So schön wie sie war keine. Sie sei die „vollkommenste Schönheit, die er je erblickt habe“, sagte ein Dramaturg. Franz Liszt sprach vom „vollendetsten, bezauberndsten Geschöpf“, das er je gekannt habe. „Neben ihr verbleichen alle anderen Frauen“, sagte der Komponist. Tiefblaue Augen, pechschwarzes Haar. „Schön wie ein Tiger“, hiess es.
Doch sie war nicht nur schön. Ihr heisses Blut bescherten ihr furiose Wutausbrüche. Der Schriftsteller Eduard von Bülow sprach von „hochexplosivem Temperament“. Wer ihr nicht passte, kriegte in aller Öffentlichkeit eine Ohrfeige. Oder sie schlug mit ihrer Reiterpeitsche zu.
Nackt in der Strasse
Schon als ganz junge Frau riss sie sich in einem Wutanfall die Kleider vom Leib und lief nackt durch die Strassen. Im Bild nebenan: Die ca. 16-Jährige (Miniatur von Joseph Heigel).
Später, als sie in Würzburg mit ihrem Hund in einen öffentlichen Park gehen wollte, wurde ihr von einem Soldaten beschieden, dass Hunde hier nicht erlaubt sind. Der Soldat erhielt einen Peitschenhieb im Gesicht.
In Warschau brachte sie ein Theaterdirektor nach einer Aufführung in der Kutsche ins Hotel zurück. Als er aufdringlich wurde, zog sie den Dolch und warf ihn aus der Kutsche. Zu Fuss musste er im Regen nach Hause gehen. Einem Offizier warf sie ein Champagnerglas an den Kopf. Dem Publikum, das ihren Auftritt nicht würdigte, zeigte sie den Hintern.
Tumulte
Schnell wurde sie weltberühmt. Zeitungen rund um die Welt berichteten von ihr. Sie tanzte vor dem preussischen König und dem russischen Zaren. Sie löste Tumulte und diplomatische Verstimmungen aus – und der bayerische König stürzte über sie.
Ihre Schönheit, ihr Temperament – das ist der Stoff, auf den sich Schriftsteller, Historiker, Journalisten und Filmemacher stürzen. In allen Facetten wurde das Leben der heissblütigen Spanierin aus Sevilla ausgeschmückt. Dutzende Biografien entstanden. Sogar der grosse deutsche Filmregisseur Max Ophüls beugte sich über das turbulente Leben der schönen spanischen Tänzerin.
Doch die schöne spanische Tänzerin war gar keine Spanierin.
Sich neu erfinden
In einer wohltuend sachlichen Biografie hat nun die deutsche Historikerin Marita Krauss *) das Leben der angeblichen Lolita Montez neu erzählt. Krauss konnte auf viele bisher unerforschte Dokumente zurückgreifen, vor allem auf das Tagebuch des bayerischen Königs Ludwig I. Krauss weist immer wieder darauf hin, dass vieles, was man erzählt, Ausschmückungen sind, unbewiesene Spekulationen – und erotische Phantasien männlicher Autoren.
Geboren wird die angebliche Spanierin am 17. Februar 1821 im hochmoralischen viktorianischen Irland. Sie heisst Eliza Gilbert. Mit 16 Jahren wird sie entführt und verführt. Nach gescheiterter Ehe steht sie mittellos da. Sie muss sich neu erfinden. Und das tut sie.
„Etwas Pikantes und Provozierendes“
Sie erfindet sich als heissblütige spanische Tänzerin. Sie sei eine Aristokratin aus Sevilla und legt sich den Namen Lola Montez zu. Sie zieht von England auf den Kontinent. Dort lassen ihre Auftritte „das Publikum zu Stürmen von masslosem Enthusiasmus hinreissen“, schreibt Krauss. Lola gilt als „einzigartig schön“, sie hat „etwas Pikantes und Provozierendes“ an sich.
Sie freundet sich stets mit Journalisten an, die die Werbetrommel für sie schlagen. In Dresden kann sie am Hoftheater auftreten. Überall liegen ihr Verehrer zu Füssen. Schnell wird über die „feenhafte Erscheinung“ gemunkelt. „Eine Frau mit so vielen Verehrern, so die Meinung, muss auch viele Liebhaber haben und sich von ihnen aushalten lassen“, schreibt Krauss. „Es ist jedoch eher zu vermuten, dass sie sich nicht allzu stark binden wollte.“
Nützliche Skandale
Zum Frühstück in ihrem Hotel in Berlin versammeln sich Verehrer aus aller Herren Länder. Das Hotel wird zum Wallfahrtsort für die „ästhetische Männerwelt“. (Krauss).
Doch die schöne Tänzerin wurde nicht nur geliebt. Die einen bezeichneten sie als „ordinär und arrogant, niederträchtig ... exzentrisch bis zur Verrücktheit“. Richard Wagner sagt, sie habe „unverschämte Augen“ und sei „ein herzloses dämonisches Wesen“.
Krauss fragt: „War sie eine freche, eitle, indiskrete und machtgierige Hochstaplerin, die nicht einmal als Tänzerin Qualitäten hatte und nur von ihren Skandalen lebte?“. Wie auch immer: „Sie lernte schnell, dass ihr Skandale nützlich waren.“
Schlag ins Gesicht
In Berlin marschieren während einer Zeremonie 30’000 Soldaten vor König Friedrich Wilhelm und Zar Niklaus vorbei. In elegantem Reiterdress versucht Lola auf einem edlen Pferd in den königlichen Hof einzudringen. Ein Gendarm will sie daran hindern. Sie versetzt ihm mit der Reitgerbe einen Schlag ins Gesicht. Dieser Vorfall erregt auch in ausländischen Zeitungen grosse Aufmerksamkeit. Ob er sich genau so zugetragen hat, ist unklar.
Ein Biograf spricht von „offener und beeindruckender animalischer Ausstrahlung“. Ob sie ein Verhältnis mit Franz Liszt hatte, ist wahrscheinlich, aber nicht bewiesen. Jedenfalls sind die beiden oft zusammen. Um Ruhe zu haben, lässt Liszt sie einmal von einem Hotelportier zwölf Stunden lang in ihrem Hotelzimmer einsperren. Das Mobiliar, das sie zertrümmert, zahlt er im Voraus.
Öffentliches Ärgernis
Ein Verhältnis hat sie mit dem Journalisten Alexandre Henri Dujarier von der Zeitung „La Presse“. Doch der stirbt schon bald in einem Duell mit einem Journalisten einer Konkurrenzzeitung.
Sie liebt grosse Hunde und raucht in aller Öffentlichkeit Zigarillos. In Baden-Baden wird sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ausgewiesen. Sie hatte ihren Rock gehoben und einem Mann, der neben ihr sass, den Dolch in ihrem Strumpfband gezeigt.
„Ludwig brannte lichterloh“
1846 trifft sie in München ein. Der König, Ludwig I., verliebt sich Hals über Kopf in sie. Berichte über ihren Lebenswandel steckt er weg. Schnell lässt er die 25-jährige Schöne von seinem Hofmaler Joseph Karl Stieler für seine Schönheitsgalerie malen. „Ludwig brannte lichterloh“, schreibt Krauss.
Als sie sich bei der Polizei anmelden muss, schreibt sie unter der Rubrik „in Begleitung von ...?“: „Un chien“.
Eine Anekdote lautet so: Der König sei von ihren Brüsten derart begeistert gewesen, dass er gefragt habe, ob sie echt seien. Daraufhin habe Lola eine Schere verlangt, ihr Kleid aufgeschnitten und ihm ihre Brüste gezeigt.
Wie der Vesuv
Im biedermeierlichen München gilt sie schnell als Provokation. Ludwig schenkt ihr ein Palais und besucht sie täglich oft mehrmals. Sie schmiegen sich aneinander, streicheln sich ständig, überhäufen sich mit Liebesschwüren, schlafen nebeneinander. Doch, so schreibt Ludwig in seinem Tagebuch, er habe ihr „nur zweimal beygewohnt“. Sie treten offen als Liebespaar auf, spazieren als solches durch die Strassen. Therese, die Frau von Ludwig, ist informiert und drückt ein Auge zu.
Ludwig ist immer mehr von Sinnen. Fast täglich schreibt er ihr Gedichte. „Für den 60-jährigen Ludwig war die 25-jährige schöne Frau ... die Inkarnation eines Traumes“, schreibt Krauss. „Ich kann mich mit dem Vesuv vergleichen, der als erloschen galt, bis er plötzlich ausbrach“, heisst es in seinem Tagebuch.
„Da erwachte ihre Liebe“
Die Münchner, die ihren König lieben, goutieren die Liaison ganz und gar nicht. Sie bezeichnen Lola als „Hure“ und wollen sie vertreiben.
Das kümmert Ludwig nicht. Er berücksichtigt sie in seinem Testament und beginnt, ihr Unsummen Geld nachzuwerfen. Er schenkt ihr Schmuck und Kleider. Ihr Haus an der Barer Strasse wird umgebaut und fürstlich eingerichtet. Als sie wieder einmal tobt, wirft er sich zu Boden und stöhnt vor ihr. „Da erwachte ihre Liebe“, heisst es im Tagebuch, „sie bog sich über mich hinüber und küsste mich.“
Eine Art Premierministerin
Doch Lola wird immer unverschämter. Sie mischt sich in die Regierungsgeschäfte ein, kritisiert Minister und Polizeibeamte, fordert Absetzungen und Beförderungen. „Aschenputtel ist erwacht“, schreibt Krauss. Sie spielte sich als eine Art Premierministerin auf.
Viele, seine Freunde, der Adel, Würdenträger, die Bürgerschaft, versuchen den liebestrunkenen König zu überzeugen, dass er sich von Lola trennen müsse, um die Monarchie nicht zu gefährden. Lola wird zum Thema der Diplomatenberichte. „Quer durch Europa floss der Hofklatsch – dem Privatleben eines Königs waren enge Grenzen gesetzt“, schreibt Krauss.
„Gräfin von Landsfeld“
Jetzt erfährt der König, dass Lola ihn regelmässig mit Studenten betrügt. „Aus meinem Himmel bin ich gestürzt“, schreibt er. „Es war ein Traum, er ist dahin.“ Als sie damit konfrontiert wird, schäumt ihr Mund. Sie streitet alles ab und schmeisst mit Tassen um sich. Auf den Wutanfall folgt ein Tränenstrom. Der König glaubte ihr, dass alles erfunden sei. Jetzt erhebt sie der König zur „Gräfin von Landsfeld“.
Immer mehr wird er zum Gespött und „Lola war längst zum Stein öffentlichen Anstosses geworden“. (Krauss). In den Strassen wird sie mit Pferdeäpfeln beworfen. Sie spricht von einem Komplott der Jesuiten. Die Bürger entwerfen konkrete Pläne, Lola zu entführen oder gar zu vergiften. Man offeriert ihr 50’000 Francs, damit sie München verlasse.
„Montez du grosse Hur“
Immer mehr wird sie mit einem gesellschaftlichen Boykott belegt. Würdenträger, Adlige kommen nicht mehr zu den königlichen Empfängen. Anonyme Graffiti tauchen auf. Mit roter Kreide steht auf einer Wand: „König Ludwig ist wahnsinnig, die Spanierin regiert.“ Oder „Montez du grosse Hur, bald schlagen wird die Uhr“.
1848, das Jahr der europäischen Revolutionen. Ludwig erfährt, dass man da und dort schon über seine Absetzung spricht. In Paris beginnt die Revolution. Auch in München wächst die Teuerung und die soziale Not. Die Bürger stellen die „Märzforderungen“: Pressefreiheit, ein neues Wahlgesetz. Der angeschlagene König demissioniert. Lola wird ausgewiesen. Verkleidet als Mann, kehrt sie noch einmal zurück. Der abgetretene König umarmt sie.
Genf
Über Lindau gelangt sie via Bern nach Vevey, wo sie ein Haus kaufen und auf Ludwig warten will. Doch Vevey gefällt ihr nicht, sie zieht nach Genf weiter, wo sie in das Château de l’Impératrice mit herrlichem Blick auf den See und die Berge einzieht: das Schlösschen, das Josephine de Beauharnais, die erste Frau Napoleons, bewohnt hatte. Noch immer überschüttet sie Ludwig mit Geld.
Jetzt versuchte sie den König zu erpressen. Sie hatte alle ihre Liebesbriefe aufbewahrt. Was würde geschehen, wenn sie diese veröffentlichen würde? Nun endlich begreift der König und bricht den Briefverkehr ab.
Die beste Vortragsreisende
Schliesslich zieht sie nach New York, wo sie die Theatersäle füllt. Sie beginnt sich als Schauspielerin zu profilieren und hat Erfolg. Das Theater am Broadway ist ausverkauft, wenn sie auftritt. „In Washington standen die Senatoren, Gouverneure und Diplomaten Schlange, um von ihr empfangen zu werden.“ Die Zeitungen loben sie, und die inzwischen 32-Jährige verdient viel Geld. Im Bild nebenan: Die 30-Jährige (Daguerreotypie von Southworth & Hawes, 1851).
Jetzt wird sie Vortagsreisende. Bald gilt sie in New York als die beste Vortragskünstlerin ihrer Zeit. Sie spricht über fremde Kulturen, über die Frauen in Paris, über platonische Liebe, über Kunst und das Geistesleben.
Von evangelikalen Kreisen gekapert
Als Galionsfigur der Frauenbewegung taugt sie nicht. Sie wehrt sich gegen gemeinsame Aktionen von Frauen, die ihre Rechte fordern. Wahrhaft starke Frauen hätten gehandelt, nicht geredet, sagt sie, sie hätten ihre Rechten eingefordert und sie verteidigt.
Immer mehr wendet sich Lola der Religion zu. „Was würde ich nicht darum geben“, schreibt sie in ihren Memoiren, „meine schrecklichen und furchtbaren Erfahrungen als dringende Warnung für all jene hinzugeben, die von ähnlicher Natur sind wie ich.“ Nach ihrem Tod am 17. Januar 1861 wird sie von evangelikalen Kreisen gekapert. Sie habe ihre Sünden bereut und sich intensiv Gott zugewandt, heisst es in einer evangelischen Publikation.
Kein Kalbfleisch in der Nacht
Zu ihren Vermächtnissen gehört ein Schönheitsratgeber, der über 100’000 Mal verkauft und ins Französische, Italienische und Deutsche übersetzt wurde. Irgendwann würden Frauen begreifen, heisst es darin, dass die Männer eine Frau, die sich nur über die Schönheit definiert, nur als Spielzeug behandeln, sie aber nicht respektieren.
Im Weiteren rät sie davon ab, während der Nacht rohes Kalbfleisch aufs Gesicht zu legen, um Falten vorzubeugen. Das sei „ein schrecklicher Anblick für den Liebenden“.
*) Marita Krauss: „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen“: Das Leben der Lola Montez.
C. H. Beck, München, Dezember 2020