Wenn Politiker ihre Kontrahenten mit Begriffen aus dem Vokabular des Extremismus eindecken, manifestieren massive Spannungen. Was hatte das bürgerliche Lager während des Kalten Krieges doch die Sozialdemokraten rhetorisch in die Nähe der Kommunisten geschoben und dergestalt versucht, sie zu diffamieren!
Die rote Karte taugt mittlerweile nicht mehr viel, dafür wird nun, in Spiegelung der Zeitumstände, öfter die braune gespielt. Martin Landolt erklärte: «Bis zu welchem Punkt muss eine Politik noch brauner werden, bis alle merken, dass sie stinkt?» Und Levrat sagte: «Die Politik der SVP der letzten Monate hat klar faschistoide Tendenzen.» FDP-Präsident Philipp Müller erteilte augenblicklich Rügen für das Schwingen der «F-Keule», und die NZZ (18.9.) vermerkte schulmeisterlich: «Damit ist Levrat nach BDP-Präsident Landolt der zweite Chef einer Bundesratspartei, der die SVP in die Faschismus-Ecke stellt.»
Was ist faschistisch? Was faschistoid?
Ist die SVP faschistisch? Wäre sie es, würde sie die Demokratie ablehnen und für eine autoritäre Staatsform plädieren. Das tut sie nicht. Vielmehr operiert sie intensiv (für manche zu intensiv) mit den direktdemokratischen Volksrechten und akzeptiert Entscheide, die gegen ihren Willen getroffen werden. Und sie lehnt, im Gegensatz zu den Faschisten, die Anwendung physischer Gewalt zur Durchsetzung ihrer Postulate ab.
Allerdings muss man zwischen «faschistoid» und «faschistisch» unterscheiden. Wenn Levrat meint, die SVP weise «faschistoide Tendenzen» auf, sagt er nicht, sie sei faschistisch, wohl aber, sie mache beim Faschismus gewisse Anleihen. Ist diese Behauptung so falsch?
Ein Blick in die heutige Staaten- und Parteienlandschaft Europas zeigt, dass im Dunstkreis zwischen der traditionellen Rechten und dem «harten» Faschismus zahlreiche Akteure auf faschistische Methoden und Inhalte zurückgreifen. Auffallend dabei ist, dass sie, was das Rüstzeug für ihr Politmanagement betrifft, stets eine ähnliche Auswahl treffen. Zum Beispiel:
- Man macht missliebige Institutionen lächerlich.
- Man diffamiert Personengruppen pauschal und benutzt die «Sündenböcke», um die Bevölkerung aufzuhetzen.
- Man bedient sich (sehr selektiv) historischer, vorzugsweise mythenbeladener Ereignisse und sagt dem Volk: Seht, so war es, so war es gut, und daher soll man sich auch heute danach richten.
- Man überhöht die eigene Nation.
Eine Internationale der Rechtsaussen-Politik
Vater und Tochter Le Pen in Frankreich werden nicht müde, die Systemparteien (der Ausdruck ist reichlich belastet) ins Lächerliche zu ziehen, die maghrebinischen Einwanderer zu diffamieren und die Jungfrau von Orléans (frühes 15. Jahrhundert) zu verherrlichen.
In Ungarn hackt Ministerpräsident Orban auf den Roma herum, entkleidet die Justiz ihrer Unabhängigkeit, optiert immer deutlicher für den autoritären Staat und lässt das Ungarentum aufleben.
Präsident Putin bündelt die Macht in seiner Person, schränkt Opposition und kritische Medien sukzessive ein, grenzt, je nach Bedürfnis, die «Schwarzen» (Kaukasier), die Schwulen oder andere Gruppen aus und lässt seine Ideologen das Russentum und die Orthodoxie zum Gesundbrunnen für alles erklären, was kreucht und fleucht und dekadent ist.
Andere Parteiführer im Rechtsaussensektor, sei es in den Niederlanden, in Österreich oder in osteuropäischen Ländern, machen ebenfalls Gebrauch von diesem Instrumentarium.
Die SVP gehört zur Familie
Dieselben Merkmale manifestieren sich seit Jahren auch in der SVP, und das immer deutlicher. Unvergessen bleibt, wie sich Christoph Blocher vom Parlament, dem er jahrelang angehört hat, verabschiedete: mit Worten der Verachtung für diese Institution. Einer anderen, dem Bundesgericht, geht es kaum besser. Fällt es einen Entscheid, der der SVP missfällt, wirft diese den Richtern vor, sie seien weltfremd und urteilten am Willen des Volkes vorbei.
Eine besondere Meisterschaft entwickelte die SVP in der Stigmatisierung unliebsamer Personengruppen. Herabsetzende Zuschreibungen («Asylanten», «Sozialschmarotzer», «Scheininvalide» usw.) sind fester Bestandteil ihrer politischen Kampagnen geworden, und die Plakate, auf denen sie ihre Sündenböcke vorführt, sollen, wie hin und wieder zu lesen ist, gar von ihren ausländischen Gesinnungsfreunden nachgeahmt werden.
Wie diese Freunde im Geist drängt es auch die SVP zunehmend, um Jahrhunderte zurück in die Geschichte zu reisen und dort aus Quellen zu schöpfen, die angeblich das einzig richtige Staatsverständnis darreichen. Als der Club Helvétique zum 1. August ein Manifest für eine weltoffene Schweiz vorstellte und Bezug auf die Gründung des modernen Bundesstaates von 1848 nahm, warf Blocher den Unterzeichnern vor, sie seien «pubertär», weil sie «1291», die eigentliche Geburtsstunde der Schweiz, übergingen. Würde Blocher sich dazu bequemen, die Verhältnisse im 13. Jahrhunderts exakt zu analysieren und sie in Bezug zu 2014 zu setzen, hörten seine Anhänger gar nicht erst hin. Das weiss er und begnügt sich daher mit dem «Raunen der Geschichte», das sich für alle möglichen Zwecke instrumentalisieren lässt.
Zu nennen ist schliesslich die beinahe rauschhafte Überhöhung der Nation Schweiz und die Ablehnung alles «Fremden». Erasmus-Austausch für Studenten? Was soll’s. Völkerrecht? Wozu auch. Die Massstäbe setzen wir!
Für sich betrachtet, ist jedes dieser Merkmale nicht sonderlich alarmierend. Rechnet man alle zusammen, so scheint Levrat gar nicht so falsch zu liegen. Zu denken geben eher die unwirschen Reaktionen auf seine Diagnose.
Wie man einst Schwarzenbach mied
Bleiben wir bei der Geschichte, allerdings bei der jüngsten. In den 1970er Jahren bekämpfte nicht nur die Linke die Ideenwelt des James Schwarzenbach. Auch die bürgerlichen Politiker, inklusive jene der SVP, übten Kritik an diesem Mann, der sich «Republikaner» nannte, und machten einen Bogen um ihn herum. Man stufte seine Ideen und Methoden als gefährlich und der Schweiz unwürdig ein. Heute bewegt sich die SVP ungefähr dort, wo Schwarzenbach vor vierzig Jahren stand – wenn sie ihn nicht sogar rechts überholt hat.
In dieser Situation wäre eigentlich zu erwarten, dass die andern Bürgerlichen, ähnlich wie damals, zur Blocher-SVP auf Distanz gingen. Vor allem die FDP, die sich in ihrem Logo auch «Die Liberalen» nennt, müsste viel deutlicher Abstand nehmen von einer Partei, die alle Liberalität aus ihrem Corpus entfernt hat. Stattdessen hängt der Freisinn, kurzsichtig auf Wahlvorteile und Restmandätchen spekulierend, an den Rockschössen der Nationalkonservativen. In dieser Haltung, die sich dadurch charakterisiert, dass sie gar keine ist, liegt einer der Faktoren für den stetigen Niedergang des einst stolzen und staatstragenden Freisinns.