Maia Sandu, die proeuropäische moldauische Präsidentin, erzielte in der Stichwahl um die Präsidentschaft 55,22 Prozent der Stimmen. Damit können das Land, die EU und der Westen aufatmen. Vorläufig.
Nach Georgien die Republik Moldau. So sah wohl das Drehbuch von Wladimir Putin aus. Doch was im Kaukasus vor einer Woche mit einem gigantischen Wahlbetrug gelang, funktionierte diesmal nicht: Moldau/Moldawien, das geopolitisch wichtige Land, geriet nicht in russische Fänge. Noch nicht.
55,22 Prozent für Maia Sandu, das ist ein besseres Resultat, als viele befürchtet hatten. Es kam allerdings vor allem dank der Hunderttausenden in der Diaspora lebenden Moldauer und Moldauerinnen zustande. Sie, die vor allem im Nachbarland Rumänien und anderen EU-Staaten arbeiten, gelten seit jeher als treue Unterstützer der Präsidentin. Nach 80 Prozent der im Mutterland ausgezählten Stimmen lag Sandus prorussischer Gegenkandidat noch mit 52 Prozent vorn. Dann wurden die Stimmen aus dem Ausland ausgezählt.
Alexandr Stoianoglo, Sandus prorussischer Gegner in der gestrigen Stichwahl um die Präsidentschaft, kam auf 44,78 Prozent der Stimmen. Stoianoglo, ein ehemaliger Generalstaatsanwalt, wurde von der Kreml-freundlichen sozialistischen Partei unterstützt.
Als Maja Sandu am Sonntagabend, kurz vor Schliessung der Wahllokale, vor die Medien trat, lächelte sie und wirkte entspannt – sie, die selten Grund zum Lächeln hatte. Offenbar haben ihr die ersten Prognosen, die sie unter der Hand erhielt, Gutes versprochen.
Gekaufte Stimmen, Lügen, Fake News
Die moldauische Wählerschaft war in den letzten Wochen und Tagen mit prorussischer Propaganda, mit Fake News, Lügen und mit viel, viel Geld geködert worden. Es gebe Beweise, hatte Maia Sandu nach dem ersten Wahlgang gesagt, dass über 300’000 Stimmen gekauft worden seien. Dafür sollen 36 Millionen Euro an Schmiergeldern bezahlt worden sein. Die Präsidentin sprach von einem «beispiellosen Angriff auf Freiheit und Demokratie».
Erwiesen ist, dass sich russische Propagandisten und Hacker auch in den letzten zwei Wochen heftig in den Wahlkampf einmischten und skurrile Lügengeschichten auftischten. Auch diesmal wurden laut moldauischen Regierungskreisen viele Bürgerinnen und Bürger mit Geld bestochen, um für den russlandfreundlichen Kandidaten zu stimmen. Der moldauische Oligarch Ilan Șor, der sich auf der Flucht vor einer Haftstrafe erst nach Israel und dann nach Moskau abgesetzt hatte, hat auch diesmal massiv mitgemischt. Ihm wird vorgeworfen, dass er Menschen bezahlt, die gegen die Regierung demonstrieren.
Die Chefin der Wahlbehörde, Angelica Caraman, teilte am Sonntagnachmittag mit, dass es am Wahltag selbst zu einer russischen Cyberattacke gekommen sei. Dies führte dazu, dass die Wählerinnen und Wähler am Sonntag nur langsam registriert werden konnten. Doch die Attacke verlief im Sand. Die Funktionsfähigkeit des Wahlverfahrens sei «zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen», sagte Caraman.
Wegen Korruption aus dem Amt gejagt
Alexandr Stoianoglo hatte sich im Wahlkampf gemässigt gezeigt. Er sei auch für die Westintegration, log er, aber diese solle «weniger schnell vor sich gehen», als es Sandu möchte. Stoianoglo, der wegen Korruption aus dem Amt des Generalstaatsanwalts gejagt, später dann auf seltsame Weise freigesprochen wurde, hatte im ersten Wahlgang vor zwei Wochen 26 Prozent der Stimmen erhalten.
Doch nicht nur er, sondern auch andere, eher russlandfreundliche Kandidaten kleinerer Parteien waren im ersten Wahlgang angetreten. Stoianoglo hatte gehofft, dass in der Stichwahl nun auch die Anhänger dieser kleinen russlandfreundlichen Parteien für ihn stimmen würden. Zusammen genommen hätten diese prorussischen Stimmen Sandu in Bedrängnis bringen können. Dazu kam es nicht.
Moldau, oft auch Moldawien genannt, ist ein zerbrechliches Konstrukt. Das Land ist etwa zwei Drittel so gross wie die Schweiz und zählt 2,5 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen. Es ist eingequetscht zwischen der Ukraine und Rumänien. So klein es sein mag: Strategisch und geopolitisch ist es äusserst wichtig. Moldau stellt zusammen mit der Ukraine eine wichtige Barriere gegen die imperialistischen Gelüste des Kreml-Herrschers dar.
Das Armenhaus Europas
Seit Jahren versucht der Kreml, die prowestliche Republik Moldau zu destabilisieren und sie dem westlichen Einflussbereich zu entreissen. Immer wieder werden regierungsfeindliche Demonstrationen organisiert. Die moldauische Denkfabrik «WatchDog» hat ermittelt, dass Russland alleine in diesem Jahr mehr als 100 Millionen Dollar für Einmischung in die moldauische Politik ausgegeben hat. Die russische Opposition macht der moldauischen Regierung seit jeher das Leben schwer. Dadurch werden dringend notwendige wirtschaftliche Reformen verhindert, was dazu führt, dass die Republik das Armenhaus Europas ist. Was wiederum der russischen Opposition Auftrieb gibt.
Moldau/Moldawien wäre eine einfache Beute für Russland. Seit der Unabhängigkeit hat sich ein Landstrich östlich des Dnister-Flusses vom Mutterland abgespaltet und sich als prorussische «Republik Transnistrien» (auf der Wikipedia-Karte rot schraffiert) etabliert. Sie wird einzig von Russland anerkannt. In Transnistrien befinden sich riesige Munitionslager aus sowjetischen Zeiten. Zudem hat der Kreml dort Panzer und Tausende russische Soldaten stationiert. Sie stellen für die Republik Moldau eine latente Gefahr dar.
Von Transnistrien aus könnten russische Kräfte Moldawien in wenigen Stunden erobern – vor allem deshalb, weil die moldauische Armee nur gut 5’000 Soldaten zählt. Und der Westen würde wohl bei einer russischen Invasion kaum einen Finger rühren. «Wenn die Ukraine fällt», sagt der moldauische Schriftsteller Vitalie Ciobanu, «ist die Republik Moldau dran.» Und wenn Moldawien gefallen ist, wer folgt dann? Die baltischen Staaten? Polen?
«Die russische Aggression beenden»
Wie wichtig ein prowestliches Moldawien für Polen ist, unterstreicht der kürzliche Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk in der moldauischen Hauptstadt Chișinău. In einer Rede vor dem Parlament, die er teilweise auf Rumänisch hielt (Rumänisch ist die moldauische Amts- und Umgangssprache), versicherte er, dass Polen mit der Republik Moldau zusammenarbeiten werde, um den Beitritt des Landes zur Europäischen Union zu erleichtern. Politische Stabilität in der Region «liegt im gemeinsamen Interesse von Polen und Moldau». Deshalb würden die beiden Länder «weiter zusammenarbeiten, um die russische Aggression gegen die Ukraine so schnell wie möglich zu beenden».
Würde die russische Armee die Republik Moldau besetzen, könnte sie die Ukraine wie bisher von Osten her und neu dann auch von Westen her in einen Zangengriff nehmen.
Doch nicht nur von Transnistrien aus droht Gefahr. Im Süden des Landes hat sich das pro-russische «autonome Territorium» Gagausien selbständig erklärt (rot schraffiert). Auch in Gagausien hat der Kreml begonnen, militärisches Material und Soldaten zu stationieren. Alexandr Stoianoglo, der prorussische Gegenkandidat von Maia Sandu, wurde in Gagausien geboren.
Um der russischen Gefahr entgegenzutreten und das Land im Westen einzubinden, hatte die moldauische Regierung im März 2022 der EU ein Beitrittsgesuch eingereicht. Daraufhin hat der Europäische Rat dem Land den Status eines Bewerberlandes zuerkannt.
Im Dezember 2023 haben die EU-Führungsspitzen beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit Moldau aufzunehmen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das Land im Oktober 2024 besucht. Gleichzeitig hat die EU-Kommission einen Wachstumsplan für die Republik Moldau in Höhe von 1,8 Milliarden Euro beschlossen. Von der Leyen sagte, Europa stehe fest an der Seite Moldaus, «heute und bei jedem seiner Schritte auf dem Weg in unsere Union».
Natürlich gefällt es dem Kreml nicht, dass die einstige Sowjetrepublik sich im westlichen Machtgefüge einnisten will.
Blaues Auge
Um die Anbindung der Republik Moldau an den Westen zu «offizialisieren», hatte Präsidentin Maia Sandu eine Volksabstimmung angesetzt. Diese fand gleichzeitig mit dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen statt. Gefragt in der Abstimmung wurde, ob das Land seinen proeuropäischen Weg in der Verfassung festschreiben will.
Sandu erhoffte sich damit ein klares Verdikt für ihre prowestliche Politik. Doch das Vorhaben ging beinahe schief. Nur 50,39 Prozent der Stimmberechtigten sprachen sich für die Vorlage aus. Zwar ist Sandu mit einem blauen Auge davongekommen, doch der grosse Befreiungsschlag, den sie sich erhoffte, war das nicht. Die russische Propaganda hat offensichtlich gewirkt.
Umso gespannter war man nun deshalb, wie Maia Sandu in der gestrigen Stichwahl um die Präsidentschaft abschneiden würde. Würde sie auch in der Stichwahl ein schlechtes Ergebnis erzielen, würde das ihre ohnehin nicht starke Position weiter schwächen.
Noch nicht über dem Berg
Maia Sandu ist mit ihren 55,22 Prozent der Stimmen fürs Erste gerettet. Doch längerfristig ist sie wohl noch lange nicht über dem Berg. Die prorussischen Kräfte werden jetzt noch intensiver an ihrer Demontage arbeiten. Viel hat sie dem nicht entgegenzusetzen. Erste regierungsfeindliche Demonstrationen sind programmiert.
Viele fürchten, dass Russland einen Zwischenfall in Transnistrien oder im moldauischen Mutterland provoziert, um dann mit einer Invasion loszulegen. Wie könnte eine solche Provokation aussehen? Im März des vergangenen Jahres hatte die russische Nachrichtenagentur Ria gemeldet, im russisch dominierten Transnistrien seien Anschläge auf pro-russische Beamte verübt worden. Beweise dafür wurden nicht vorgelegt. Sofort hiess es in den sozialen Medien, Russland müsse eingreifen und die Russen und Russinnen in Transnistrien und in Moldau schützen.
Sobald sich die Lage der russischen Truppen in der Ukraine stabilisiert hat, so fürchten Beobachter in Chișinău, ist ein solches Szenario nicht ausgeschlossen.