Mehr als acht Jahre, von 2009 bis 2017, hat er die Kanzlerin wieder und wieder begleitet. Eine besondere Nähe stellte sich nicht her. Er schreibt selbst, dass er mit ihr nur einmal kurz über Fotografie gesprochen habe.
Zusammenspiel
Andreas Herzau hat auch nicht den Versuch gemacht, die Veränderungen Merkels im Laufe dieser Jahre sichtbar zu machen. 1999 hat die Fotografin Herlinde Koelbl einen Bildband unter dem Titel „Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt“ vorgelegt, in dem die Veränderungen auch bei Angela Merkel eindrucksvoll zum Ausdruck kamen.
Andreas Herzau bringt etwas anderes zum Vorschein: das Zusammenspiel zwischen Merkel, den Medien und dem Publikum. Fast alle Bilder zeigen diese Interaktionen, und dabei wird eine Eigenheit Merkels zunehmend sichtbar: Sie hat eine sehr starke Wirkung auf die sie umgebenden Menschen, ohne ersichtlich über Charisma oder eine blendende Erscheinung zu verfügen. Sie ist kein Karl-Theodor zu Guttenberg, der allein durch sein Auftreten alle in den Bann schlug.
Und sie ist natürlich kein Obama. In dem Bildband gibt es ein Foto von Obama mit seiner blenden Erscheinung. Er lacht und winkt, und im ersten Moment denkt man, dass sich seine Gestik und Mimik direkt auf Merkel bezieht, die auf der linken gegenüberliegenden Buchseite abgebildet ist. Aber es handelt sich um zwei verschiedene Fotos.
Diese Art der Bildkomposition ist ein Merkmal des ganzen Bandes. Der Verlag hat die Buchseiten jeweils verdoppelt, so dass ein Bild nahtlos über zwei Seiten gedruckt werden konnte. Andreas Herzau, der diesen Band gestaltet hat, nutzte diese Möglichkeit wiederholt, aber nicht durchgehend. Mal laufen seine schwarzweissen Bilder über zwei gegenüberliegende Seiten oder eben über Vorder- und Rückseite, mal sind verschiedene Bilder so zusammengestellt, dass sie in ihren Grautönen ineinander übergehen. Man muss etwas genauer hinschauen, um zu erkennen, dass es sich um zwei verschiedene Fotos handelt, denn inhaltlich und atmosphärisch gehören sie zusammen.
Merkel fasziniert sichtlich ihr Publikum, wobei Herzau durchaus auch einmal Schildchen mit „Merkel muss weg“ zeigt. Auf manchen Bildern ist Merkels Gesichtsausdruck entspannt, geradezu weich, und sie kann auch sehr warm lächeln. In seinem Begleittext hebt Andreas Herzau hervor, dass sie nie arrogant sei.
Aber die Bilder zeigen auch, dass die Auftritte Merkels immer so etwas wie eine festliche Stimmung erzeugen, auch wenn sie selbst nicht zu der Sorte Politiker gehört, die die Menschen geradezu hypnotisiert. Vielmehr hat sie etwas Nüchtern-Beiläufiges, und vielleicht ist es gerade das, was die Menschen heute am ehesten suchen und brauchen. Andreas Herzau hat mit seinen vielen kleinen Beobachtungen und optischen Miniaturen einen atmosphärisch dichten Bildband geschaffen.
Andreas Herzau: AM. Nimbus 2018, 108 Seiten.