Seit vier Wochen herrscht in Polen eine akute politische Krise. Am 16. Dezember war es im Parlament zu einem Eklat gekommen. Ein Abgeordneter der grössten Oppositionspartei, der PO („Bürgerverständigung“), protestierte während der Budgetdebatte gegen eine geplante Einschränkung der Medienpräsenz im Parlamentsgebäude.
Provokation und Blockade
Diese Massnahme war auf den Widerstand der allermeisten Journalisten und der Opposition gestossen. Der Parlamentsvorsitzende der PiS (Recht und Gerechtigkeit) verwies den Abgeordneten des Saales.Oppositionsabgeordnete blockierten danach das Rednerpult.
Die Sitzung wurde vom Vorsitzenden unterbrochen. Weil keine Seite nachgeben wollte, kam es zu einer einmaligen Eskalation. Die Opposition mobilisierte über das Netz eine grosse Demonstration vor dem Parlamentsgebäude. Der Sejm-Vorsitzende liess in einem Überraschungscoup die Budgetdebatte in einen andern Saal verlegen und peitschte mit sehr fragwürdigen Mitteln das Budget doch noch durch.
Parlamentssaal vorerst weiter besetzt
Die beiden bedeutsamsten Oppositionsparteien, die PO und die Nowoczesna („Moderne“), setzten ihre Blockade fort. Sie verlangten eine erneute Budgetdebatte und eine Rücknahme der Medieneinschränkung. Nachdem erste Verhandlungen und Vermittlungsversuche keine Ergebnisse zeitigten, kündigten die beiden Parteien an, den Sejmsaal bis zu einer Einigung beziehungsweise bis zur nächsten offiziellen Sitzung vom 11. Januar besetzt zu halten. Diese Entscheidung war nach Insiderangaben von radikaleren Abgeordneten forciert worden, um das politische Momentum der Krise zu nutzen.
Die PiS war nämlich von der Heftigkeit der Reaktion überrascht und eher in die Defensive gedrängt worden. Eine Umfrage zeigt auf, dass knapp 40 Prozent beide Seiten für die Krisensituation verantwortlich sahen, je rund ein Sechstel das regierende PiS-Lager bzw. das Oppositionslager.
Pokerspiele mit Vorteil für die PiS
Es begann ein eigentliches Pokerspiel. Jede Partei versuchte aus der verfahrenen Situation möglichst viel politisches Kapital herauszuschlagen und der anderen Seite den schwarzen Peter zuzuschieben.
Unter dem taktisch versierten Parteichef Jaroslaw Kaczynski fuhr die PiS eine Doppelstrategie. Einerserseits gab man sich kompromissbereit, vor allem in der Frage der Medien. So organisierte man unter der Ägide des moderateren Senatsvorsitzenden Verhandlungen mit den Medien und verzichtete schliesslich vollständig auf die geplanten Einschränkungen.
Kaczynski spricht von Putschversuch
In der Budgetfrage beharrte man allerdings auf der Rechtmässigkeit und der Gültigkeit der Budgetverabschiedung, deutete aber vermehrt Möglichkeiten zu einer Kompromisslösung an. Anderseits griff man die Opposition für die Blockierung des Sejmsaales heftig an, nicht zuletzt auch um Punkte bei der eigenen Basis zu sammeln. Kaczynski sprach sogar einmal von einem Putschversuch.
Für die Oppositionsseite entwickelte sich die Situation eher in eine ungünstige Richtung. Das Anfangsmomentum war relativ rasch verpufft, eine Mobilisierung über die Festtage nicht zu erreichen. Zwar gab es ein paar Stände und Zelte vor dem Sejmgebäude und kleinere Unterstützungskundgebungen. Man deckte auch weitere Ungereimtheiten in Bezug auf die Budgetabstimmung auf, ohne allerdings faktisch und rechtlich einwandfrei deren Ungültigkeit nachweisen zu können.
Groteske Züge
Negativ wirkten sich immer deutlicher auftretende Risse innerhalb der Opposition aus. Man organisierte zwar einen Ablösungsplan für die Besetzung des Saales. Trotzdem gab es Konflikte. Als der Parteivorsitzende der Nowoczesna zum Beispiel über Silvester/Neujahr mit einer Parteikollegin nach Portugal verreiste, kam das nicht gut an. Für die Medien gab die Besetzung bald kaum mehr etwas her und nahm leicht groteske Züge an.
Und die PiS-Seite machte nicht den Fehler, den Saal räumen zu lassen. Das wäre bei der Bevölkerung nicht gut angekommen. Noch nach drei Wochen waren in einer Umfrage 45 Prozent gegen ein Räumung, nur 30 Prozent dafür. Die PiS konnte auch davon profitieren, dass der populäre Anführer des KOD (Komitee zur Verteidigung der Demokratie) wegen undeklarierten Aufträgen an seine eigene IT-Firma unter Beschuss geraten war. Das KOD hatte jeweils die grossen Demos organisiert.
Gespaltene Opposition
Je näher der Termin für die nächste offizielle Sejmsitzung rückte, desto mehr traten Meinungsverschiedenheit auf. Ryszard Petru, der Vorsitzende der Nowoczesna, trat schliesslich die Flucht nach vorne an. Er lancierte einen unkonventionellen Kompromissvorschlag, der beiden Seiten die Möglichkeit lassen sollte, das Gesicht zu wahren. Der Senat, der noch vor der Sejmsitzug über das Budget beraten musste, sollte die Vorlage mit allen 48 Abänderungsvorschlägen der Opposition an den Sejm zurückweisen und so eine neue Debatte ermöglichen. Über diesen Vorschlag sollten anfangs der Woche alle im Sejm vertretenen Parteien beraten.
Grzegorz Schetyna, der Chef der PO, wies den Vorschlag aber umgehend zurück und nahm auch nicht an den Sitzungen teil.Die PO wollte sich wohl damit in der schon lange schwelenden Konkurrenz gegenüber der Nowoczesna auch als härtere Oppositionspartei positionieren.
Petru distanzierte sich in der Folge von seinem Vorschlag. Der Senat verabschiedete am Dienstag das Budget ohne Abänderungen. Am Mittwoch wurde in diversen Sitzungen und mit neuen Vorschlägen nochmals versucht eine Einigung zu erzielen, ohne Erfolg. Die PO blockierte weiterhin die Rednertribüne.
Schliesslich eröffnete der Sejmvorsitzende mit grosser Verspätung doch noch die Sitzung, nur um sie gleich wieder – nach kurzem Gedenken an verstorbene Abgeordnete – auf Donnerstag zu vertagen.
Blockade endet, Krise bleibt
Die PO beschloss am Donnerstagmorgen, die Blockade auszusetzen und ihre Abgeordneten verliessen kurz vor Sitzungsbeginn den Saal. Der Sejmvorsitzende eröffnete die Sitzung, vertagte sie aber gleich wieder auf den Mittwoch in 14 Tagen. Nun liegt der Budgetbeschluss bei Präsident Andrzej Duda, der ihn unterzeichnen oder an das Verfassungsgericht zur Begutachtung überweisen kann. Auch die Nowoczesna hat schon angekündigt, den Budgetbeschluss vor das Verfassungsgericht zu bringen.
Dass der Budgetbeschluss sogar mit dem Segen der PiS vor Verfassungsgericht landen wird, ist zu erwarten. Die PiS hatte das auch bei den Verhandlungen schon mal vorgeschlagen, allerdings mit zusätzlichen Bedingungen. Denn das Verfassungsgericht ist unterdessen unter der Kontrolle von PiS-freundlichen Richtern. Der alte Präsident ist turnusgemäss im Dezember zurückgetreten und die neue Übergangspräsidentin hat drei von der PiS in einem sehr umstrittenen Verfahren gewählte, und vom alten Verfassungsgerichtspräsidenten nicht zugelassene Richter ins Gericht integriert.
Vorläufiger Gewinn für die Regierungspartei
Wie eine Umfrage vor gut einer Woche zeigte, hat die PiS bei den Wählern deutlich zugelegt, die Nowoczesna klar verloren, die PO etwas gewonnen. Das Politspiel wird weitergehen. Dass in den 14 Tagen ohne Sejmsitzungen eine von allen Seiten akzeptierbare Lösung gefunden werden kann, ist nicht wahrscheinlich. Sicher ist nur, die Legitimation des Parlaments ist beschädigt worden und das ohnehin schon sehr geringe Vertrauen der Bevölkerung in die Politiker weiter zurückgegangen. Dabei bräuchte Polen gerade auch wegen der recht angespannten Budgetsituation mehr Stabilität.