Ali, der vierte Nachfolger (Khalifa) des Propheten in der Leitung der Gemeinschaft der Rechtgläubigen, musste Krieg führen gegen Mu‘awiya, den Statthalter des jungen islamischen Reiches in Damaskus. Dieser Krieg endete im Jahr 657 unentschieden mit einem Schiedsgericht.
Doch Ali wurde vier Jahre später 661 ermordet, und Mu‘awiya wurde zum Nachfolger des Propheten, "Khalifa". Mu‘awiya sollte die omayyadische Dynastie begründen. Seine Anhänger wurden die Sunniten. Doch die "Schi'at Ali", oder Partei Alis, kurz die Schiiten, lebten fort als Opposition.
Der Märtyrer al-Hussain
Der Sohn Alis und Enkel des Propheten, al-Hussain, versuchte sich im Namen der Schi'a gegen den Sohn und Nachfolger Mu‘awiyas, Yezid, zu erheben. Er lebte in Medina, hatte aber viele Anhänger in Kufa, in Südirak. Er reiste mit Familienmitgliedern und einer kleinen Gruppe von Bewaffneten durch die Wüste nach Kufa. Er wurde aber von einer Truppe der Soldaten Yazids gestellt und vom Zugang zum Wasser des Zweistromlandes abgeschnitten. Am Rande der Wüste, in Kerbela, wurden der Propheten Enkel und die meisten seiner Gefolgsleute und Familienmitglieder erschlagen, als sie versuchten Widerstand zu leisten und das Wasser am Euphrat zu erreichen. Dies fand am 10. Muharram des Jahres 61 der Hijrah statt, am 10. Oktober 680 christlicher Zeitrechnung.
Das Martyrium Husseins sollte zum eigentlichen Gründungsdatum der schiitischen Religionsrichtung im Islam werden. Die Stämme von Kufa, die Hussein aufgefordert hatten, zu ihnen zu ziehen und ihr Anführer zu werden, taten nichts, um ihn vor den Soldaten Yezids zu retten.
Die Imame der Schiiten
Die Reue über diese Unterlassung, die zum Tod al-Hussains führen sollte, wurde ein Grundmotiv im Märtyrerkult, der über viele spätere Generationen hinweg die Schiiten dazu motivieren sollte, ihre eigene Form des Islams herauszubilden und zu leben. Im Mittelpunkt des schiitischen Islamverständnisses steht nicht allein der Prophet Mohammed sondern auch die Familie und die Nachfahren des Propheten. In den Augen der Schiiten war deren Recht, die Gemeinschaft der Gläubigen zu leiten, vom Kalifen Mu‘awiya und allen späteren Sunniten blutig usurpiert worden.
Die Nachfahren Alis, al-Hussains und deren Kinder und Kindeskinder, vom Vater zum Sohn, gelten den Schiiten als heilig. Ihnen wurde ein besonderer Geist zugeschrieben, der sich von einer Generation auf die andere übertrug. Der Vater bestimmte jeweils, welcher seiner Söhne zum Träger dieser besonderen Segnung erkoren war. Er wurde "Imam" genannt. Seine Sendung manifestierte sich unter anderem darin, dass er die heiligen Schriften des Islams, in erster Linie den Koran, in zweiter die Überlieferungen vom Propheten, richtig verstehen und verbindlich auslegen konnte.
Untergrund-Existenz
Doch Jahrhunderte lang konnten die "Imame" ihre politische Funktion nicht ausüben, weil die Macht von den Omayyaden und später von den Abbasiden Kalifen usurpiert worden war. Schiitische Gemeinden existierten klandestin, typisch in Rückzugsgebieten, wie den Bergen Libanons und den Wüsten Nordafrikas. Es gab sie auch heimlich und niedergehalten in den grossen Städten. Die schiitischen Gruppen wurden zu Sammelbecken von mit dem herrschenden Regime Unzufriedenen. Wer sich von der herrschenden Macht unrecht behandelt fühlte, konnte sich ihnen anschliessen.
Die frühen Imame lebten in Medina, zurückgezogen. Sie trugen von dort aus zur Formulierung und Ausarbeitung der schiitischen Theologie entscheidend bei, am wichtigsten der 6. Imam, Jaafar al-Sadiq. Der Beinamen bedeutet, der "Wahrheitsprechende". Spätere Imame, vom Siebten an, lebten als ehrenhafte Gefangene der Abbasiden Kalifen an deren Höfen oder in deren Heerlagern. Weil sie Figuren darstellten, um die herum die Unzufriedenen sich scharen konnten, wurden sie von den Machthabern nicht aus den Augen gelassen und unter Bewachung gehalten.
Der elfte Imam heisst Hassan al-Askari, der Beinamen bedeutet "der Militär", weil er in einem Militärlager leben musste. Der zwölfte Imam, al-Mahdi, verschwand schon als Kind. Doch seine Anhänger sind überzeugt, er starb nicht, sondern er ging in die "Verborgenheit" ein. Einst wird er wiederkehren und der Welt die Erlösung bringen.
Nach ihm gibt es keine Imame mehr. Die schiitischen Gottesgelehrten, alle gemeinsam, vertreten al-Mahdi bis zur Zeit seiner Wiederkehr. Deshalb sind sie es, die in seiner Abwesenheit die heiligen Schriften auslegen, so gut es ein jeder vermag. Die Geistlichen besitzen daher im Schiismus einen besonderen Rang.
Die Siebener- und die Fünfer-Schiiten
Dies ist die Lehre der 12er-Schiiten, welche die grosse Mehrheit der heutigen Schiiten ausmachen. Doch es gibt auch abweichende polito-theologische Entwicklungen innerhalb der "Partei Alis". Sie gehen zurück auf Divergenzen darüber, wer die echten Imame seien. Der sechste Imam ernannte zuerst seinen ersten Sohn Ismail zu seinem rechtmässigen Nachfolger. Doch Ismail starb vor seinem Vater. Ein Teil der Gemeinde hielt zu den Nachfahren Ismails, für sie ist es Ismail, der siebte Imam, der in die Verborgenheit einging. Ein anderer Teil anerkannte Musa, den Sohn einer Sklavin des Sechsten Imams, als den rechtmässigen Nachfolger. Er wurde Musa al-Kazem der siebte Imam der zwölfer Schiiten.
Die Siebener oder Ismailiya haben sich im Verlauf der Geschichte in weitere Äste des Schiismus aufgespalten.
Schon vor ihnen spalteten sich die Fünfer-Schiiten vom fünften Imam ab. Sie werden auch Zaiditen genannt. Gegen den fünften Imam, al-Baqer, erhob sich sein Halbbruder al-Zaid, ebenfalls mit dem Anspruch auf das Imamat. Auf ihn berufen sich die Zaiditen oder Fünfer-Schiiten. Ihre Imame herrschten eine Zeit lang in Mazanderan, einem Rückzugsgebiet in Nordpersien am Kaspischen Meer, und in Jemen bis 1962. Für sie kann ein jeder Nachfahre Alis Imam werden. Er muss nicht aus der direkten Linie abstammen, die vom Vater auf den Sohn festgelegt wird.
Die Siebener waren die ersten, die ein grosses Reich gründen sollten. Aus einem Rückzugsgebiet im heutigen Tunesien, wo sie sich auf der Mahdi Halbinsel festgesetzt hatten, gelang es ihnen Ägypten zu erobern. Sie gründeten 969 Kairo, al-Qahira, die siegreiche Stadt des Planeten Mars. Sie herrschten, unnahbar als Gottes Vertreter auf Erden, zwei Jahrhunderte lang, bis 1171, über Ägypten, Nordafrika, Westarabien mit Mekka und Medina, Jemen und Teile von Syrien. Ihre Herrscher nannten sich Kalifen, wie jene von Bagdad, und sie stellten eine Rivalenmacht dar gegenüber den späteren Abbasiden von Bagdad, die als Oberhäupter der Sunniten fungierten. Schauplatz ihrer Rivalitäten wurden Syrien und Palästina, wo beide Seiten um Anhänger warben.
Die Fünfer Schiiten gründeten ebenfalls Reiche, zuerst die Dynastie der Buyiden (930-1062). Sie ging aus dem Rückzugsgebiet von Mazanderan, am Südufer des Kaspischen Meers hervor. Sie eroberte Persien, indem sie das Land unter drei herrschende Brüder aufteilte. 945 eroberten die Buyiden Bagdad und machten den sunnitischen Abbasiden Kalifen praktisch zu ihrem Untertanen. Später waren es der sunnitische Wanderstamm der Seldschuken, die aus Zentralasien nach Persien einbrachen, die Buyiden besiegten und ihrerseits die Kalifen von Bagdad protegierten.
Persien wird zum Staat der 12er-Schiiten
Die Buyiden dienten als Wegbereiter der Ausbreitung des Schiismus in Persien. Doch dieser sollte erst im 16. Jahrhundert, lange nach dem Mongoleneinbruch in die muslimische Welt, zur iranischen Staatsreligion werden. Wiederum ging die Ausbreitung des Schiismus aus einem Rückzugsgebiet hervor, das diesmal auf der Westseite des Kaspischen Meeres lag, Ardebil, wo ein lokaler Heiliger Mann, der sich der Abstammung von Ali rühmte, der Sufi-Scheich Safi ad-Din, Einfluss über die turkophonen lokalen Stämme ausübte, die als die kriegerischen Qizilbash (Rotköpfe, von ihren Kopfbedeckungen) berühmt werden sollten.
Seine Nachfahren, Shah Ismail I und Schah Tahmasp, eroberten mit Hilfe dieser "Rotköpfe" Iran, das damals in zahlreiche kleine Fürstentümer aufgeteilt war. Sie setzten landesweit ihre schiitische Glaubensrichtung durch. Sunnitische Geistliche, die sich nicht fügen wollten, wurden hingerichtet. Ihr Machtbereich dehnte sich tief in den Kaukasus aus. Georgien war von ihnen beherrscht.
Es war der bedeutendste Herrscher der Safawiden Dynastie, Schah Abbas I (reg. 1587-1629), der den Schiismus endgültig mit Persien verschmolz und ihn zur persischen Nationalreligion erhob. Als theologische Fachleute für den Schiismus liess er schiitische Gottesgelehrte aus Libanon und aus dem Irak kommen. Dort war die schiitische Glaubensrichtung seit langem präsent. Die schiitischen Pilgerstätten im benachbarten Irak: Najaf, wo Ali begraben liegt und Kerbela, wo Hussein sein Martyrium erlitt, kamen unter iranische Herrschaft. Bagdad wurde vorübergehend iranisch.
Das Erbe Zarathustras
Der einzige Ort in Iran, an dem ein schiitischer Imam begraben liegt, Meschhed, wurde von Abbas zum nationalen Heiligtum ausgebaut. Meschhed ist die Ruhestätte des 8. Imams der zwölfer Schiiten, Imam Reza. Der Abbasidenkalife, al-Mu'min, liess sich von ihm auf seinem Feldzug nach Ostiran begleiten, und er war im Jahr 813 in Tus bei Meschhed verstorben. Dort liegt er begraben. Nach der schiitischen Tradition hat der Kalife ihn vergiften lassen. Alle Imame, die nicht einen Kampfestod erlitten, wurden nach schiitischer Ansicht von den sunnitischen Kalifen vergiftet.
Der Schiismus mit seinem Märtyrerkult passte zusammen mit der alt-persischen Religion Zarathustras, die bis heute als Minderheitsreligion in Iran existiert. Diese Religion gilt als "dualistisch", weil sie den Kampf des Guten gegen das Böse ins Zentrum stellt. Auf Erden siegt manchmal das Böse, wie im Fall des Märtyrers al-Hussain. Doch Aufgabe der Menschen ist, dem Guten zum Sieg zu verhelfen - wie es die "Partei Alis" (das heisst der Schiismus) zu erreichen versucht.
Am Ende der Zeiten wird das Gute gewinnen. Der verborgene Imam al-Mahdi wird wiederkehren und das Gute endgültig in die Welt bringen. Auf diesem Weg wurde der Zwölfer-Schiismus zu einer spezifisch persischen Religion, eingebettet in die altüberlieferten Vorstellungen vom Kampf des Guten gegen das Böse.
Drei Grossreiche, zwei Varianten des Islams
Die Zusammenstösse des sunnitischen Osmanen-Reiches mit dem schiitischen Kaiserreich der Perser, Iran, dauerten 150 Jahre lang. Beide waren Vielvölkerstaaten, die mehrere Ethnien und Religionsgemeinschaften umfassten. Der Sunnismus war Staatsreligion der Osmanen, der Schiismus jene des Safawidenreiches. Die Kriege drehten sich um die Grenzen und Grenzprovinzen der beiden Grossreiche. Die Kriege begannen mit einer schweren Niederlage der Iraner bei Chaldiran am 23. August 1514. Der grosse safawidische Eroberer, Schah Ismail, der seine erste Schlacht mit 14 Jahren gewonnen hatte, war damals im Osten Herr über Iran, Teile von Afghanistan und Zentralasien und, im Westen, über den Süden des heutigen Iraks, einschliesslich Bagdads, geworden.
In der östlichen Türkei suchte er die türkischen Stämme für seinen schiitischen Glauben zu gewinnen und sie dadurch dem Sultan in Istanbul abspenstig zu machen. Die sogenannte Shahkulu Rebellion, die 1511 ausbrach, wurde von ihm unterstützt, aber von Sultan Selim I. Yavuz (regierte 1512-1520), niedergeschlagen. (Shahkulu bedeutet, Diener oder Sklave des Schah.
Yavuz, der Beiname Selims, kann mit "wild" aber auch "streng" übersetzt werden). Der Osmanensultan, Selim, marschierte mit seinem Heer gegen Iran. Er siegte in Chaldiran, nahe an der heutigen türkischen Grenze, dank seiner überlegenen Bewaffnung mit Artillerie, Musketen und Schwarzem Pulver über die beweglichen aber nicht mit gleich wirksamen Feuerwaffen ausgerüsteten Reitertruppen Shah Ismails. Selim marschierte nach seinem Sieg in Täbris ein. In der Folge wandte er sich gegen die turkmenischen Kleinstaaten Ostanatoliens und fügte sie ein in sein Reich.
Dies führte ihn in einen Konflikt mit dem Reich der Mamluken- Sultane, die über Ägypten und Syrien herrschten. Selim schlug ihr Heer unweit von Aleppo und schritt zur Eroberung ihres gesamten Reiches einschliesslich des Niltals und der arabischen Westküste mit den Heiligen Städten Mekka und Medina und bis hin nach Jemen.
Die Ostexpansion der Osmanen
Die Expansion nach Süden und Osten war eine Neuorientierung für die osmanischen Heerzüge. Vor Chaldiran hatten die Sultane ihre Eroberungszüge stets nach Westen Richtung Europa und Balkanstaaten gerichtet. Die Herausforderung durch die schiitische Macht Ismails bewirkte auf diesem Weg, dass das Osmanische Reich sich beinahe die gesamte arabische Staatenwelt einverleibte. Selim erklärte sich nach der Eroberung Mekkas zum Kalifen, dem rechtmässigen Nachfolger des Propheten in sunnitischer Sicht.
Der Irak blieb umkämpft. Bagdad kam unter osmanische Herrschaft im Jahr 1534. Doch ein knappes Jahrhundert später unter Shah Abbas I, kehrte die Stadt von 1623 bis 1638 unter safawidische Herrschaft zurück. Die Grenzkämpfe der beiden Reiche zerstörten Mesopotamien. Beduinenstämme zogen in die früher bewässerten Gebiete ein. Mamluken (Sklaven-Soldaten) georgischer Herkunft gelang es zwischen 1747 und 1831 eine eigene Dynastie im Südirak aufrechtzuhalten, die sich von beiden Grossreichen befreite. Später kehrten die Osmanen nach Mesopotamien zurück.
Iranische „Nationalreligion“
Für Iran bedeutete die Niederlage von Chaldiran, dass das Safawidenreich sich auf Iran und seine östlichen Nachbargebiete konzentrierte. Die Rolle des 12er Schiismus als Landesreligion wurde verstärkt. Iran wurde zu einer schiitischen Insel zwischen zwei grossen sunnitischen Reichen, dem Osmanischen im Westen, dem der Moghuln von Dehli im Osten. Dies festigte den Zusammenhalt des persischen Reiches und zu seiner Selbstsicht als eigenständige Nation mit dem Schiismus als einer Art von „National-Religion“.
Mit Süd-Mesopotamien hielt Iran Tuchfühlung, weil dort die wichtigsten Heiligtümer der Schiiten liegen mit dem Grab Alis und jenem al-Hussains. Jedes Jahr ziehen Massen von Pilgern dorthin aus Iran. Wer es vermag, lässt sich auf dem grossen Friedhof von Najaf begraben. Dort wird er zusammen mit Ali auferstehen. Die beiden heiligen Ortschaften dienen auch als Seminare der schiitischen Geistlichen. Iraner und Araber lehren an den dortigen Hohen Schulen.
Schiiten, die ausserhalb Irans leben, bilden in ihren Heimatstaaten eine Minderheit. Man findet sie in Libanon, in Syrien, in grosser Zahl im Irak, wo sie eine Bevölkerungsmehrheit abgeben, in Saudi- Arabien, in Kuwait, - östlich Irans in Afghanistan, in Pakistan, wo sie etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, in Indien im Fernen Osten, immer als Minderheiten. Iran war bis 2003 der einzige Staat, der von Schiiten regiert wurde.
US-Ivasion 2003 - Verschiebung der Gleichgewichte
Doch neuerdings, seit der amerikanischen Invasion von 2003, wird der Irak auch von seiner schiitischen Mehrheit regiert. Zuvor war dies nie der Fall. Obwohl die Schiiten zahlenmässig die grösste Gemeinschaft darstellten, waren es die Sunniten, die das Land in der türkischen Zeit, zur englischen Mandatszeit und unter den ihr folgenden Regimen, meist militärischer Herkunft, regierten. Dies hatte für das benachbarte Saudi-Arabien bedeutet, dass es in seiner Nachbarschaft seit 1979 zwar die grosse schiitische Armee der iranischen Revolutionswächter gab, jedoch als Gegengewicht auch die „sunnitischen“ Streitkräfte des Iraks.
Vor Khomeiny waren die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran freundschaftlich gewesen. Beide Regime waren Freunde und Klienten der USA im Kalten Krieg. Das Regime des Schahs war nicht besonders religiös. Sein Vater, der erste Schah der Pahlawi Dynastie, hatte oft bitteren Streit mit der schiitischen Geistlichen, weil er das Land zu säkularisieren trachtete.
Atatürk war sein grosses Vorbild. Es gibt eine berühmte Episode, die erzählt, dass der Dynastiegründer, Reza Schah, ein Hüne von einem Mann, die Geistlichen eines Heiligtums nahe bei Teheran mit seiner Reitpeitsche verprügelte, weil sie die „Unsittlichkeit“ seiner unverschleierten Frauen in ihren Predigten angeschwärzt hatten. Unter Reza Schah gab es ein Entschleierungsgebot für die Frauen in der Öffentlichkeit, doch wurde es nie gleich systematisch durchgesetzt wie in der Türkei unter Atatürk.
Khomeiny hasste beide Schahs, Vater und Sohn, zutiefst. Der Sohn, Mohammed Reza Schah, hat später, als er an die Macht kam, versucht die Beziehungen zur Geistlichkeit wieder zu bessern. Als Hauptfeinde galten ihm die Kommunisten und andere Rote. Er hat sogar einmal iranische Truppen auf die Arabische Halbinsel gesandt, um gegen die damals in Oman kämpfende PFLOAG (People’s Front for the Liberation of Oman and the Gulf) vorzugehen.
Einflussringen in Mekka
Mit der Revolution Khomeinys von 1979 sollten sich diese Verhältnisse radikal ändern. Schon in den ersten Jahren nach dem Machtwechsel stiess der revolutionäre Iran mit Saudi-Arabien zusammen. Khomeiny suchte die iranischen Mekka Pilger dazu zu ermuntern, anlässlich der Pilgerfahrt für seine Ideen zu werben, in der Hoffnung natürlich, diese Ideen in der ganzen islamischen Welt auszubreiten. Damals erklärten die Propagandisten des neuen Regimes den Journalisten in Teheran, der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten sei nicht so gross wie sie meinten. Die Kolonialisten hätten versucht, Gegensätze hervorzurufen, wo gar keine bestünden.
Doch die saudische Regierung war nicht einverstanden. Sie schlug mit der Polizei zu, als die iranischen Pilger in Mekka versuchten, für Khomeiny und seine Politik zu demonstrieren. Für Khomeiny waren die USA „der grosse Teufel“, für das saudische Königshaus waren sie eine befreundete Schutzmacht.
Die Zusammenstösse von Mekka riefen Erklärungen Khomeinys hervor, nach denen die saudische Dynastie unwürdig sei, die Heiligen Stätten zu behüten. Khomeiny forderte, eine islamische Kommission solle diese Aufgabe übernehmen. Später wurden Regeln für das Verhalten der iranischen Pilger aufgestellt. Sie durften innerhalb ihrer Lager für Khomeiny demonstrieren, doch nicht ausserhalb. Doch gegenwärtig ist es zu neuen Zusammenstössen zwischen Iran und dem Königreich über der Frage der iranischen Pilger gekommen.
Krieg mit den „Sunniten“ des Iraks
Der überaus blutige Krieg mit dem Irak Saddam Husseins, der acht Jahre lang dauerte (1980-88), änderte das Verhältnis zwischen Sunniten und Schiiten in iranischer Sicht. Saddam Hussein benützte in seiner Propaganda den Gegensatz zwischen Persern und Arabern und dies bedeutete auch, dass die „Nationalreligion“ der Perser, der Schiismus, im Zeichen des Sunnismus angegriffen wurde. Die sunnitisch regierten Staaten am Golf, Kuwait, Qatar, Bahrain, Oman, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi Arabien, schlossen sich zum Golf Kooperationsrat zusammen, während der Irak mit dem Krieg gegen Iran beschäftigt war. Die sunnitischen Golfstaaten unterstützten den Irak finanziell. Auch die USA liess dem Irak damals Hilfe zukommen.
Der Umstand, dass Bagdad über eine grosse Armee verfügte, die der iranischen einigermassen das Gleichgewicht halten konnte, war für alle Golfstaaten wichtig, weil ihre eigenen Streitkräfte den iranischen Revolutionsgarden nicht gewachsen waren. Mit Iran gab es und gibt es weiterhin ungelöste Grenzfragen in den Gewässern des Golfs und seinen Inseln. Diese sind wichtig, weil es dabei auch um „off shore“ Öl- und Gasfelder geht.
Machtringen in Bahrain
In Bahrain ist die Lage besonders heikel. Dort herrscht eine sunnitische Herrscherfamilie über eine mehrheitlich schiitische Bevölkerung. Diese fordert seit Jahren mehr Mitspracherecht in Regierungsbelangen. Die Herrscherfamilie sucht die Schiiten, die Bevölkerungsmehrheit, von der Regierung entfernt zu halten. Privilegien aller Art gewährt sie lieber Sunniten. Iran gilt den Herrschern Bahrains als eine Macht, die bestrebt sei, ihr Regime zu stürzen. Im Jahre 2011 mussten die Saudis Truppen nach Bahrain entsenden, um die dortigen Herrscher an der Macht zu halten. Die Bevölkerung hatte sich allzu heftig gegen sie aufgelehnt. Die damaligen Demonstrationen wurden darauf mit Gewalt niedergeschlagen. Seither wird die schiitische Mehrheit der Bahrainischen Bürger mit Gewalt und im Bedarfsfall mit Foltermethoden in Zügeln gehalten.
Die iranischen Revolutionswächter
Als nach der amerikanischen Invasion im Irak von 2003 die Schiiten auf Grund ihrer Mehrheit zur Macht kamen, wurde auch eine neue Armee aufgestellt, in der Schiiten die entscheidenden Positionen besetzten. Saudi-Arabien sah sich plötzlich zwei „schiitischen“ Armeen gegenüber, der iranischen und der irakischen. Dazu kam, dass die eigenen Schiiten, die in der Region der Ölfelder leben, unruhig geworden waren. Sie beklagten sich über Diskrimination durch die saudischen Landesherren. Hinter ihrem Aufbegehren vermutete Saudi Arabien die iranische Hand.
Noch mehr wurden die Saudis beunruhigt, als sich herausstellte, dass die Amerikaner, die bisher Saudi-Arabien als Schutzmacht gedient hatten, Anstalten dazu machten, sich mit Iran auszusöhnen – zumindest in der Frage der atomaren Bewaffnung. Für Riad bedeutete dies, dass ihr alter Verbündeter sich anschickte, mit ihren gefährlichsten Feinden zu kollaborieren.
All dies zusammen bewirkte, dass Saudi-Arabien sich plötzlich durch die iranische Macht jenseits des Golfes gefährdet sah. Beide Schutzmächte gegenüber Iran, auf die Riad gezählt hatte, der Irak und die USA, waren in saudischen Augen plötzlich unzuverlässig, ja im Fall des Iraks potentielle Feinde, geworden.
Iran wird aktiv im arabischen Raum
Umgekehrt entwickelte Iran eine expansive Politik, die darauf beruhte, dass das iranische Regime versuchte mit den schiitischen Minderheiten in der arabischen Welt zusammenzuarbeiten. Als Minderheiten, die oftmals gegenüber den herrschenden Mehrheiten zurückgesetzt wurden, waren viele dieser Gruppen bereit, Hilfe aus Iran entgegenzunehmen. Dies konnte finanzielle Unterstützung sein, aber auch Beratung über eine wirksame innere Organisation, die mithelfen könnte, den schiitischen Minderheiten in ihren Staaten mehr Stimme und Gewicht zu verschaffen.
Vorbild dabei war natürlich die iranische Revolution in Iran. Träger der Expansionsbewegung wurden die Revolutionswächter. Ihr „Corps“ war von Khomeiny ursprünglich aufgestellt worden, um ein Gegengewicht gegen die „Armee des Schahs“ zu bilden, deren Offiziere im Geist des persischen Nationalismus geschult worden waren, nicht des Islams. Die Revolutionswächter wurden im Krieg gegen den Irak zu einer ausgesprochen schiitischen Streitmacht. Als solche waren und blieben sie, der wichtigste Machtpfeiler, auf den der Herrschende Gottesgelehrte Irans sich stützte, zuerst Khomeiny, dann sein Nachfolger Khamenei.
Hizbullah in Libanon
Als ersten expansiven Machtarm entwickelten die Revolutionswächter ihre Zusammenarbeit mit den Schiiten Libanons. Dies geschah als Antwort auf die israelische Besetzung einer Pufferzone in Südlibanon, die 1978 eingerichtet worden war und welche die Invasion Libanons durch die israelische Armee von 1982 überdauern sollte. Diese Pufferzone innerhalb Libanons wurde erst im Jahr 2000 von Israel geräumt, nachdem die von Iran unterstützte schiitische Guerilla des Hizbullah die von den Israeli bezahlte und kontrollierte „Südlibanesische Armee“ aus dem libanesischen Grenzraum zurückgeschlagen hatte.
Hizbullah wurde von den Revolutionsgardisten recht eigentlich ins Leben gerufen. Damaskus war dabei stets eine wichtige Stütze, weil Geld und Waffen aus Iran nach Damaskus eingeflogen wurden und von dort unkontrolliert über die Grenze nach Südlibanon transportiert wurden. Zu diesem Zweck war sogar eine Strasse angelegt worden, die von Syrien nach Südlibanon führte, ohne Kontrollen an der Grenze.
Für das Asad-Regime, unter Vater und Sohn Asad, hatte diese Regelung den Vorteil, dass Syrien die Spannungen mit Israel aufrecht erhalten konnte, ohne der Gefahr von direkten Gegenschlägen aus Israel auf syrisches Territorium ausgesetzt zu sein. Die Spannungen wollte Damaskus nicht abklingen lassen, solange Israel sein Territorium von Kunaitra, besser bekannt unter der Bezeichnung von „Golan Anhöhen“, besetzt hielt. Für Iran und seine Revolutionswächter bildete der libanesische Hizbullah eine Möglichkeit, ihrerseits in der Israel-Frage Stellung zu nehmen und gegenüber Israel als pro-islamische Kraft zu wirken und aufzutreten, obwohl Iran keine gemeinsamen Grenzen mit Israel aufwies.
Teil 2 folgt