Wir hatten unsere Reise gebucht. Am 17. Dezember wären wir abgeflogen und am 8. Januar nach den Festtagen zurückgekommen. Die Regeln waren: Ein elektronisches Passenger Locator Form (PLF) ausfüllen, die griechische Regierung schickt einen QR-Code, der bei der Einreise gescannt wird und aufgrund dessen einige Passagiere getestet werden. Leider wurde der Flug ohne Angabe von Gründen abgesagt.
Während wir noch werweissten, was zu tun sei, verlangte die griechische Regierung mit vier oder fünf Tagen Vorlauf ab 18. Dezember zusätzlich einen negativen PCR-Test und verhängte eine zehntägige Quarantäne für Einreisende – ohne dass sich an der epidemiologischen Lage etwas geändert hätte. Die Quarantäne wurde dann auf drei Tage verkürzt und nach den Festtagen auf sieben Tage verlängert – wiederum praktisch ohne Vorwarnung und ohne dass sich an der Lage etwa geändert hätte. Das sind die Regeln, die noch heute gelten. Wir sind dann nicht gereist. Das hat nur teilweise damit zu tun, dass die griechische Regierung die Regeln des Spiels immer wieder ändert, aber auch.
Erst die Impfung dann die Reise nach Griechenland?
Gleichsam als verspätetes Weihnachtsgeschenk hat der griechische Ministerpräsident Mitsotakis vorgeschlagen, einen EU-weiten Impfpass einzuführen, der den Inhaberinnen und Inhabern bei der Einreise Vorteile verschaffen und sie auf einer Überholspur einreihen würde. Tourismusminister Charis Theocharis beeilte sich zwar zu versichern, dass eine Impfung nicht Vorbedingung zu einer Einreise würde, aber der Schaden war angerichtet. Die spanische Regierung, die bereits jetzt die geimpfte Bevölkerung in einem Register fichiert, unterstützte Mitsotakis und der griechische Ministerpräsident beharrte auf seinem Vorschlag. Die Staats- und Regierungschefs nahmen das Anliegen zur Prüfung entgegen. Es ist heute schwer zu sagen, was daraus wird und ob der Vorschlag in der Praxis eine Bedeutung erlangen wird. Wichtige EU-Länder wie Deutschland sind aber sehr zurückhaltend. Bundeskanzlerin Merkel äusserte sich sinngemäss, dass darüber nicht entschieden werden kann, solange viele Fragen offen sind, man zum Beispiel nicht einmal wisse, ob Geimpfte noch ansteckend sein können. Kommissions-Vizepräsident Maros Sefcovic warnte, es könne nicht sein, dass Menschen aufgrund der Tatsache, dass sie geimpft sind oder nicht, an der Grenze anders behandelt würden.
«Es gibt gute und weniger gute Ideen. Die Idee eines Impfzertifikats als Schlüssel zur Reisefreiheit nach Corona dürfte in die zweite Kategorie gehören», kommentierte der Brüsseler Korrespondent der Tamedia-Redaktionen kurz und bündig.
In der Tat: Viele Fragen sind offen. So lange nicht klar ist, ob Geimpfte das Virus noch weitergeben können, solange unbekannt ist, wie lange der Impfschutz hält und solange die Frage nach langfristigen Nebenwirkungen nicht beantwortet werden kann, ist der Vorstoss aus Athen ein unüberlegter Schnellschuss, eine Nebelpetarde, die von selbstverschuldeten Problemen im Inland ablenkt. Aber dazu später mehr.
Auch die Rechtsgrundlage eines Impfpasses als Voraussetzung für problemloses Reisen ist wacklig und das Missbrauchspotential einer elektronischen Lösung, die an der Grenze nicht durchgeblättert werden muss, sondern ruckzuck gescannt wird, riesig. Mangels einer wasserdichten Datenschutzregelung hätte diese Entwicklung ein enormes Missbrauchspotential. Wie wird verhindert, dass auch andere Gesundheitsdaten auf diese Plattform gehoben werden und überall vorgezeigt werden müssen – quasi als Eintrittsvoraussetzung für dies und das?
Ausgangssperre und volle Strassen
Bereits Anfang Dezember hatte ich vermutet, dass Hellas die Kontrolle über die Pandemie verloren hat. Und die Bilder aus Athen, die mich über die Festtage erreichten, stimmten nachdenklich. Während offiziell in Griechenland Ausgangssperre herrschte – man durfte und darf das Haus nur mit Passierschein verlassen, den man per SMS verlangt – sah man Bilder von Stränden und vom Niarchos-Kulturzentrum in Athen, auf denen Menschen dicht gedrängt flanierten. Verboten ist insbesondere das Fahren in eine andere Provinz. Aber Abwasserproben haben ergeben, dass eine halbe Million Griechinnen und Griechen über die Festtage trotzdem Athen verlassen haben und nachher wieder zurückgekehrt sind. Und last but not least hat ein Vergleich der Verkehrsbelastung ergeben, dass zwischen dem Januar 2020 und dem Januar 2021 kein Unterschied bestand …
Das heisst: Im Unterschied zur ersten Welle werden die Coronamassnahmen in Hellas nicht mehr wirklich durchgesetzt oder nicht mehr eingehalten. Oder beides. Die Regierung kündigt, wenn die Fallzahlen steigen, strenge Massnahmen an, zwinkert aber gleichzeitig mit dem Auge.
Bei der Interpretation der Zahlen springt ins Auge, dass Griechenland zwar relativ tiefe Ansteckungszahlen, aber hohe Todeszahlen ausweist. Das zeigt, dass entweder die Dunkelziffer hoch ist, das Gesundheitssystem in die Knie gegangen ist oder beides. Gleichzeitig sind die Coronamassnahmen kompliziert, unlogisch und ändern sich ständig. In der Kommunikation trifft die Regierung den richtigen Ton auch je länger je weniger. Vorbei sind die Zeiten der ersten Welle, wo der damalige Sprecher Sotiris Tsiodras mit viel Einfühlungsvermögen und Transparenz für die harten Massnahmen geworben und die Menschen mitgenommen hat. Heute sieht die Regierung, dass die Menschen nach drei Monaten Hausarrest Schlupflöcher suchen. Sie reagiert frustriert, drohend und ohne stringente Logik. Über die Festtage wurden beispielsweise kirchliche Veranstaltungen verboten – auch die traditionelle Wasserweihe, die unter freiem Himmel stattfindet – aber Massenaufläufe, wie oben beschrieben, wurden toleriert. Niemand weiss warum.
Nebelpetarden
Voraussetzung für die Akzeptanz harter Massnahmen wären Ehrlichkeit, eine realistische Einschätzung und auch das Eingeständnis von Fehlern. Aber die jetzige griechische Regierung schiesst Nebelpetarden ab wie den obigen Vorschlag eines Impfpasses.
Nur in einem Bereich setzt Griechenland die beschlossenen Massnahmen mit grosser Härte durch: an der Grenze. Auslandsgriechen oder Ausländer, die ein legitimes Interesse in Griechenland haben, sind offenbar nicht wichtig. Sie haben keine Lobby, keine Stimme, und ihre Geldüberweisungen fliessen, auch wenn man ihnen bei der Einreise Hürden aufstellt. Damit man mich richtig versteht: Ein Einreiseformular ist in Ordnung. Ein obligatorischer Test ist auch in Ordnung und eine angemessene Hausquarantäne ist auch in Ordnung, wenn die einreisende Person aus einem Land kommt, das eine ungünstigere Fallentwicklung aufweist. Aber was nicht geht, ist das ständige Ändern der Regeln, wenn sich an der epidemiologischen Lage nichts ändert, und das nur selektive Durchsetzen der Regeln im Inland bei grosser Härte an der Grenze. Ist man an der Grenze streng, darf es im Inland kein «Laissez-faire» geben. Es gibt auch nirgendwo eine aktualisierte Zusammenfassung aller Coronaregeln in Griechenland. Die beste Zusammenfassung bieten die Reisehinweise des deutschen Bundesaussenministeriums …
Die touristische Saison ante portas
Die griechische Regierung weiss genau, dass man zwar mit den Auslandsgriechen und den Griechenlandfreunden in dieser Art umspringen kann – sie haben sich ja an die Eigenheiten Griechenlands gewöhnt, lieben das Land, und Liebe macht schliesslich blind – aber sobald die touristische Saison startet, kann diese Politik nicht weitergeführt werden. Ein negativer Test ist für das Familienbudget kaum zu stemmen, eine Quarantäne liegt auch nicht drin bei einer Aufenthaltsdauer von beispielsweise 14 Tagen, und auch bei der Rückreise gibt es eventuell Unsicherheitsfaktoren. Deshalb entstand wohl die Idee mit dem Impfpass.
Aber es wird wohl nicht so schnell gehen mit der vermeintlichen Wunderlösung. Einerseits gibt es die oben erwähnten Probleme, andererseits kommt in vielen Ländern, von denen Touristen jeweils im Sommer in Scharen nach Griechenland strömen, die Impfkampagne nicht so voran, wie es sich der griechische Ministerpräsident vorgestellt hat, der ganz zu Beginn der Impfkampagne in Griechenland für sich und seine ganze Familie Impfdosen beansprucht hat. Er muss sich wohl irgendwann entscheiden, ob er 2021 Tourismus haben will oder nicht. Und wie wäre es, wenn er in der Zwischenzeit durch angemessene, transparent kommunizierte und gleichmässig durchgesetzte Massnahmen die Situation im Lande in den Griff bekommen würde? Sehr viel Zeit bleibt nicht mehr. Die griechischen Ostern sind in diesem Jahr am 2. Mai und etwa zwei Wochen vorher beginnt die touristische Saison.