Am 27. Dezember 2013 starb in Bad Wiessee am Tegernsee im Alter von 92 Jahren der deutsche Segelpionier Rollo Gebhard. Auch er war ein Nomade, aber mit den modernen ‚Massenwanderungen’ hatte er wenig am Hut. Seine Passion galt der Fotografie, der Schauspielerei und der Einsamkeit der Meere.
Schallplattenhändler und Schauspieler
Geboren am 7. Juli 1921 in Salzburg als Sohn eines Privatgelehrten verbrachte Rollo Gebhard seine Jugend auf europäischer Wanderschaft zwischen Deutschland, Holland und der Schweiz. Er muss ein vifes Bürschchen gewesen sein, denn trotz der vielen Ortswechsel (und ohne Harmos) schloss er mit 17 Jahren die Schule mit dem Abitur ab.
Doch zum Stubengelehrten taugte er nicht. Ihn lockten die Künste, die Fotografie und die Schauspielerei, aber vor allem wollte er die Welt kennen lernen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, den er als Fotograf bei der Luftwaffe verbrachte, machte ihn vorerst zum gezwungenen Nomaden anderer Art. Als der Krieg zu Ende war, liess er sich in Garmisch nieder und brachte sich als Radio- und Schallplattenhändler und mit gelegentlicher Schauspielerei durchs Leben.
Projekt - in einer Jolle nach Indien
Erst mit 35 Jahren entdeckte er auf dem Starnbergersee mit seinem ersten Segelboot, einer 5-Meter Hansajolle, sein wahres Lebenselement. Im Jahre 1959 transportierte er sein Boot auf einem Autoanhänger erstmals an die Adria. Von hier aus begann er das Meer zu erkunden. Während Monaten segelte er mit seiner eigentlich nicht seetüchtigen Jolle nach Ägypten und durch den Suezkanal Richtung Indien, verdurstete beinahe im Roten Meer und musste schliesslich seine Reise abbrechen, nachdem ihn Piraten vor der Küste von Jemen überfallen hatten.
Solveig – die Gefährtin von Peer Gynt
Sein erstes Boot taufte er auf den norwegischen Frauennamen Solveig. So heisst in Ibsens Drama ‚Peer Gynt’ die Gefährtin des Helden. Unvergesslich wurden Solveig und Peer vor allem dank Edvard Griegs Suite. Der Schallplattenverkäufer Rollo muss sie gekannt und geliebt haben. Vielleicht war dem jungen, von Frauen umschwärmten Nomaden schon damals klar, dass sein Schicksal, wie dasjenige von Peer Gynt, darin bestehen würde, zuhause wartende Frauen zurückzulassen.
Über den Atlantik im Sperrholzboot
Im Jahre 1963 überquerte Rollo Gebhard mit der Solveig II, einem nur 5,5 Meter langen Boot, das im Gegensatz zu seiner Jolle wenigstens über eine kleine Kajüte verfügte, allein den Atlantik. Seine Fahrt, zu einer Zeit unternommen, als die Kommunikationssysteme auf den Weltmeeren nicht den heutigen Standard aufwiesen und daher im Falle einer Notsituation nicht auf Hilfe zu hoffen war, machte ihn schlagartig berühmt.
In den Jahren danach umrundete er auf der Solveig III, einem Segelboot von 7 Meter Länge, als erster deutscher Einhandsegler auf längeren Reisen zweimal die Erde (1967 bis 1970 und 1975 bis 1979). Erst auf seiner dritten Weltumsegelung (ab 1983, Rollo Gebhard war unterdessen 62 Jahre alt) auf der immer noch kleinen, aber etwas komfortableren Solveig IV begleitete ihn seine spätere Ehefrau Angelika Zilcher.
Tollkühner Selbstdarsteller
Rollo Gebhard war ein mutiger, ja tollkühner Segler, der sich mehrmals aus lebensgefährlichen und schier ausweglosen Situationen gerettet hatte. So kenterte die Solveig III in einem Sturm, als er das Boot einem selbstgebauten Autopilot überlassen und sich in der Kabine bei geschlossener Luke in Sicherheit gebracht hatte, an der Südspitze von Grönland, richtete sich aber glücklicherweise wieder selber auf. Überdies war er auch ein begnadeter Selbstdarsteller. Er schrieb mehrere Bücher über seine Reisen, verfasste Radio- und Fernsehbeiträge und verstand es, die Medien für seine Unternehmungen so einzusetzen, dass er schon bald nach seiner ersten Atlantiküberquerung von seiner Leidenschaft leben konnte.
Von der Segel- zur Motoryacht
Mit siebzig zog er sich aus dem Segelsport zurück, doch das Reisen auf dem Wasser wollte er nicht lassen. Im Jahre 1993 kaufte er eine Motoryacht, die Solveig V, mit der er vor allem auf der Ostsee und auf der Elbe und Oder kreuzte. Sein letztes Schiff, die Solveig VII, eine Linssen Motoryacht vom Typ Sturdy Classic 400, erstand er 1998. Mit ihr unternahm er bis 2004 mehrere Reisen durch Europa. Es gelang ihm sogar, durch eine Umregistrierung die für fremde Schiffe gesperrten Binnengewässer Russlands zu befahren. So gelangte er von der Ostsee über Moskau bis ins Kaspische Meer und zurück durch das Schwarze Meer, das Mittelmeer, die Rhone hinauf und über das Kanalnetzt Frankreichs zurück zu seinem Heimathafen Papenburg in Norddeutschland.
Die Solveig VII im Internet
Von Rollo Gebhard und seinen Abenteuern hatten meine Frau und ich keine Ahnung, als im Herbst 2006 ein mit uns befreundetes Paar im Internet per Zufall eine Verkaufsannonce für die Solveig VII entdeckte. Unsere Freunde schlugen einen gemeinsamen Kauf vor. Tatsächlich hatten beide Paare erst kurz zuvor ihre Flussschiffe verkauft und litten, trotz aller Schwüre, angesichts der andauernden technischen Probleme nie mehr ein eigenes Schiff kaufen zu wollen, bereits unter akuten Schiffer-Entzugserscheinungen. Kurz, im Dezember 2006 kauften wir die Solveig VII zu viert und überführten sie im Frühling danach von Papenburg ins Burgund.
Seit sieben Jahren fahren wir nun mit der Solveig VII durch Europa und lassen das Boot im Winter immer wieder an neuen Orten zum Überwintern. Von Basel bis Paris, nach Wien, Berlin und Hamburg führten uns bisher unsere Fahrten. Erst im Laufe unserer Reisen wurde uns richtig bewusst, wie berühmt das Schiff ist.
In Deutschland eine Kultfigur
Rollo Gebhard hatte für das ZDF mehrstündige Filme über seine Russlandfahrt mit der Solveig VII produziert. Vor allem in Deutschland, wenn wir uns bei einem Yachtclub anzulegen anschickten, kam es vor, dass der Hafenmeister auf den Steg eilte, meine Frau als Frau Gebhard begrüsste und uns einen Ehrenplatz im Hafen anwies. Oder es schlich sich in einem Hafen jemand mit dem Fotoapparat an unser Schiff und fragte schliesslich, ob er ein Bild des Schiffes machen dürfe.
Erst vor zwei Wochen auf der Fahrt auf dem Rhein von Mainz nach Koblenz, als wir beim Rüdesheimer Yacht-Club RYC für die Nacht anlegten, schenkte man uns eine bebilderte Festschrift aus dem Jahre 2011 zum fünfzigjährigen Jubiläum des Vereins, in welcher ein eigenes Kapitel dem Ehrenmitglied des RYC Rollo Gebhard gewidmet ist. Dort fanden wir ein Bild, welche die Solveig VII bei einem Besuch in Rüdesheim zeigt.
Unterdessen sind meine Frau und ich alleinige Besitzer des Schiffes. Wir haben, angefangen vom Namen bis zu Details der Innenausstattung, das Schiff so gelassen, wie wir es von Rollo Gebhard übernommen haben. Dazu gehört eine spezielle Vorrichtung, auf welche, wie man uns sagte, ein kleines Whisky-Fässchen für seine Frau Angelika montiert wurde.
Gebhards Vision als Ansporn
Wir hätten zwar nie den Mut, mit der Solveig VII übers Mittelmeer zu fahren, uns genügen die Flüsse und Kanäle Europas. Aber Rollo Gebhard fährt in unseren Gedanken immer mit, denn etwas vereint uns mit ihm und mit allen Menschen, welche auf Schiffen unterwegs sind: die Faszination des Reisens über eine Wasserfläche, sei diese der Ozean oder ein kleiner Kanal, der durch ein enges Tal durch die Vogesen führt, wie wir ihn eben durchfahren, um von der Mosel auf die obere Saône und von dort auf die Rhone südwärts zu gelangen.
Dass die Solveig VII, welche die Weite des Meeres erfahren hatte, sich dabei innerhalb einer Woche durch über 90 kleine Schleusen zwängen muss, gehört zur schier unbegrenzten Spannweite der Erfahrungen auf dem Wasser.
Wo immer der Nomade Rollo Gebhard auf andere Menschen traf, machte er sie sich zu Freunden. So überwand er auf seine Art das schreckliche Erlebnis des Krieges und die Schande seines Landes. Er hatte eine Vision und traute sich zu, diese zu verwirklichen.