Das Parlament ist nahe daran, das internationale Völkerrecht zu verraten. Der Ständerrat hat es in der Hand, das zu verhindern.
Die verheerende Attacke der Hamas auf israelisches Gebiet vom 7. Oktober 2023, die über 1200 Menschen das Leben kostete und für 251 Frauen und Männer die Verschleppung nach Gaza bedeutete, ist fast weltweit scharf kritisiert worden. Auch vom Bundesrat. Erschreckend ist, dass sich noch rund 100 Geiseln in der Gewalt der palästinensischen Terroristen befinden. Muss man in diesem Zusammenhang verschweigen, dass israelische Armeeangehörige – offenbar vor allem Frauen – Vorbereitungen der Hamas für einen Angriff erkannt, ihre Vorgesetzen orientiert hatten, aber diese die Warnungen nicht ernst nahmen?
Israel hat zurückgeschlagen, und das war zweifellos sein Recht. Ministerpräsident Netanjahu verkündet immer wieder, dass er die Hamas auslöschen will. Tausende Hamas-Kämpfer sind infolge der Angriffe der israelischen Armee in Gaza gefallen. Nach 15 Monaten kriegerischer Kämpfe besteht Gaza vor allem aus Ruinen: über 40’000 Menschen sind gestorben, darunter sehr viele Frauen und Kinder. Viele Menschen leiden Hunger, denn Israel lässt nur wenig Hilfsgüter nach Gaza, wo viele Menschen vertrieben wurden, Kranke und Verletzte kaum noch gepflegt werden können, da viele Spitäler zerstört wurden.
Nicht ersetzbar: das Palästinenserhilfswerk
Es ist auch für den Bundesrat klar: Das Uno-Hilfswerk für die Palästinenser UNRWA ist das Rückgrat für die dringende Hilfe zugunsten der notleidenden Bevölkerung im zerstörten Gaza-Streifen. Das IKRK ist, wie Bundesrat Ignazio Cassis im vergangenen Dezember im Nationalrat ausführte, mit 190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern präsent, das Uno-Welternährungsprogramm mit 29 Personen, während die UNRWA in Gaza auf 3500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählen kann. Nur schon diese Zahlen sollten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier überzeugen, dass das Elend im Gaza nur mithilfe des Palästinenserhilfswerks gemildert werden kann.
Die Schweiz hat als Kleinstaat eine grosse Bewunderung für den wehrhaften Staat Israel, der von Feinden umgeben ist. Deshalb mag die Mehrheit der Parlamentarier die israelische Regierung auch nach dem entsetzlichen Vorgehen der israelischen Armee kaum kritisieren. Laut Ärzten aus vielen Ländern, auch aus den USA, die in Gaza Notoperationen durchführen und Verletzte pflegen, schrecken israelische Soldaten nicht davor zurück, aus der Nähe sogar Kinder mit Kopfschüssen zu töten. Das scheint Parlamentarier nicht zum Umdenken zu bewegen. Weiter hat die israelische Regierung die UNRWA verboten und möchte dieses Hilfswerk zerstören. Dazu hat Bundesrat Cassis im vergangenen Oktober vor dem Uno-Sicherheitswerk erklärt, dass dieser Entscheid zum grössten Teil unvereinbar mit dem internationalen Recht sei. Wäre das Hilfswerk nicht mehr handlungsfähig, ist das verheerend für die Menschen in Gaza.
Grundsatzfrage humanitäre Tradition
Sie, Ständerätinnen und Ständeräte, stehen vor einem Gewissensentscheid. Sie haben bereits beim Recht auf Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Asylsuchende die Schweiz vor der Verletzung des Rechts auf Familie gerettet. Jetzt stehen Sie vor einem weiteren herausfordernden Entscheid. Auch wenn das Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge Mängel haben mag, ist es unersetzlich für die notleidenden Menschen in Gaza. Wollen Sie ihm die Unterstützung verweigern, auch gegen den festen Willen des Bundesrats? Wollen Sie, dass sich die Schweiz von der humanitären Hilfe in Gaza verabschiedet? Wie könnten Sie danach noch stolz auf die humanitäre Tradition unseres Landes verweisen? Mit dem mehrfach verschobenen Thema UNRWA-Finanzierung soll sich Ihre zuständige Kommission im nächsten Monat befassen. Es geht um eine Grundsatzfrage.
Mit freundlichen Grüssen
Beat Allenbach