Wenn die Schweizerinnen und Schweizer am Mittwoch früh erwachen, werden sie wohl kaum erfahren, ob es Donald Trump gelungen ist, erneut ins Weisse Haus einzuzienen. Die Buchmacher sehen ihn vorn, doch Buchmacher liegen oft falsch. Die Auszählung der Stimmen könnte sich tagelang hinziehen. Journal 21 hält Sie während der ganzen Wahlnacht – und darüber hinaus – auf dem Laufenden.
Früher war es oft so, dass man in Europa am frühen Morgen nach den Wahlen erfuhr, wer zum Präsidenten gewählt wurde. So auch 2016, als Hillary Clinton gegen Trump antrat. Das Ergebnis war klar, Clinton gratulierte in den frühen Morgenstunden des Mittwoch ihrem republikanischen Gegenkandidaten.
Vor vier Jahren, 2020, war es anders. In einigen Bundesstaaten war es 2020 zur «roten Fata Morgana» gekommen. (Rot ist die Parteifarbe der Republikaner, blau jene der Demokraten.)
Erste Ergebnisse hatten auf einen Sieg von Trump hingedeutet. Als dann die Briefwahlstimmen ausgezählt wurden, kam es zu einer «blauen Verschiebung», von der Joe Biden profitierte. Doch das Endergebnis stand erst vier Tage nach den Wahlen fest. Es war ein langes, Nerven aufreibendes und emotional geladenes Warten auf die Bestätigung der entscheidenden Resultate in Pennsylvania. Joe Biden kam schliesslich auf 50,0 Prozent der Stimmen, Trump auf 48,8 Prozent.
Fünf Wochen langes Warten
Am längsten musste man im Jahr 2000 auf das Ergebnis warten. Der Republikaner George W. Bush war gegen den Demokraten Al Gore angetreten. Die Ergebnisse zeigten, dass Bush in Florida extrem knapp gewonnen hat – so knapp, dass das Gesetz des Bundesstaates eine Neuauszählung vorschrieb. Fünf Wochen lange Rechtsstreitigkeiten führte zu einer höchst umstrittenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Letztlich gewann Bush in Florida mit 537 Stimmen, was einem Vorsprung von 0,009 % entspricht. Bush kam auf 271 Wahlmännerstimmen, eine Stimme mehr als die für den Sieg erforderlichen 270. Gore erhielt landesweit 500'000 mehr Stimmen als George W. Bush.
Fünf Wochen wird man diesmal wohl nicht warten müssen. Doch es könnte mehrere Tage dauern, bis das Endergebnis feststeht. Dann nämlich, wenn die Ergebnisse äusserst knapp ausfallen. Und darauf deutet vieles hin. Die «Wahlnacht» könnte sich also bis zum Wochenende hinziehen.
So wie am 6. Januar 2021
Ein langes Warten birgt Zündstoff in sich. Denn wenn sich die Bekanntgabe des Endergebnisses lange verzögert, schiessen schnell Spekulationen über Wahlbetrug ins Kraut. Viele Leute fragen sich, was denn da hinter verschlossenen Türen so lange verhandelt werden muss. Wird da betrogen? Werden Stimmzettel vernichtet oder dupliziert. Trump spielt nach seiner Niederlage 2020 noch heute diese «Betrugskarte» – und Millionen Republikaner glauben ihm, dass man ihm die Wahlen gestohlen hat.
Laut mehreren amerikanischen Medien dürfte der Ex-Präsident sofort nach Schliessung der ersten Wahllokale seinen Sieg proklamieren – ohne dass aussagekräftige Resultate vorliegen. Damit wolle er die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich seine Anhängerschaft im Falle einer knappen Niederlage auflehnt – so wie am 6. Januar 2021. Die Strategie, sofort seinen Sieg zu erklären, verfolgte er schon vor vier Jahren, obwohl Millionen Stimmen noch nicht ausgezählt waren. Der Gouverneur des Bundesstaates Washington hat bereits die Nationalgarde aktiviert, für den Fall, dass es während und nach den Präsidentschaftswahlen zu Gewalt kommt.
Die entscheidenden Sieben
Die Wahllokale in den Swing States schliessen zwischen am Dienstagabend (je nach Zeitzone) zwischen 19:00 und 22:00 Uhr Eastern Time (24.00 bis 03:00 Schweizer Zeit).
Alle Umfrangen liegen im Rahmen der statistischen Fehlermarge von minus/plus zwei bis drei Prozent. Es ist also alles möglich.
Die vier unterschiedlichen Zeitzonen in den USA bedeuten, dass an der Ostküste die Stimmzettel bereits ausgezählt sind, während die Wähler und Wählerinnen in westlichen Staaten wie Alaska und Hawaii noch auf dem Weg zu den Wahllokalen sind. Sie wählen und wissen vielleicht schon, wer gewählt wurde – und legen dennoch einen Wahlzettel in die Urnen.
- Erste Ergebnisse werden in der Nacht zum Mittwoch aus Georgia erwartet. Dort schreibt ein Gesetz vor, dass alle im Early Voting abgegebenen Stimmen bis Mitternacht ausgezählt werden müssen.
- Anschliessend könnte North Carolina die Resultate bekanntgeben. Sowohl in Georgia als auch in North Carolina wird eher mit einem Sieg von Trump gerechnet.
- Vor vier Jahren schleppte sich die Auszählung in Nevada dahin. Der Staat lässt verspätet eintreffende Briefwahlstimmen zu, so dass es noch Tage dauern könnte, bis wir das endgültige Ergebnis kennen.
- Pennsylvania gilt an der wichtigste Swing State. Wer hier gewinnt, heisst es, gewinnt die Wahlen. Auch diesmal könnte es in Pennsylvania Tage dauern, bis das Ergebnis feststeht. Der Staat ist einer der wenigen, in denen Briefwahlstimmen nicht vor Schliessung aller Wahllokale ausgezählt werden dürfen.
- Wie in Pennsylvania dürfen auch in Wisconsin die Briefwahlstimmen erst nach Schliessung der Wahllokale ausgezählt werden.
- In Michigan könnte die Auszählung schneller vonstatten gehen als vor vier Jahren. Den Behörden wurde nun die Möglichkeit gegeben, mit der Auszählung der Briefwahlstimmen vor dem Wahltag zu beginnen.
- In Arizona können die Behörden mit der Bearbeitung der Briefwahlstimmen beginnen, sobald diese eingegangen sind. Die ersten Ergebnisse werden voraussichtlich gegen 22.00 Uhr Eastern Time (03.00 Uhr Schweizer Zeit) erwartet.
Magische Zahl 270
Harris oder Trump brauchen mindestens 270 der 538 Elektorenstimmen (Wahlmänner, Wahlfrauen), um gewählt zu werden. Insgesamt werden in den Swing States 93 Elektoren gewählt.
Sechs der Sieben haben vor vier Jahren hauchdünn für Joe Biden und gegen Donald Trump gestimmt.
Die Ergebnisse von 2020
Pennsylvania: 20 Elektoren, 50,01% für Biden
Michigan: 16 Elektoren, 50,62% für Biden
Wisconsin: 10 Elektoren, 49,45% für Biden
North Carolina: 15 Elektoren, 49,93% für Trump
Georgia: 16 Elektoren, 49,47% für Biden
Arizona: 11 Elektoren, 49,36% für Biden
Nevada: 6 Elektoren, 50,06% für Biden
Laut den letzten Meinungsumfragen der New York Times/Siena College führt Trump in vier der sieben Swing States: in Nevada hauchdünn, in North Carolina, Georgia und Arizona deutlicher. Nur in Wisconsin und Michigan liegt Kamala Harris laut New York Times/Siena knapp vorn, mit weniger als 1%. Und im vielleicht entscheidenden Swing State Pennsylvania< herrscht ein Patt.
«In a dead heat»
Auch das Institut 538 sieht ähnliche Werte voraus. 538 errechnet die Durchschnittswerte der wichtigen Umfrageinstitute und gewichtet sie. Danach liegt Trump in Pennsylvania (mit 0,1%, in North Carolina (mit 1,3%), in Georgia (mit 1,5%), in Arizona (mit 2,1%), in Nevada (mit 0,3%) vorn. In Michigan führt Harris mit 1,0% und in Wisconsin mit 0,8%.
Sollte sich diese Werte bei den Wahlen bestätigen, könnte Trump die notwendigen 270 Elektorenstimmen auf sich vereinigen und erneut Präsident werden.
Doch alle Ergebnisse liegen innerhalb der statistischen Fehlermarge von plus/minus 2-3 Prozent. Es ist alles noch alles offen, alles «in a dead heat».
Gleichstand?
Eher unwahrscheinlich – aber doch nicht ganz ausgeschlossen – ist, dass weder Harris noch Trump auf die erforderlichen 270 Elektorenstimmen kommt. Was dann?
Die Demokratin und der Republikaner sind nicht die einzigen Kandidaten. Um die Präsidentschaft bewerben sich auch die Grüne Jill Stein, der libertäre Chase Oliver, der unabhängige kalifornische Philosophieprofessor Cornel West und andere.
Eher abwegig, aber theoretisch möglich wäre, dass Jill Stein, Chase Oliver oder Cornel West einige Elektorenstimmen erobert. Vor allem Jill Stein, eine 74-jährige Ärztin und Politikerin, verfügt über eine gewisse Popularität. Würde sie einige Elektoren gewinnen, wäre es theoretisch nicht ausgeschlossen, dass das Duell zwischen Harris und Trump mit einem Gleichstand von 269:269 endet.
Turbulente Zeiten – wer auch immer gewinnt
In diesem eher undenkbaren Fall käme es zu einer «contingent election». Das amerikanische Repräsentantenhaus müsste dann den Sieger oder die Siegerin bestimmen. Der Senat würde den Vizepräsidenten wählen. So ungewöhnlich dieses Szenario sein mag: Zu solch «kontingenten Wahlen» war es schon dreimal gekommen: 1801, 1825 und 1837. Thomas Jefferson zum Beispiel wurde 1801 in einer «kontingenten Wahl» zum Präsidenten gekürt.
Sollte es jedoch, wie erwartet, keinen Gleichstand geben, stehen den USA turbulente Zeiten bevor – wer auch immer gewinnt. Trump hat im Falle seines Sieges weitreichende schnelle nationale und geopolitisch einschneidende Massnahmen angekündigt, die «Amerika und die Welt aus den Angeln heben könnten», wie seine Kritiker sagen.
Gewinnt jedoch Harris hauchdünn, wird Trump die Niederlage nicht akzeptieren. Das hat er an diesem Montag bekräftigt. Erinnerungen an den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 werden wach. Mehrere Beobachter fürchten dann bürgerkriegsähnliche Aufstände.