In Israel ist in einer Altersresidenz bei Haifa vor kurzem Uri Paul Russak im hohen Alter von 88 Jahren gestorben. Russak ist in der Schweiz aufgewachsen und war hier berufstätig. Später lebte er in Israel und hat für «Journal 21» eine Zeitlang über seine dortigen Erfahrungen und Einsichten berichtet.
Zum ersten Mal habe ich Uri Paul Russak bei einem Mittagessen im Zürcher Seefeld getroffen. Wir waren über einen Leserbrief, den er aus Israel an die NZZ geschrieben hatte und an dessen Inhalt ich mich nicht mehr erinnere, in Kontakt gekommen und hatten beschlossen, bei Russaks nächstem Aufenthalt in der Schweiz ausführlicher über seine Israel-Erfahrungen und unsere Meinungen zur Palästinenserfrage zu diskutieren.
Uri Paul Russak ist in St. Gallen und in der Schweiz aufgewachsen. Er machte eine Lehre als Verlagsbuchhändler in der legendären Buchhandlung Oprecht an der Zürcher Rämistrasse. Nicht ohne Stolz berichtete er, wie er Anfang der 1950er Jahre einmal Thomas Mann persönlich begegnete, als dieser beim Verleger Emil Oprecht zu Besuch weilte.
Als junger Mann siedelte Uri Russak nach Israel, wo er zehn Jahre in einem Kibbuz arbeitete und 1967 während des Sechstagekrieges in der Armee diente. Im Kibbuz lernte er auch seine Frau Lea kennen, die aus Kanada in Israel eingewandert war.
Anfang der 1970er Jahre wohnte Russak mit seiner Familie wieder in der Schweiz. Er war er viele Jahre als Werbefachmann für grössere Firmen tätig und engagierte sich für die Anliegen des Reformjudentums, eine Zeitlang auch als Co-Präsident des Schweizer Zionistenverbandes.
Im Jahr 2000 kehrte Uri Russak nach Israel zurück. Er residierte in der Kleinstadt Kiryat Tivon südlich von Haifa. Dort betrieb er einen Tagebuch-Blog, in dem er über seine Erlebnisse, Erfahrungen und Gedanken zum Thema Israel und dessen innere und äussere Probleme berichtete, zum Teil auch in Form von Videogesprächen mit Freunden und Bekannten.
In der Beschreibung seines Blogs formulierte er seine Aktivitäten so: «Ich und meine Freunde nehmen Stellung, aber bei weitem nicht immer die gleiche. Ich bin ein mit Realitätssinn wiedergeborener Linker, der sich aktiv für ein Leben mit unseren arabischen Bürgern engagiert und mit ihnen Projekte ausführt. Ich arbeite für eine in meinem Tagebuch oft beschriebene arabische Kunstgalerie, die Kunst als Mittel zu arabisch-jüdischen Freundschaften und als Medium ihrer Sozialarbeit unter gefährdeten Jugendlichen benutzt.»
Einige Jahre lang sind Uri Russaks Tagebuch-Eintragungen und Reflexionen zu den umstrittenen Entwicklungen in Israel selber und den Konfrontationen mit den arabischen Nachbarn im «Journal 21» publiziert worden. Seine damaligen Beiträge sind unter diesem Link zugänglich: https://www.journal21.ch/autoren/uri-russak
Wer sich in diesen Texten umsieht, merkt schnell, dass Russak kein nationalistischer Hurrah-Patriot war. Für den langjährigen Regierungschef Netanjahu hegte er keine Sympathien. Er warf ihm vor, sich nicht klar und unmissverständlich für die territoriale Definition Israels in den Grenzen von 1967 einzusetzen. In einem Artikel vom 20. Juli 2013 mit dem Titel «Falsche Empörung bei den Anhängern des Grossisrael-Wahns» schrieb er die heute mehr denn je gültigen Sätze: «Netanjahu und sein Kabinett sind unfähig oder unwillig, eigene Visionen in eine klare Politik umzusetzen. In Jiddisch sagt man «nischt ahin und nischt aher» – nicht dahin und nicht dorthin – in Englisch sagt man «wishy-washy», in Deutsch «weder das eine noch das sndere».
Und im gleichen Beitrag liest man weiter: «Doch Israel darf nicht über fremde Völker herrschen. Das hat mit Liebe zu Palästinensern nichts zu tun, sondern wäre angewendeter humanistischer Zionismus … Israel muss aus der Westbank abziehen, solange ein Abzug der Armee sicherheitsmässig vertretbar ist. Das sicherzustellen ist die Aufgabe der israelischen Regierung.»
Fortschritte zu einer Friedenslösung mit den Palästinensern hat der israelische Idealist «mit Realitätssinn» und helvetischen Wurzeln Uri Paul Russak leider nicht erleben können – entgegen den für kurze Zeit aufblühenden Hoffnungen nach der Unterzeichnung des sogenannten Oslo-Vertrages 1993 zwischen Rabin und Arafat im Garten des Weissen Hauses. Sein Blog ist schon seit einigen Jahren verstummt. Auch unsere Whatsapp-Gespräche wurden seltener. Man kann erahnen, wie sehr ihn der Hamas-Überfall vom 7. Oktober und dessen unabsehbare kriegerische Folgen mit Gram belastet haben.