Die Bilder Sebastião Salgados haben stets etwas Monumentales. Aber sie schreien nicht. Sie setzen auf stille Weise den abgebildeten Menschen oder der Natur Denkmäler und sind doch voller Dynamik.
Geduld
Das liegt daran, dass Salgado mit schier unerschöpflicher Geduld ans Werk geht. Bevor er anfängt zu fotografieren, baut er zu seiner Umgebung eine innige Verbindung auf. Er kann nichts und niemanden abbilden, von dem er nicht selbst ein Teil geworden ist. Und er wartet so lange, bis sich alles fügt:
„Das ist es, was Fotografie ist. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sind alle Elemente miteinander verbunden: die Menschen, der Wind, die Bäume, der Hintergrund, das Licht.“ - So schreibt er es in seinem neuesten autobiographischen Werk. Jahre gehen jeweils ins Land, bis Sebastião Salgado eine Bildserie oder Reportage abschliessen kann.
Salgado hätte sicherlich nichts dagegen, wenn man ihn als einen Besessenen bezeichnet. Denn so schildert er sich selbst. Wie ein Besessener reist er durch die Welt, setzt sich den grössten Strapazen aus – und dem Schmerz, bis er selbst nicht mehr weiterkann.
Brasilien und Afrika
Das war nach seinen Erfahrungen in Ruanda. Er war mittendrin im Völkermord und hat das Grauen erlebt. Und er machte seine Aufnahmen, bis er glaubte, die Kamera für alle Zeiten beiseite legen zu müssen. Das, was Menschen sich gegenseitig antun, hat das für ihn Fassbare und Erträgliche überschtiegen.
Aber da gibt es seine tiefe Liebe zu Afrika, über die er immer wieder schreibt und die er in seinen Bildern zu Ausdruck bringt. Er, der gebürtige Brasilianer, der seine Kindheit in den buchstäblich unendlichen Weiten und natürlichen Reichtümern der Farm seines Vaters zugebracht hat, fand und findet in Afrika das wieder, was seine Kindheit mit Glück erfüllt hat.
Ästhetisierung
Und wenn er seine Kindheit schildert, dann ist da das Licht. Die Sonne, die herniederbrennt und vor der er sich schützen muss, aber auch das Licht, wenn wieder ein tropischer Regen kommt und die Wolken die phantastischsten Formationen bilden. Und in seinen Erinnerungen tritt ihm aus diesem Licht immer wieder sein Vater entgegen. Deswegen, so gibt er selbst zu verstehen, haben Himmel und Gegenlicht für ihn eine eminente Bedeutung.
Es ist sehr wichtig, sich diesen im ersten Moment vielleicht trivial wirkenden Zusammenhang klarzumachen, um den zentralen Punkt in Sebastião Salgados Werk richtig einzuschätzen: die Ästhetik. Er würde, so meinen Kritiker, Elend, Leid und tiefstes Unglück ästhetisieren, also letzten Endes genussfähig und somit für internationale Galerien passend machen – um das Wort der Kommerzialisierung zu vermeiden.
Aber Salgado kann gar nicht anders, als ein Bild so anzulegen, dass es für ihn stimmt. Soll er etwa, so fragt er, dem Elend dadurch gerecht werden, dass er buchstäblich elende Bilder aufnimmt? Geht es nicht vielmehr darum, auch den Opfern mit seiner Ästhetik noch einen letzten Rest von Würde zu bewahren?
Diese Antwort ist nicht glatt und leicht. Sie ist vielmehr so schwer, dass Salgado selbst an ihr zeitweilig verzweifelte. Er konnte sich wieder fangen, indem er zusammen mit seiner Frau, mit der er seit 45 Jahren verheiratet ist, ein neues Projekt begann: Genesis. Er wollte nach dem Elend die Schönheit dieses Planeten zeigen. Durch und durch ging es ihm, auch wenn er es selbst nicht so nennt, um eine Salutogenese.
Bilder machen und vermarkten
Das Heil: Immer wieder betont Sebastião Salgado, dass seine Frau Lélia seine grosse Liebe, seine Muse, aber auch seine grosse Managerin ist. Sie selbst sagt, er verstehe etwas davon, wie man Bilder macht, sie wisse, wie man sie vermarkten könne. Der überwältigende Erfolg gibt beiden recht.
Im Rahmen des Genesis-Projektes ist Salgado im Jahr 2005 auf der Tara, einem privaten Schiff, in die Antarktis gereist. Mit dabei war der Journalist Ian Parker. Ihm verdanken wir eine ausführliche Reportage von dieser Reise. Parker beschreibt klar und scharf, mit welch ungeheurer Energie und Aufnahmefähigkeit Sebastião Salgado rastlos arbeitet. Niemand von seinen Begleitern konnte ihm in diesen Eigenschaften das Wasser reichen.
Farbe ist ...
Parker erzählt nebenbei von einer Bemerkung Salgados, der ausschliesslich schwarzweiss fotografiert. In dem kleinen Ortz Ushuaia gingen sie an Land, und die Sonne schaute durch den Wolkenhimmer. Da sagte Salgado zu Ian Parker: „Junge, schau dir dieses Licht an. In Farbe ist das scheisse.“
Delgado muss ein ungeheuer beeindruckender Mann sein. So verbunden er mit den Menschen und der Natur auch ist, so eigenwillig bahnt er sich seinen Weg. Zeitweilig gehörte er zur berühmten Fotografenagentur Magnum. Mehr und mehr aber beobachtete er, wie selbst berühmte Fotografen sich in dieser Agentur in kleinlichsten Rivalitäten verloren und buchstäblich an Verbitterung starben. Sebastião Salgado verliess die Agentur und gründete seine eigene.
„Das Salz der Erde“
Und so tief die Liebe zu seiner Frau auch ist, seine unzähligen Reisen mit mehrmonatigen Abwesenheiten haben sein Familienleben auch getrübt. Indirekt berichtet Wim Wenders davon, der gerade in Zusammenarbeit mit Salgados Sohn Juliano eine Film fertiggestellt hat, der in Deutschland schon angelaufen ist und am 15. November in die Schweizer Kinos kommt: „Das Salz der Erde“.
Dieser Film ist nicht weniger monumental als Salgados Werk. Wenders hat zusammen mit Juliano anderthalb Jahre im Schneideraum zugebracht, um die Massen des Materials von beiden zu sichten, zusammenzuführen und daraus einen in sich geschlossenen Film zu machen. Dabei ist er den Salgados sehr nahe gekommen und konnte überdies beobachten, wie sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn deutlich verbesserte.
Salgado-Kompendium
Das Novemberheft der Schweizer Kulturzeitschrift „Du“ ist ganz dem Werk Sebastião Salgados gewidmet. Diese Zeitschrift, die 1941 gegründet wurde und zeitweilig in Schieflage geraten war, wird seit 2007 Jahren unter der Ägide von Oliver Prange weitergeführt. Dieser Relaunch ist in jeder Weise gelungen.
Im neuen Heft ist neben Auszügen aus dem neuen Buch Salgados, dem packenden Bericht von Ian Parker auch ein Interview abgedruckt, das Oliver Prange mit Wim Wenders geführt hat. Dazu finden sich zahlreiche Aufnahmen. Es ist im besten Sinne ein Salgado-Kompendium.
Du 851 – November 2014, Du Kulturmedien AG, Zürich, www.du-magazin.com