Das trug dem Presserat scharfen Tadel der Kommentatoren von „Tages-Anzeiger“ und NZZ ein. (Bis heute zieht sich dieser Grundkonflikt weiter: In seinem Frontseitenkommentar auf S. 1 des heutigen „Tages-Anzeigers“ schreibt Chefredaktor Res Strehle: Auf religionsspezifische allgemein akzeptierte Gebote solle angesichts emotionaler Aufheizung Rücksicht genommen werden; „wir zeigen deshalb beispielsweise keine Mohammed-Karikaturen, auch jene nicht von ‚Charlie Hebdo‘ – verurteilen aber jene nicht, die das tun‘. Das tut bereits auf Seite 2 oben annähernd ein TA-Redaktor, der drei farbig-deftige Karikaturen aus ‚Charlie Hebdo‘ als Belege abbildet – eine mit dem einkopiertem Titel ‚Koran ist Scheisse‘).
Es geht um Güterabwägung
Der Presserat hatte damals, Anfang 2006, seine erste Äusserung mit einer fünfseitigen Analyse ergänzt. Zwei Sätze daraus: Spielen Mohammed-Karikaturen – etwa die mit einer glühenden Bombenlunte im Turban des Propheten – darauf an, dass sich gewisse terroristische Islam-Fraktionen zu Unrecht auf ihren Gründer berufen, liege das wohl innerhalb der weiten Satirefreiheit. Bildverbote solcher Fraktionen könnten hierzulande nicht massgeblich sein. Etwas anderes gelte für „grundlose und frivole Experimente“ mit solchen religiösen Grundüberzeugungen (www.presserat.ch, Stellungnahmen, 12/2006).
Kurz: Es bedarf auch hier einer Güterabwägung, die sich im germanisch-europäischen Kulturkreis längst breit durchgesetzt hat. Mit sehr, sehr weitem Bonus für die Satirefreiheit. So durfte der Pharma-Baron Vasella von den Jusos mit richtigem Kopfbild auf eine nacktes, aber erkennbar anonymes Männermodell gesetzt werden – mit der Legende: „Abzocker, zieht Euch warm an!“ Eine Referenz auf die einkommensbegrenzende Volksinitiative (Bundesgericht 2014 – was vor 20 Jahren wohl keine Chance gehabt hätte).
Auch Satire darf nicht „alles“
Auch die gerichtsähnliche Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen, in der Schweiz für allen Sender zuständig, hat parallel dazu an ihrer Praxis der Satirebeurteilung gefeilt. Eine Quintessenz: Religiöse Gefühle sind auch von Satirikern zu respektieren, wenn es um zentrale Glaubensinhalte geht. Beispiel: Als „Viktors Spätprogramm“ die Hostie, das Abendmahlsbrot Christi bei den Katholiken, wie eine Banane an Affen verfütterte, rügte die UBI das deutlich (7. 3. 1997). Der Bischof von Chur, beliebtes Sujet, darf von Karikaturisten jedoch sehr grob verspottet werden.
Wenn der Satiriker und Jurist Kurt Tucholsky 1919 auf die Frage „Was darf Satire“ lapidar antwortete: „Alles“, wusste er schon, dass das so nicht stimmt. In der Praxis von Schweizer Gerichten und auch Medienräten hat sich längst ergeben, dass die der Satire eigene Übertreibung und Verzerrung nicht Vorwand sein darf, einer Person kriminelles Tun vorzuwerfen ( der damalige Bundesratsgatte Hans W. Kopp wurde im TA am Fenster über geldnotenbehangenen Waschleinen in den Gassen von Neapel gezeichnet, und ein Passant sagte dazu: „Das hat der Kopp in Neapel gelernt“. „Persönlichkeitsverletzung“, befand das Bundesgericht 1994: Gegen Kopp liege weder eine Anklage und noch gar ein Urteil über Geldwäsche vor).
Zusehends liberaler ausgelegt
In den letzten Jahren ist die Karikaturfreiheit aber zusehends liberaler ausgelegt worden. Auch weil sie in der Regel auf die heutzutage immer machtvolleren und PR-unterstützten Spitzenleute in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zielt. Aber: Sie darf Personen kein kriminelles Tun unterstellen, Religion und Menschenwürde nicht in unerträglichem Masse verunglimpfen, muss als Satire erkennbar sein.
Copyright by Peter Studer. Textübernahme nur mit Genehmigung von Journal 21.