Schon im ersten Ausstellungsraum im Neubau des Kunstmuseums Basel wartet auf die Besucher ein eindrucksvoller Effekt: Hier sieht er einige der ältesten Porträts und Familienfotos aus der Geschichte der Fotografie. Die Formate sind noch sehr klein, aber was ins Auge sticht, sind die aufwendigen Rahmen. Jeder wurde kunstvoll verziert und vergoldet, als handele es sich beim Foto um ein berühmtes Werk alter Meister.
So hoch war damals der Stellenwert dieser Bilder, die noch mit grosser Sorgfalt aufgenommen wurden. Ein Porträt oder Familienfoto war etwas ganz Besonderes, und selbstverständlich wurde vom Fotografen erwartet, dass er seine ganze Kunst einsetzte. Diese Rahmen vermitteln die Botschaft, auf die es Ruth und Peter Herzog ankommt: Fotos werden nicht dadurch banal, dass ihre Zahl massenhaft anschwoll und sie jetzt allgegenwärtig sind.
Die Kuratoren Olga Osadtschy und Paul Mellenthin haben die 400 Exponate aus der Sammlung von insgesamt 500’000 Fotos der Sammlung Herzog sehr ansprechend in grossen Glasvitrinen angeordnet und zum Teil an die Wände projiziert. Die schier unglaubliche Zahl der ganzen Sammlung kam zustande, nachdem Ruth und Peter Herzog in den 1970er Jahren auf einem Flohmarkt mehr oder weniger zufällig ein paar Alben erstanden; ihre Leidenschaft nahm ihren Anfang.
In einem Ausstellungsraum wird ein Video mit Peter Herzog gezeigt. Darin erklärt er, wie er beim Erstellen seiner Sammlung mehr und mehr zu der Einsicht kam, dass die Bilder mit der Zunahme ihrer Zahl immer informativer werden. Quantität steigert Qualität. Je mehr man von den Alltagsbildern sieht, desto mehr Details treten hervor, und die abgebildeten Personen, Familien oder Gruppen werden zunehmend mit Leben erfüllt. Ein weiterer Effekt kommt hinzu: Die Ausstellungsbesucher gewinnen bei ihrem Rundgang den Eindruck, nicht nur früheren Generationen zu begegnen, sondern die Welt auch mit ihren Augen zu sehen.
Für die Ausstellung wurden thematische Schwerpunkte gebildet. Neben Porträts und Familienbildern spielt das Reisen eine grosse Rolle, dem Beginn der wissenschaftlichen Fotografie ist ein eigener Raum gewidmet, und weil die Sammlung bis in die 1970er Jahre reicht, gibt es auch Fotos von der ersten Mondlandung.
Anregende Rätsel
Besonders eindrücklich ist die Zusammenstellung einiger Fotos aus Rom, die zwischen 1860 und 1870 aufgenommen worden sind. Auf einigen ist der Tiber zu sehen. Die historischen Gebäude an seinen Ufern sind allerdings Ruinen. Man erschrickt geradezu und fragt sich, wie schlecht es Italien zu dieser Zeit gegangen sein muss und wann es die Kraft und die Ressourcen aufbrachte, die Gebäude so aufzubauen, wie man sie später als Besucher kennenlernen sollte.
Ein besonderer Reiz dieser Ausstellung besteht darin, dass in ihrem Fortgang die Fotos mit anderen Formen der bildenden Kunst in Beziehung gesetzt werden. So gibt es unter anderem Verbindungen zu Andy Warhol oder Gerhard Richter. Beide Künstler wurden durch die Fotografie beeinflusst und die Fotografie durch sie. Das sind spannende Wechselspiele, die in der Ausstellung aufleuchten.
Manches gibt auch höchst anregende Rätsel auf. So ist ein Industriefoto von einer Sitzgruppe zu sehen, das sich in einem voluminösen Band mit kartonstarken Innenseiten und einem aufwendig verzierten und geradezu armierten Einband befindet. Da wüsste man gerne mehr.
The Incredible World of Photography, Sammlung Ruth und Peter Herzog, Kunstmuseum Basel | Neubau, bis 4. Oktober 2020, Katalog