Seit Oktober 2015 vertritt Erzbischof Thomas Gullickson als Nuntius den Vatikan in der Schweiz. Er nimmt die Interessen der römischen Kurie weniger gegenüber dem Schweizer Staat als gegenüber der katholischen Kirche in der Schweiz wahr. Nun wird in Chur nächstes Jahr voraussichtlich ein neuer Bischof bestellt. Das wirft Wellen weit über diese Diözese und damit die katholische Kirche der Kantone Graubünden, Glarus, Zürich, Uri, Schwyz sowie Ob- und Nidwalden hinaus.
Denn das Bistum ist gespalten, seitdem mit Wolfgang Haas (1990–97) und Vitus Huonder (seit 2007) zwei Spaltpilze als Bischöfe wirkten. Ideologische Scharfmacherei und Unfriede beherrschen nicht nur das Zusammenleben im Bistum und in den Pfarreien, sie stören auch die Kooperation mit den anderen Bistümern und irritieren Ökumene, Kultur und Öffentlichkeit.
Chancen für dieses Amt haben jedoch nur Anwärter, die durch das Nadelöhr des Nuntius in Bern geschlüpft sind, denn die Dreierliste, aus der die 24 Domherren des Churer Domkapitels den Bischof wählen, stellt der Nuntius zusammen und handelt sie mit dem Vatikan aus. Grund genug, den theologischen Hintergrund von Thomas Gullickson genauer auszuleuchten.
Gullicksons eigenartige Vorliebe
Aufhorchen lässt Gullicksons Behauptung in der NZZ vom 24. Dezember 2015: «Vielleicht haben die Traditionalisten das Zweite Vatikanische Konzil richtig verstanden.» Und ebenso, dass er auf Twitter eine Empfehlung abgibt für die Lektüre des antimodernistischen Standardwerkes «Liberalismus ist Sünde», das der spanische Priester Félix Sardá y Salvany 1884 verfasst hat.
Was macht dieses Buch im Jahr 2016 so lesenswert? Gullickson meint, es «öffne Türen für jene Katholiken, die lieber Christus folgen wollten, als den Zeitgeist zu umarmen». Man muss jedoch weder ein Zeitgeist-Surfer noch ein glühender Anhänger des Liberalismus sein, um skeptisch zu werden. Wer nur schon im Internet nach einer aktuellen Übersetzung dieses Buches Ausschau hält, findet sich in Gesellschaft der Pius-Brüder wieder, die das Buch ihren Gleichgesinnten wärmstens ans Herz legen. Und die Fraktion der Lefebvristen ist gerade Ausweis für Untreue gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Wer das Buch anpreist, trifft eine Wahl.
Kriegerischer Katholizismus
In seiner Einleitung beschwört Félix Sardá y Salvany mit Berufung auf die Kirchengeschichte schon fast in IS-Manier einen kriegerischen Katholizismus im Kampf gegen teuflische Mächte: «So bestimmte die göttliche Vorsehung von Jahrhundert zu Jahrhundert, von Epoche zu Epoche, für jede brennende Frage, welche vom Widersacher Gottes und des Menschengeschlechts rotglühend aus der Höllenschmiede gezogen wurde, einen oder mehrere Männer, deren Worte gleich wuchtigen Hämmern herabfielen auf die verheerenden Irrtümer. Denn auf glühendes Eisen zu hämmern, ist ein vernünftig Hämmern, nicht auf kaltes Eisen, was ja lächerlich wäre» (auf Seite 14 der deutschen Ausgabe von Salzburg 1889).
«Eine von diesen, die Frage der Fragen, die grosse Frage, die glühende Frage, die beim blossen Anrühren nach allen Seiten Funken sprüht, ist eben die Frage des Liberalismus» (14). «Der Verteidiger der katholischen Sache ziehe vom Leder, haue frisch drein, verwunde, richte die Spitze seines Schwertes geradezu gegen das Herz des Gegners: Dies ist die einzig wirkliche und wirksame Kampfesart!» (58).
Nun mag man dem Nuntius zugute halten, dass nicht jeden Satz gutheissen muss, wer ein Buch empfiehlt. Nur stehen diese Sätze leider für das ganze Buch, wie die folgenden kulturkämpferischen Zitate belegen.
- Es «besteht heutzutage in der Welt eine Schule, ein System, eine Sekte, kurz etwas, man nenne es wie man wolle, das Freunde und Feinde unter dem Namen Liberalismus kennen (…) Was ist der Liberalismus? In der Ordnung der Ideen ist er ein Knäuel von falschen Anschauungen; in der Ordnung der Handlungen ist er eine Kette verbrecherischer Handlungen, die praktische Folge jener Ideen» (15f).
- «Liberale Prinzipien sind: die Souveränität oder Unbeschränktheit des Individuums mit vollständiger Unabhängigkeit von Gott und seiner Autorität; (…) nationale Souveränität d. h. das Recht des Volkes, Gesetze zu geben und zu regieren mit unbeschränkter Unabhängigkeit von irgendwelcher Richtschnur, welche nicht die des eigenen Willens wäre; kundgegeben zuerst durch die allgemeine Abstimmung und nachher durch die Kammermehrheit; Denkfreiheit, ohne Schranken irgendwelcher Art in Politik, in Moral oder Religion; Pressefreiheit, ebenso unbedingt, oder wenigstens nicht hinreichend beschränkt; endlich Vereinsfreiheit von demselben Umfange» (16f.).
- «Seine letzte Losung, eine Parole, die alles andeutet und enthält, ist das Wort Säkularisation, d. i. die Nicht-Dazwischenkunft der Religion in was immer für einem Akte des öffentlichen Lebens: der wahre soziale Atheismus, der die letzte Folge des Liberalismus ist» (17).
- «Der Liberalismus ist Sünde, man möge ihn betrachten in der Ordnung der Lehren oder der Handlungen. In der Ordnung der Lehren ist er schwere Sünde gegen den Glauben, weil seine Lehrsätze häretisch [sind] (…) Er leugnet die Notwendigkeit der göttlichen Offenbarung (…) verleugnet den Taufschein, wenn er die Gleichheit aller Kulte behauptet oder voraussetzt, leugnet die Heiligkeit der Ehe, wenn er die Lehre von der sogenannten Zivilehe aufstellt; leugnet die Unfehlbarkeit des römischen Papstes, wenn er sich weigert, dessen authentische Befehle und Lehren als Gesetz anzunehmen» (18).
- «Folglich ist liberal zu sein, mit Ausnahme jener Fälle, in denen die bona fides, die Unwissenheit und Unüberlegtheit eine Entschuldigung bilden, sündhafter als ein Gotteslästerer, ein Betrüger, ein Ehebrecher oder Mörder zu sein» (20).
- «Der Liberalismus ist das Dogma der absoluten Unabhängigkeit der individuellen und sozialen Vernunft; der Katholizismus ist das Dogma der absoluten Unterwerfung der individuellen und sozialen Vernunft unter das Gesetz Gottes. Wie sollte man das Ja und das Nein so entgegengesetzter Lehren vereinbaren?» (22).
Nun ist es dem aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten gebürtigen Thomas Gullickson natürlich unbenommen, seinen Katholizismus so zu interpretieren und die Polemik Felix Sardà y Salvany’s aus dem 19. Jahrhundert im 21. Jahrhundert zum Massstab seines Glaubens zu machen. Prekär wird es, wenn er als Erzbischof diese Auffassung zum Kriterium einer nachkonziliaren katholischen Kirche macht. Völlig unhaltbar ist die Suggestion des Nuntius: «Vielleicht haben die Traditionalisten das Zweite Vatikanische Konzil richtig verstanden.» Da wäre es konsequenter, wie die Lefebvristen das Zweite Vatikanische Konzil abzulehnen. Eine Analyse in drei Gegenüberstellungen belegt diese schwerwiegende Behauptung.
Langer Weg zur Anerkennung der Menschenrechte
«Die berüchtigte Erklärung der Menschenrechte, worin alle Ungereimtheiten des modernen Liberalismus wie im Keime enthalten waren, wurde schon bei ihrem Erscheinen in Frankreich während der ersten Revolution von Pius VI. verurteilt. Als diese traurige Lehre später verbreitet und von fast allen Regierungen Europas angenommen wurde – wohl von den souveränen Fürsten eine der schrecklichsten Blindheiten, welche die Geschichte der Monarchie bietet –, nahm dieselbe Lehre in Spanien den Namen Liberalismus an, unter dem sie heute überall bekannt ist» (27f.).
Mit dieser ziemlich ungeheuerlichen Einstellung zu den Menschenrechten hat die katholische Theologie spätestens im Zweiten Vatikanischen Konzil unmissverständlich aufgeräumt: «Der Schutz und die Förderung der unverletzlichen Menschenrechte gehört wesenhaft zu den Pflichten einer jeden staatlichen Gewalt» (Erklärung über die Religionsfreiheit Nr. 6).
Die Autonomie des Menschen dürfe keinesfalls im Namen der Religion in Frage gestellt werden: «Wenn auch derselbe Gott Schöpfer und Erlöser ist, Herr der Profangeschichte und der Heilsgeschichte, so wird doch in eben dieser göttlichen Ordnung die richtige Autonomie der Schöpfung und besonders des Menschen nicht nur nicht aufgehoben, sondern vielmehr in ihre eigene Würde eingesetzt und in ihr befestigt» (Pastoralkonstitution Nr. 41).
Seit Johannes XXIII. gehört daher die Anerkennung der Menschenrechte zum festen Bestand der katholischen Soziallehre, auch wenn die Umsetzung gerade in der Kirche selbst noch vielerorts auf sich warten lässt.
Der Totalitarismus des Pius IX.
Félix Sardá y Salvany hat freilich einen überragenden Kronzeugen für seine Sicht der Dinge. Es ist Pius IX., ein Reaktionär auf dem Stuhl Petri von 1846 bis 1878. Die «Geissel des Liberalismus» war für ihn «das wahre Unglück der Gegenwart», «verderblicher und gefährlicher als selbst ein erklärter Feind», ein «heimliches Gift», ein «hinterlistiger und heimtückischer Irrtum», eine «höchst verderbliche Pest» (29f). Aus dieser Überzeugung heraus verkündete Pius IX. 1864 seinen «Syllabus», ein Verzeichnis von achtzig verurteilten Irrtümern der Gegenwart.
Die Doktrin des «Syllabus» war Ausdruck des katholischen Integralismus, d.h. einer negativen Sicht der Welt, von der sich die Kirche möglichst abschotten soll. Seine Wurzel hat er wie der Ultramontanismus im Schock über die Französische Revolution und deren aufklärerische Ideen. Jedes Bemühen, aus dieser Getto-Mentalität auszubrechen und den christlichen Glauben mit dem Denken der jeweiligen Zeit zu verbinden, wurde als «Modernismus» diffamiert.
Anti-Modernisten-Eid
Seinen Höhepunkt erreichte der Integralismus unter Pius X., der 1910 von jedem, der in der Kirche Verantwortung trug, den «Anti-Modernisten-Eid» abverlangte (die Vorschrift galt bis 1967). Man versuchte, auch profane Lebensbereiche so weit als möglich der kirchlichen Entscheidungsgewalt zu unterstellen nach dem simplen Prinzip: Das Wort des Papstes ist das Wort der Kirche und dieses das Wort Gottes. Das Wort Gottes aber verlangt «tiefste Unterwerfung» (30). Der Katholizismus war folgerichtig die einzig wahre Religion. Ihrer obersten Autorität hatten sich in Fragen des Glaubens und der Sitten alle, auch Staaten und andere Religionen, unterzuordnen.
Der Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning (1890–1991), nannte dies einen «religiösen Totalitarismus». Kaum nötig hinzuzufügen, dass Pius IX. den Kulturkampf erst recht befeuerte, als er auf dem Ersten Vatikanischen Konzil das Unfehlbarkeitsdogma triumphal durchboxen konnte (1870).
Überwundener Integralismus
Heute kann dieser Integralismus im Prinzip als überwunden gelten, ausser natürlich bei den ewiggestrigen Gefolgsleuten von Erzbischof Lefebvre, die sich nicht umsonst Pius-Brüder nennen. Der Paradigmenwechsel ist im Wesentlichen ein Verdienst des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es hat 1965 in seiner Konstitution über die Kirche in der Welt von heute die neue, menschenfreundliche und weltoffene Haltung der Kirche programmatisch festgeschrieben:
«Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände (…) Darum erfährt diese Gemeinschaft [der Kirche] sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden» (Gaudium et Spes Nr. 1).
Deutliche Wendung des Zweiten Vatikanums
Felix Sardà y Salvany vertritt die These: «Liberalismus ist Emanzipation, Katholizismus ist Zügelung» (76). Sie gilt auch in Fragen der religiösen Freiheit, getreu dem Leitbild des Syllabus, der in seinen letzten Sätzen (die je als «Irrtum» verdammt werden) auf die Verurteilung der Religionsfreiheit zusteuert: «In unserer Zeit ist es nicht mehr denkbar, dass die katholische Religion als einzige Staatsreligion anerkannt und alle anderen Arten der Gottesverehrung ausgeschlossen werden» (Irrtum Nr. 77). «Es ist daher lobenswert, dass gewisse katholische Länder den Einwanderern gesetzlich die öffentliche Ausübung ihres Kultes garantieren» (Irrtum Nr. 78). «Es ist falsch, dass die staatliche Freiheit für jeden Kult und die allen gewährte Befugnis, frei und öffentlich ihre Meinungen und Gedanken kundzugeben, dazu führen, Geist und Sitte der Völker zu verderben und die Seuche des Indifferentismus zu verbreiten» (Irrtum Nr. 79).
Auch diesbezüglich hat sich das Konzil klar zu einer Gegenposition durchgerungen und unmissverständlich zur Religionsfreiheit bekannt – und damit indirekt auch die Behauptung von der Unabänderlichkeit kirchlicher Lehren massgeblich relativiert:
«Das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln. Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet, so wie sie durch das geoffenbarte Wort Gottes und durch die Vernunft selbst erkannt wird» (Erklärung über die Religionsfreiheit Nr. 2).
Umstrittene Kampfschrift
Es ist nicht so, dass die antimodernistische Programmschrift «Der Liberalismus ist Sünde», auf die sich Nuntius Thomas Gullickson so gerne bezieht, erst aufgrund des Zweiten Vatikanischen Konzils in Frage gestellt werden muss. Sie war von Anfang an hart umstritten. Der Kardinal von Madrid hielt sie für inopportun und erteilte die kirchliche Druckerlaubnis nicht. Der Bischof von Tortosa erlaubte nur eine artikelweise Publikation im Diözesanblatt, die er wegen zahlreicher Einsprüche nach der sechsten Folge suspendierte. Der Bischof von Barcelona liess die Veröffentlichung in einer Zeitschrift durchgehen, eine förmliche Druckerlaubnis erteilte er jedoch erst später für den Separatdruck.
Die Reaktion darauf war sehr heftig. Liberale Katholiken wehrten sich dagegen, dass ihre Versöhnungspolitik als «Verrat an der Kirche» diffamiert wurde, und selbst Gegner des Liberalismus verurteilten die schroffe Polemik Sardàs. Celestino de Pazo, Domherr an der Kathedrale von Vich, entschloss sich 1885 zu einer Gegenschrift und bekämpfte unter dem Titel «El Proceso del Integrismo» (Die Entwicklung des Integralismus) die Irrtümer des Monsignore Sardà. Schliesslich wurden jedoch beide Schriften bei der Index-Kongregation in Rom verklagt.
Es kann kaum erstaunen, dass dort Sardà gelobt und Pazo verboten wurde. Daraufhin breitete sich Sardàs Antiliberalismus und Antimodernismus wie eine Dampfwalze über ganz Europa aus, mit Übersetzungen ins Katalanische, Französische, Italienische und Ungarische. Die deutsche Ausgabe von 1889 beginnt mit dem Appell: «Wacht auf ihr Katholiken aus eurer Schlummerruh!»
Erratische Figur als Nuntius in der Schweiz
Thomas Gullickson wird am 13. Januar als Doyen des Diplomatischen Korps beim Neujahrsempfang im Bundeshaus dem Bundesrat die Glückwünsche der ausländischen Missionschefs überbringen. Er ist lange genug Diplomat, um sich nicht wie ein Cowboy aus dem Wilden Westen – was er mal werden wollte – im Stil des Kulturkampfes verlauten zu lassen. Auch wenn er sich stolz «Ultramontanist» nennt, muss er wissen, dass die Eidgenossen seit Jahrhunderten eine grosse Skepsis dagegen entwickelt und ein Religionsrecht geschaffen haben, das liberale Grundsätze auch für Katholikinnen und Katholiken und deren Institutionen längst verbrieft hat.
Sollten jedoch dem Nuntius im anschliessenden Small-Talk Sympathien für seine allseits bekannte Kritik am Liberalismus bekundet werden, etwa von diplomatischen Vertretungen Russlands, Chinas oder Nordkoreas, wird er sich mit lateinischen Zitaten herauszureden wissen. Pikant könnte es werden, wenn die Vertreter Irans oder Saudi-Arabiens, deren Regierungen – auch mit Berufung auf göttliches Recht – die Freiheit ihrer Völker unterdrücken, auf ihn zukämen.
Nicht hinter das Zweite Vatikanum zurück
Spätestens wenn ihm dieser Spiegel des 21. Jahrhunderts hingehalten wird, müssten Thomas Gullickson die Augen aufgehen: Welch verheerende Schäden richten die Ablehnung eines liberalen Freiheitsverständnisses zusammen mit einer fundamentalistischen Berufung auf göttliches Recht heute in der Welt an. Der Liberalismus war schon im überhitzten ideologischen Kampf der damaligen Zeit eine wenig dienliche Chiffre. Wer eine produktive Verständigung und Auseinandersetzung mit der Gegenwart sucht, wird davon Abschied nehmen und mit dem Konzil Ja sagen zu einem demokratischen Staatsverständnis, das mit der Garantie für einen Pluralismus der Meinungen und Ideologien, der Konfessionen und Religionen eine unbedingte Voraussetzung für den Frieden ist.
So oder so scheint es ratsam, dass sich die Angehörigen des Bistums Chur warm anziehen. Zwar können sie den Nuntius beim Wort nehmen, nachdem er dem Tagesanzeiger vom 15. Dezember 2015 bekannte: «Normalerweise schickt der abtretende Bischof Vorschläge an den Nuntius. Der muss sie nach Rom weitergeben, aber auch melden, wenn ein Kandidat, mag er noch so nett sein, von den Priestern nicht anerkannt wird. Der Nuntius muss für Objektivität sorgen.» Das soll er – mit einem kräftigen «Sprung nach vorn», wie Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Konzils es den Traditionalisten ins Stammbuch schrieb.