Die Malereien von Georgia O’Keeffe (1887–1986) sind ein Inbegriff der amerikanische Kunst ihrer Zeit. Die Fondation Beyeler in Riehen widmet ihrem zwischen Abstraktion und Abbild pendelnden Werk eine umfassende Ausstellung.
Seltsam: Die Malereien, vor allem die Blumenbilder von Georgia O’Keeffe sind populär wie kaum Kunstwerke des 20. Jahrhunderts. Wir finden sie als Poster in Museums-Shops in aller Welt, als Postkarten, als Zimmerschmuck in Hotels oder privaten Schlafzimmern. Reproduktionen von O’Keeffes Bildern sind beinahe allgegenwärtig. Doch in Europa ist den Originalen kaum zu begegnen. Es gibt sie in zwei oder drei Museen in Madrid, München oder Paris. In der Schweiz ist die Amerikanerin in zwei Privatsammlungen vertreten, nicht aber in Museen. Auch Einzelausstellungen gab es in Europa nur wenige. 2004 betreute Bice Curiger im Kunsthaus Zürich eine schöne Werkübersicht. Sie darf als Pioniertat gelten. Nun kuratierte Theodora Vischer in der Fondation Beyeler in Riehen wieder eine viele Aspekte des Schaffens von O’Keeffe umfassende Ausstellung. Sie versammelt Werke von den um 1915 entstandenen Kohlezeichnungen, die der Fotograf und Galerist und spätere Ehemann Alfred Stieglitz in seiner der Avantgarde verpflichteten New Yorker Galerie präsentierte, bis zu Werken der über 80-jährigen Künstlerin, deren schwindende Sehkraft ihr das Malen kaum mehr gestattete.
Freud’sche Symbolik
Nach sieben Jahrzehnten künstlerischer Arbeit wurde Georgia O’Keeffe gefragt, als was sie in Erinnerung bleiben möchte. Ihre Antwort: «Als Malerin, einfach nur als Malerin». Diese Antwort ist schlicht, aber sie ist so komplex wie ihre Kunst, die auf ganz unterschiedliche Weise rezipiert wurde.
Katharina Fritsch liess 2003 in einer Umfrage, was sie von O’Keeffe halte, verlauten: «Es macht mich stolz, dass eine Frau die Pop-Art erfunden hat.» Tatsächlich muten manche Werke O’Keeffes wegen ihrer teils plakativen Bildsprache wie eine Vorwegnahme der Pop-Art an. Viele riefen Interpreten auf den Plan, die sich an Sigmund Freud orientierten: Sie sahen in den üppigen Blumen mit ihren Blütenkelchen und Stempeln, aber auch in manchen Landschaften vor allem Hinweise auf Genitalien und auf Erotik.
Der Fotograf Alfred Stieglitz, der seine Frau in ganzen Serien von Aktaufnahmen festhielt, sah in ihren Bildern weibliche Ästhetik und sie selber als Künstlerin des «Emotionalen» im Gegensatz zur «rationalen» Kunst mancher Männer ihrer Zeit – zum Beispiel von Charles Demuth, Charles Sheeler oder Gerald Murphy. Er schilderte sie «als das grosse Kind, das wieder etwas von seinem weiblichen Ich aufs Papier fliessen lässt – rein – wahrhaftig – unverdorben.» «Die Festschreibung wird von Freunden und Kritikern in expliziten Kommentaren aufgegriffen und beherrscht bis heute das Bild von ihr», schrieb Peter J. Schneemann im Katalog zur Zürcher Ausstellung 2003.
O’Keeffe selber wandte sich gegen die Reduktion ihrer künstlerischen Arbeit auf Erotik oder auf die «Naivität» weiblicher Emotionen. Natürlich sind erotische Konnotationen in vielen ihrer Werke offensichtlich, doch zur Hauptsache wird dieses Thema wohl erst durch den männlichen Blick.
Georgia O’Keeffe sah ihr Schaffen auch nicht im Kontext des Feminismus der 1970er Jahre, obwohl Judy Chicago ihr in der «Dinner Party» (1979) einen prominenten Platz zuwies, und sie beteiligte sich auch nicht an Projekten feministischer Kunst. 1942 schlug sie gar eine Ausstellungsbeteiligung bei Peggy Guggenheim aus: Sie sei keine «wo man Artist».
«Einfach nur Malerin»
Sie wollte «einfach nur als Malerin» in Erinnerung bleiben. Das Dictum lenkt unseren Blick auf das Malerische, das O’Keeffe mit sehr viel Überzeugung und Selbstbewusstsein vertritt – gerade als Frau im männlich geprägten Umfeld der damaligen Kunstwelt im allgemeinen und auch der sich um Stieglitz und seine berühmte Galerie scharenden Künstler (z. B. John Marin, Paul Strand, Marsen Harley, Edward Steichen).
Mit ihrer Malweise, welche die klar begrenzte Fläche und ebenso klare Linienführungen betont, aber trotzdem einen persönlichen Pinselduktus erkennen lässt, bewegt sich Georgia O’Keeffe hart an der Grenze zwischen Abbild und Abstraktion.
Ausgangspunkt ist dabei, mit Ausnahme der Stadtbilder, auf denen Wolkenkratzer steil in die Höhe ragen, das Erleben der Natur, das für sie und ihre Kunst entscheidend war: Sie lebte teils in New York, während der Sommer aber am Lake George, und ab 1930 wurden ihr Landschaft und Kultur New Mexicos immer wichtiger. 1949 liess sie sich hier nieder, und hier starb sie 1986 im Alter von 99 Jahren.
Das Erleben der Natur und sein Niederschlag im Werk O’Keeffes: In quellenden Formen und intensiven Farbklängen zeigt sie Blumen, Landschaften, Wolken, Licht, fragt dabei nach Grundstrukturen und sucht nach Steigerung und Akzentuierung. Dem Fluss der Linien nachzuspüren und zu verfolgen, wie sie sich gegenseitig annähern oder zu Durchblicken auf tiefere Räume ausweiten, wird zum reinen Sehvergnügen. Das schärft entscheidend unsere optische Wahrnehmung – ein wichtiger Aspekt im Schaffen O’Keeffes. Oft ist der Bildanlass – eine Blume, ein Berg, ein Wasserfall, ein See – deutlich zu identifizieren.
Oft nehmen aber Formen und Farben ein so ausgeprägtes Eigenleben an, dass der Realitätsbezug kaum mehr nachzuvollziehen ist. Beispiele dafür sind «Im Patio» von 1950 oder «Winter Road» von 1963: O’Keeffe legt eine braungraue, sich nach unten verbreiternde Linie in elegantem Schwung über die weisse Bildfläche. Gerade in diesen Werken von radikal reduzierter Bildsprache öffnen sich im Befragen der Orientierung im Raum existenzielle Dimensionen. Das geschieht, wie im ganzen Werk O’Keeffes, ohne Hinweis auf die Präsenz der menschlichen Figur.
Nähe und Grösse
Eine Eigenheit der Malerin O’Keeffe besteht darin, dass sie die grösstmögliche Nähe zu ihrem Bildgegenstand sucht, dass sie zum Beispiel einen im Grossformat gezeigten Blütenkelch so öffnet, dass wir als Betrachterin und Betrachter gleichsam in die Tiefe hineingezogen werden. Diese Perspektive eines Schmetterlings oder einer Biene führt zu einer überraschenden Erlebnistiefe. «Man nimmt sich selten die Zeit, eine Blume wirklich zu sehen. Ich habe sie gross genug gemalt, damit andere sehen, was ich sehe», sagt die Künstlerin, und – so macht sie die Intention ihrer Arbeit deutlich: «Wenn ich die Blume genau so malen würde, wie ich sie sehe, würde niemand sehen, was ich sehe, weil sie so klein gemalt wäre, wie die Blume ist. So sagte ich zu mir selbst – ich male, was ich sehe – was die Blume für mich ist, aber ich male sie gross, und sie werden überrascht sein, wie lange sie sie betrachten werden – ich werde sogar geschäftige New Yorker stets dazu bringen, sich Zeit zu nehmen, um das zu betrachten, was ich an den Blumen sehe.»
Begegnung mit grosser Kunst
Die Fondation Beyeler ist nicht auf Entdeckungen aus. Das Beschreiten von Neuland setzt sie nicht auf ihre Prioritätenliste. Sie zeigt fast immer Bewährtes, das längst Züge des Klassischen angenommen hat. So ist ihr der Zuspruch eines grossen Publikums sicher. Allerdings ist das Beyeler-Team dank bester internationaler Vernetzung immer wieder – und so auch jetzt mit Georgia O’Keeffe – in der Lage, dieses Bewährte kompetent und neu zu erschliessen. Das ermöglicht einem breiten Publikum, das dieses Bewährte vielleicht noch gar nie im Originalen sehen konnte, die Begegnung mit grosser Kunst. Das gilt gerade für O’Keeffe, deren Werke sich fast ausschliesslich und verstreut in amerikanischen Museen und Stiftungen befinden. Sie werden nun in den Räumen in schöner Abfolge ins beste Licht gerückt.
Die Ausstellung wurde gemeinsam mit dem Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, und dem Centre Pompidou, Paris, in Partnerschaft mit dem Georgia O’Keeffe Museum in Santa Fe organisiert. Grosses Programm an begleitenden Aktivitäten.
Fondation Beyeler, Riehen. Bis 22. Mai