Im Jahr 1985 schlossen Deutschland, Frankreich und die Beneluxländer ein erstes Abkommen über die Personenfreizügigkeit ab und gaben ihm den Namen des luxemburgischen Dorfes an der Mosel. Die Idee hätte schon viel früher geboren werden können, zum Beispiel in Basel.
Ostern, das Fest der modernen Nomaden
Ostern ist längst nicht mehr nur das christliche Fest der Auferstehung Christi. An Ostern feiern die Völker der alten Welt die Rückbesinnung auf ihre ureigensten Wurzeln, als die Menschen noch Nomaden waren und die Sesshaftigkeit höchstens ein saisonbedingter Zustand bedeutete.
Noch immer kommen wir dem Winter nur durch Bewegung bei: Auf verstopften Autobahnen oder in überfüllten Zügen zieht es uns in die Ferne, vor allem nach Süden, als ob wir bis heute das Trauma der Sesshaftigkeit kurieren müssten, das uns der Übergang vom Jäger- und Sammlertum zum Ackerbau abforderte.
Mit dem Schiff unterwegs von Frankfurt nach Südfrankreich
Auch wir, meine Frau Sibyl und ich, sind unterwegs, langsam zwar und ohne das Gespenst des Verkehrsstaus. Mit unserem Schiff Solveig VII (Solveig, die Gefährtin von Peer Gynt, wurde unvergesslich dank Edvard Griegs wunderschöner Musik – doch über die Herkunft des Namens unseres Schiffes sei im nächsten Beitrag die Rede), fuhren wir in der Karwoche von Frankfurt am Main, wo die Solveig überwinterte, den Rhein hinunter, bogen in Koblenz in die Mosel ein, vorbei an alten Städtchen, Schlössern und stotzigen Weinbergen. Auch uns zieht es gegen Süden, über den Canal des Voges auf die Saône und weiter über die Rhone bis nach Südfrankreich.
Noch aber schaukeln wir auf der Mosel. Das bisschen Platz zwischen dem Fluss und den steilen Bergflanken haben die motorisierten Nomaden für sich in Beschlag genommen: Dicht an dicht stehen Hunderte Wohnanhänger und Wohnmobile aus allen Herren Ländern. Manchmal bleibt zwischen den fahrbaren Wohncontainern kaum Raum für ein Tischchen und ein paar Stühle. Die Aufstellung der Fahrzeuge orientiert sich eher an den ökonomischen Bedingungen von Parkhäusern als am Naturerlebnis. Aber das scheint die Nomaden nicht zu stören, und auch die Tatsache, dass die Nachbarn aus andern Ländern kommen und andere Sprachen sprechen, spielt, ist man im Nomaden-Modus eingeloggt, keine Rolle, auch wenn man zuhause der Ansicht ist, es lebten zu viele Ausländer im eigenen Land.
Ist Angst vor der Überfremdung eine Krankheit der Sesshaften?
Schengen, ein kleines Dorf an der Mosel
Bei Flusskilometer 242 liegt am linken Ufer der Mosel, nahe der Grenze zu Deutschland und Frankreich, ein kleines luxemburgisches Dorf namens Schengen. Es hat dem am 14. Juni 1985 geschlossenem Abkommen zwischen Deutschland, Frankreich und den Beneluxländern über Erleichterungen im Personenverkehr den Namen gegeben. Schengen steht als Symbol für die Rückbesinnung auf unsere nomadischen Wurzeln.
Was klein begann, wurde in den Jahren 1990 und 2005 mit Schengen II und Schengen III zu einer eigentlichen europäischen Revolution. Wir können uns kaum mehr vorstellen wie es war, als zwischen den europäischen Staaten Passkontrollen stattgefunden haben. Denken wir nur an die gut 160 Tausend Personen, die täglich nach Luxemburg zur Arbeit fahren, oder denken wir an die Grenzgänger im Tessin, in Genf oder in Basel.
Regio Basiliensis hätte Schengen werden können
A propos Basel: Die enge Verbundenheit der Stadt mit dem badischen und elsässischen Umland, die Regio Basiliensis, bedeutet schon lange mehr als nur ein Austausch von Menschen für die Arbeit. Als ich in Basel in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zur Schule ging, war es selbstverständlich, an den schulfreien Nachmittagen mit dem Velo dem Rhein entlang ins Elsass oder ins deutsche Wiesental zu fahren. Im einen Land genoss ich die weite Einsamkeit des Hardwalds, im andern zog es mich in jene Geschäfte, welche für meine Märklin-Eisenbahn all die ersehnten Schätze bereithielten.
Die Grenzkontrollen zwischen den drei Ländern waren auf den regen Austausch eingestellt. Man kannte die regelmässigen ‚Kunden’ und winkte sie durch, auch den Schüler, der mit dem Velo angefahren kam und hoffte, er würde von allzu viel Fragereien verschont bleiben.
Tatsächlich: Die Schengen-Idee hätte schon zwanzig oder dreissig Jahre früher im Dreiländereck des Oberrheins geboren werden können. Schengen könnte auch Basel heissen, hätten wir nur etwas mehr Mut bewiesen. So würde heute in Europa der Name Basel nicht nur an ein internationales Finanzabkommen oder an eine Konvention über den Transport von Giftmüll erinnern. Eigentlich schade, dass wir Schweizer diese Chance verschlafen haben.
PS: Unterdessen liegen wir in Metz, ganz nahe an der Altstadt. Metz – auch so ein Name, der sich gegen die territorialen Ansprüche der Nationalstaaten sträubt.