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Kommentar 21

Der Preis der Arroganz

27. August 2019
Stephan Wehowsky
30 Jahre nach der Öffnung der Mauer wird die mentale Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland immer noch beklagt.

Vielleicht wird man eines Tages die unbewältigte Wiedervereinigung Deutschlands als Missverständnis unter Verwandten interpretieren. Verwandte können bekanntlich ganz besonders heftig aneinandergeraten. Das gilt insbesondere dann, wenn beide Seiten sich verkannt fühlen und entsprechend enttäuscht sind.

Das Missverständnis beider Seiten bestand in der Meinung, materieller Wohlstand lasse sich recht einfach durch diverse „Transfers“ übertragen. Und viele glaubten, dass sich mit der Auflösung der DDR die mit ihr verbundene und über Jahrzehnte eingeübte Mentalität ebenso einfach abstreifen liesse wie ein abgewetzter Mantel.

Die Westdeutschen sahen sich durch den Zusammenbruch der ehemaligen DDR derartig bestätigt, dass keinerlei Selbstzweifel ihr Interesse an den „Brüdern und Schwestern“ aus dem ehemals „unfreien Teil Deutschlands“ wecken konnte. Man meinte, alles über sie zu wissen: Sie wollten konsumieren und reisen und wünschten sich eine Politik ganz wie in Westdeutschland. Schliesslich hatten die meisten von ihnen Westfernsehen geschaut.

Viele im Osten, beileibe nicht alle, sahen das ähnlich. Während die Westdeutschen mit grosser Selbstzufriedenheit glaubten, dass die ehemals Ostdeutschen nun alle Umwälzungen schlicht und einfach gut finden müssten, kam es bei denen zur Ernüchterung. Die Westler sahen darin fehlende Flexibilität, wenn nicht gar einen Mangel an Dankbarkeit.

An diesen mentalen Verwerfungen hätte sich für die Deutschen schon damals drastisch zeigen können, dass der westliche Lebensstil bei weitem nicht so selbstverständlich und erstrebenswert ist, wie sie glaubten. Den arroganten Blicken des Westens entgingen Lebensweisen, die jenseits der Konsumkultur entstanden waren. Diese atmosphärischen Besonderheiten erschliessen sich auch heute noch denjenigen, die innezuhalten und zuzuhören vermögen. Das erfordert Einfühlsamkeit. Schon dem flüchtigen westlichen Besucher kann auffallen, dass bis heute der Umgangston im Osten anders als im Westen sein kann: unverstellter, herzlicher.

In diesen Tagen wird nicht nur im Zeichen der Erinnerung an die Maueröffnung, sondern auch in Anbetracht der bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen viel über die mentalen Unterschiede gesprochen. Und sofort redet man über „Infrastruktur“, „Innovationsoffensiven“ und ganz allgemein über Möglichkeiten, die „Attraktivität“ der „neuen Bundesländer“ zu steigern. Es wäre schon viel gewonnen, wenn der Westen bescheidener, stiller und achtsamer würde.

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