Die Plaza Vieja mitten in der Altstadt von Havanna ist ein perfektes Mosaik für die Abbildung der aktuellen Realität Kubas. Bis vor wenigen Jahren war es ein trostloser Platz. In der Mitte eine marode Tiefgarage, umgeben von alten Kolonialpalästen in verschiedenen Stadien des Zerfalls. Zwar tapfer bewohnt, aber bröckelnd, grau, deprimierend. Pech gehabt, wer hier vor Jahrzehnten eine Wohnung zugeteilt bekam, mitleidig belächelt von stolzen Besitzern eines Apartments in einem DDR-Plattenbau ausserhalb des Stadtzentrums.
Aus Alt mach Neu
Heute ist die Plaza Vieja ein Bijou. Verkehrsfrei lädt der Platz zum Flanieren ein. Eingerahmt wird er von perfekt und bunt restaurierten Häusern. Neben einer Primarschule lockt eine Luxusboutique mit nur für Touristen bezahlbaren Produkten, ein Museum darf nicht fehlen, in einer Brauerei kann man frisch gezapftes Bier geniessen, und dazwischen sowie darüber wird gewohnt. Oder geschachert und gedealt.
Denn die Sanierung der weiterhin vor sich hinbröckelnden Altstadt wird nicht etwa von einer ineffizienten Staatsbürokratie vorangetrieben, sondern vom machtvollen Büro des Stadthistorikers. Dessen Leiter Eusebio Leal, anders geht das in Kuba nicht, erfreut sich seit Jahren des Wohlwollens vom Comandante en Jefe Fidel Castro. Der ist zwar seit 2006 in den Hintergrund verschwunden, aber trotz seiner 87 Jahre geistig noch topfit und machtvoll. Was er gut findet, braucht keine Widerstände zu befürchten. Also renoviert und werkelt Leal mithilfe der UNESCO, ausländischen Investoren und unterstützt von allen Ressourcen, die gut ausgebildete Architekten und Handwerker bieten können, vor sich hin. Damit ist aber auch in Alt-Havanna endgültig eine Zweiklassengesellschaft ausgebrochen.
Pech oder Glück
Entweder besitzt der Kubaner weiterhin eine zerfallende Wohnung mit eingezogener Zwischendecke, abenteuerlich abgestützt durch Holzbalken und ständig in Gefahr, nach einem stärkeren Regenguss zusammenzufallen. Denn die unausweichlich folgende Einstrahlung der tropischen Sonne lässt die Feuchtigkeit in den porösen Wänden verdampfen, und bum.
Oder er erfreut sich einer liebevoll und perfekt restaurierten Bleibe. Was – wozu herrscht immer noch Sozialismus auf Kuba – für ihn kostenfrei sozusagen als Staatsgeschenk offeriert wird. Das steigert nicht nur die Wohnqualität ungemein. Denn dank der wohl bahnbrechendsten Reform Raúl Castros ist der Wohnungsmarkt nach 50 Jahren liberalisiert worden. Vorher durften Kubaner ihr Wohneigentum offiziell nur tauschen, während unter dem Tisch natürlich grössere Summen den Besitzer wechselten. Aber immer mit dem Risiko, dabei erwischt zu werden, und dann war die Wohnung weg. Jetzt herrscht aber unregulierte freie Marktwirtschaft. Wohnungseigentum darf nach Angebot und Nachfrage verkauft werden.
Der Staat erhebt nur eine bescheidene Steuer auf den Verkaufspreis, der nach Belieben festgelegt werden kann. Also kostet beispielsweise eine hübsch renovierte 3-Zimmer-Wohnung an der Plaza Vieja, die vor Jahrzehnten als Bruchbude für vielleicht 2’000 kubanische Pesos (umgerechnet 80 Franken) erworben und zinsfrei über Jahrzehnte abgestottert wurde, inzwischen locker 150’000 und mehr. Dollar, wohlverstanden.
Bonanza und Boom
So viel Geld hat natürlich kein Kubaner auf der hohen Kante. Aber die liebe Verwandtschaft im Ausland. Deren Überweisungen nach Kuba haben sich im letzten Jahr auf über 2,5 Milliarden Dollar fast verdreifacht. Allerdings dürfen nur in Kuba wohnhafte Insulaner Immobilien erwerben.
Das führt einerseits dazu, dass Wohnungsbesitzer, denen die neuen Marktpreise nicht so wirklich bekannt sind, sich für ein Butterbrot ihr Eigentum abluchsen lassen, das schon am nächsten Tag für das Hundertfache weiterverkauft wird. Andererseits spielen sich Familientragödien ab, wenn sich Pedro in Havanna nach erfolgtem Grundbucheintrag auf seinen Namen plötzlich nicht mehr daran erinnern mag, dass sein Bruder Antonio in Miami das dafür nötige Kleingeld überwiesen hatte.
Der Händedruck
Während die kubanische Regierung, nicht nur im Wohnungsmarkt, ein neues Füllhorn von Merkwürdigkeiten über ihre Bevölkerung ausschüttet, machte der Handshake zwischen Obama und Raúl Castro am Rande der Beerdigungszeremonie für Mandela auch in Schweizer Medien grosse Schlagzeilen. In Kuba nicht, er wurde der Bevölkerung von den Staatsmedien vorenthalten.
Dafür herrschte Staatstrauer, der selbst die grandiose Show des Tropicana zum Opfer fiel. Aber auch da ist weder Anlass für Bedauern noch für grossen Optimismus. Das Tropicana ist inzwischen wieder in Betrieb, und am Verhältnis USA-Kuba wird sich in nächster Zeit nichts ändern. Denn beide Seiten sind an einer Aufrechterhaltung des Status quo lebhaft interessiert. Die USA wollen das herrschende System nicht destabilisieren, da bei dessen Zusammenbruch innert kürze Hunderttausende aufenthaltsberechtigte Kubaner in Florida aufschlagen würden. Und dem Regime käme die geniale Entschuldigung für alle eigenen Fehler abhanden, die es dem absurden Handelsembargo der USA in die Schuhe schieben kann.
Also ändert sich weiterhin vieles in Kuba, damit alles so bleibt, wie es ist. Schräg, bunt, merkwürdig, geheimnisvoll und faszinierend. Und das ist ja auch gut so.