Im US-Präsidentschaftswahlkampf hat Donald Trump behauptet, er könne am 5. November lediglich verlieren, falls die Demokraten «betrügen». Belege dafür hat er keine vorgelegt. Gleichzeitig laufen diverse Versuche seiner Anhängerschaft, einen für sie negativen Wahlausgang mit allen Mitteln zu diskreditieren oder umzustürzen.
US-Wahloffiziellen zufolge war 2020 «die sicherste Wahl der amerikanischen Geschichte». Eine monatelange Recherche der Nachrichtenagentur AP in sechs Swing States fand weniger als 475 eher belanglose Fälle von möglichem Wahlbetrug. Von 62 Klagen, die Donald Trump seinerzeit wegen angeblicher Wahlfälschung landesweit anstrengte, liess die Justiz nach eingehender Prüfung lediglich eine zu.
Manipulative Umfragen
Auch dieses Jahr dürfte in Amerika der Ausgang der Präsidentenwahl nicht unangefochten bleiben. Einer der ausgeklügeltsten Versuche, den Nährboden für Zweifel zu säen, sind voreingenommene Umfragen, welche die republikanische Partei (GOP) in Swing States in Auftrag gegeben hat. Sie alle zeigen Donald Trump als klaren Gewinner und wären im Falle einer Niederlage des Ex-Präsidenten Beweis dafür, dass die Demokraten betrogen haben.
Insgesamt haben Meinungsforschungsinstitute, die der GOP nahestehen, die Resultate von 37 solcher Befragungen veröffentlicht. Ähnlich wird auch versucht, via Online-Wettplattformen den Eindruck zu erwecken, Donald Trump liege uneinholbar vorn. So gingen auf einer Plattform wenige Wetten in der Höhe von insgesamt 28 Millionen Dollar ein, die darauf setzen, dass Donald Trump die Präsidentenwahl gewinnt, «Ich weiss nicht, was zum Teufel das bedeutet», sagte Trump in Reaktion darauf: «Aber es bedeutet auf jeden Fall, dass wir gut unterwegs sind.»
Umfragen lassen sich etwa steuern, indem das Sample der Befragten auf mutmassliche Unterstützer ausgerichtet oder eingeschränkt wird. «Wir führen in allen grossen Umfragen», sagte Donald Trump bei einem Auftritt in New Mexico. «Ich kann nicht glauben, dass es ein enges Rennen sein soll», verkündete er in North Carolina. «Biden sagt seinen Beratern, die Wahl sei ‘tot und begraben’ und er hat Harris eine ‘totale Versagerin’ geschimpft», postete der Verschwörungstheoretiker Jack Posobiec.
Fake Videos und Verschwörungstheorien
Amerikas Wahlverantwortliche dürften jedoch auch dieses Jahr alle Anstrengungen unternehmen, um ein faires Ergebnis des Urnengangs sicherzustellen. Dabei haben sie allerdings gegen eine Flut von Fake News und Verschwörungstheorien zu kämpfen, die in den sozialen Medien zirkulieren. Kein Wunder, haben sich etliche Offizielle nach den Vorgängen vor vier Jahren angesichts wachsender Anfeindungen und grösseren Stresses aus ihren Ämtern zurückgezogen oder sind in Pension gegangen.
Zu den Herausforderungen für Wahlverantwortliche gehört neuerdings auch die Künstliche Intelligenz (KI), die es erlaubt, ohne grossen Aufwand gefälschte Bild- oder Tonbotschaften zu verbreiten, wie es etwa der Chatbot «Grok» des Trump-Anhängers und Tech-Milliardärs Elon Musk tut. Wobei Wahlexperten nicht nur die Versuche beunruhigen, Wählerinnen und Wähler via technische Mittel zu beeinflussen, sondern auch das Potenzial von Fake News und Verschwörungstheorien, zu gewalttätigen Protesten wie dem Sturm auf das US-Capitol am 6. Januar 2021 aufzurufen.
In Pennsylvania zum Beispiel machte ein Video die Runde, das einen Mann zeigte, der in einem Gerichtsgebäude eine grosse Zahl Stimmcouverts deponiert. Die Botschaft: eklatanter Wahlbetrug. Die Wahrheit: Der fragliche Bote war ein lokaler Pöstler, der wie vorgeschrieben Wahlcouverts gesammelt und bei den zuständigen Behörden abgeliefert hatte. Doch der Post wurde über 100’000-mal geteilt.
Erinnerungen an den Foto-Finish Al Gore – George W. Bush
Ein anderes Video in Pennsylvania zeigte eine Gruppe von teils nicht Englisch sprechenden Seniorinnen und Senioren, die aus einem Bus aussteigen und an einer wartenden Schlange von Wählerinnen und Wählern vorbei angeblich direkt wählen gehen. Die Botschaft: «Illegale Wählerinnen und Wähler überspringen wieder eine Warteschlange». Die Wahrheit: Die fragliche Gruppe liess sich im Wahllokal lediglich über das Wahlprozedere informieren und holte Briefstimmen ab.
Videos werden nicht nur falsch interpretiert, sondern auch direkt gefälscht wie etwa jenes einer als Demokratin identifizierten Frau, die vor einer Wahlveranstaltung von Kamala Harris in Houston (Texas) ein kleines Kind anschreit. Die Botschaft: «Typisch» demokratisches Fehlverhalten. Das Video wurde 1,1 Millionen-mal angeklickt und die namentlich genannte Wahlhelferin erhielt Todesdrohungen. Die Wahrheit: Auf dem Video war eine andere Frau in einem anderen Zusammenhang zu sehen.
Auf jeden Fall dürfte Donald Trumps Anhängerschaft auch unmittelbar nach der Wahl neue Fake News und Verschwörungstheorien zu verbreiten beginnen, da wahrscheinlich ist, dass das gesicherte Resultat des 5. November unter Umständen erst Tage später bekannt wird, wie das 2020 im Fall von Joe Biden gegen Donald Trump geschah. Oder wie es 2000 beim Rennen zwischen George W. Bush und Al Gore erst nach der Nachzählung der Stimmen in Florida und einem Entscheid des Obersten Gerichts in Washington DC der Fall war. Nach der Wahl vom 3. November 2020 hat es vier Tage gedauert, bis ein Gewinner feststand.
Unterschiedliche Regeln zur Stimmenauszählung
Für Verzögerungen könnte unter anderem der Umstand verantwortlich sein, dass jeder US-Staat seine eigenen Gesetze und Vorschriften kennt, wie Stimmen einschliesslich jener per Brief abgegebenen Voten zu behandeln sind. Während der Corona-Pandemie vor vier Jahren entschlossen sich 46 Prozent aller Wählerinnen und Wähler, per Brief abzustimmen; auch dieses Jahr dürfte die Zahl der Briefstimmen hoch sein.
Zwar haben einzelne Swing States wie Nevada oder Michigan neue Gesetze und Verfahren eingeführt, um die Auszählung zu beschleunigen. Andere unter Umständen wahlentscheidende Staaten wie Pennsylvania oder Wisconsin aber erlauben kein Auszählen von Brief- oder Stimmen aus Übersee vor dem Wahltag. So dürfte es auch diese Woche bis zum Freitag oder Samstag dauern, bis bekannt ist, wer neue Präsidentin oder neuer Präsident der Vereinigten Staaten wird.
In Nevada gewann Joe Biden 2020 mit einem Stimmenvorsprung von 2,4 Prozent (33’595 Stimmen) und in Michigan mit einem Plus von 2,8 Prozent (154’188 Stimmen). In Pennsylvania betrug Bidens Vorsprung auf Trump 1,2 Prozent (80’555 Stimmen) und in Wisconsin 0,6 Prozent (20’682) Stimmen. Am knappsten siegte Joe Biden 2020 in Arizona mit einem Plus von 0,3 Prozent (10’457 Stimmen). Trump dagegen gewann North Carolina mit einem Vorsprung von 1,3 Prozent (74’483 Stimmen).
Für Aufregung sorgte 2020 auch der Umstand, dass der Donald Trump nahestehende rechte Fernsehsender Fox News als erstes nationales Medium verkündete, Joe Biden habe Arizona knapp gewonnen. Was dem Sender den Vorwurf eintrug, den nationalen Wahlausgang unter Umständen ungebührlich beeinflusst zu haben. Grössere Redaktionen haben deshalb landesweit Vorkehrungen getroffen und zusätzliches Personal bereitgestellt, um möglichst sachgerecht und unabhängig über die Auszählung der Stimmen berichten und Fake News rechtzeitig identifizieren zu können.
Definitiver Entscheid durch das Oberste Gericht?
Dies vor dem Hintergrund, dass Donald Trump wiederholt versucht hat, das Vertrauen der amerikanischen Bevölkerung in die Medien zu untergraben. Ausserdem hat er Medienschaffende als «Volksfeinde» beschimpft. Die Nachrichtenagentur AP hat deshalb angekündigt, ihren Entscheidungsprozess so transparent wie möglich zu gestalten und vor allem bei Prognosen Vorsicht walten zu lassen. Die meisten Medien gehen davon aus, dass es nach dem 5. November zu Anfechtungen, Disputen und Verzögerungen beim Auszählen der Stimmen kommen wird.
Beobachter rechnen auf jeden Fall damit, dass es nach dem 5. November chaotischer werden könnte, je enger der Wahlausgang ist und je länger es dauert, bis die Gewinnerin oder der Gewinner feststeht. Das gilt vor allem für den Swing State Pennsylvania, dessen 67 Wahlbezirke je unterschiedlichen Regeln folgen und entweder von Demokraten oder Republikanern beaufsichtigt werden. Das betrifft etwa die Annahme und das Auszählen von Briefstimmen sowie Massnahmen bei allfälligen Pannen. Ähnlich wie 2000 in Florida müsste dann allenfalls das Oberste Gericht bei einem knappen Ausgang entscheiden, wer die Wahl 2024 gewonnen hat.