Der von vielen befürchtete politische Gau ist zumindest ausgeblieben. Sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen konnten bei den Landtagswahlen am Sonntag die bisherigen Führungsparteien SPD (Potsdam) als auch CDU (Dresden) ihre Spitzenpositionen behaupten. Aber sie trugen tiefe Blessuren davon. In beiden Ländern kehrten ihnen die Wähler in Scharen den Rücken. Und auch wenn der vielfach ins Extremistische ausufernden AfD der letzte Triumph (nämlich stärkste Kraft zu werden) versagt blieb, so beisst doch keine Maus einen Faden davon ab, dass sich die Rechtspopulisten zu Recht als die grossen Sieger sahen.
Debakel für die Linken
Wo Sieger sind, da gibt es natürlich auch Verlierer. Logisch, im Fokus stehen dabei die beiden einstigen Volksparteien CDU und SPD. Beide haben seit der Wiedervereinigung 1990 die neuen Bundesländer Brandenburg (SPD) und Sachsen (CDU) geprägt. Zeitweise sogar mit jeweils absoluter Mehrheit. Aber die zweitstärkste Kraft stellten zumeist die aus der einstigen DDR-Herrschaftspartei hervorgegangenen und inzwischen mehrfach umgetauften Linken. Sie bekamen zwar im Westen praktisch nie einen Fuss auf den Boden. Dafür wuchsen sie im Osten zu einer durchaus politischen Macht heran, weil sie sich als „Kümmerer“ um jene Menschen etablierten, die sich vom rasanten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel abgehängt fühlten.
Und nun plötzlich das! 8,6 Prozentpunkte verlor die Linke in Sachsen, 7,9 Punkte waren es in Brandenburg. Wer am Wahlabend die Gesichter der führenden Links-Politiker beobachtete, konnte miterleben, dass die Bekanntgabe der Ergebnisse wie eine Bombe einschlug. Begriffe wie „Debakel“ und „Katastrophe“ machten vor Reporter-Mikrofonen nicht Halt. Es würde daher einem Wunder gleichen, wenn hier nicht in absehbarer Zeit das Personal-Karussell eine Schwindel erregende Geschwindigkeit aufnähme. Spätestens jedenfalls, wenn die am 27. Oktober anstehende Landtagswahl in Thüringen den Abwärtstrend nicht wenigstens stoppen sollte.
AfD, die neue „Ostpartei“?
Kein Frage, der Aufschwung der „Alternative für Deutschland“ hat schon etwas Sensationelles. Innerhalb von nur sechs Jahren wandelte sie die ursprünglich ja von Wirtschafts-Professoren als „Bewegung“ gegen „Brüsseler Hegemonien“ und den „Euro“ gegründete Vereinigung nicht nur in eine (zumindest aktuell) starke politische Kraft. Sie veränderte zudem ihre Ausrichtung hin zu einer strammen nationalistischen bis extremistischen Organisation. Und es gibt nicht wenige (zumeist ehemalige) Mitglieder, die vorhersagen, dass in nicht allzu langer Zeit die jetzige Führungsriege um Alexander Gauland und Jörg Meuthen von Vertretern des vom thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke angeführten rechtsextremen „Flügels“ weggespült werde.
Ist, nach dem Absturz der „Linken“, die AfD mithin zur „neuen Ostpartei“ geworden? Tatsächlich ist es der „Alternative“ gelungen, sich zwischen Elbe und Oder an die Spitze der Unzufriedenen zu setzen. Aber im Westen fehlt es ihr ebenfalls nicht an Zulauf. Die entscheidende Frage ist daher, ob die gegenwärtige Attraktivität auf viele Wähler anhält, oder ob es sich (wie bei NPD oder Republikanern) mehr oder weniger um ein politisches Strohfeuer handelt? Gegen diese Vermutung spricht freilich besonders eines: Anders als früher, etwa bei der NPD, bewegt sich die AfD heute in einem grossen, internationalen Kreis praktisch Gleichgesinnter. Es handelt sich also nicht mehr nur um eine Art unangenehmes deutsches Phänomen, sondern man findet ähnlich gestrickte Anti-Europäer und Nationalisten bis hin zu Rassisten genauso in Frankreich, Italien, Polen, den Niederlanden und vielerorts mehr.
Polarisierung
Aus dem Physikunterricht kennt man noch die Formel „Aktion ist gleich Reaktion“. Dasselbe gilt auch für die Politik. Mit anderen Worten, Wahlergebnisse sind in der Regel die Folgen von klugem Handeln oder Fehlern beziehungsweise von Nichtstun. Manchmal, allerdings, bleiben auch Fragen. Was, zum Beispiel, bedeuten die Wählervoten vom Sonntag? Sind CDU in Sachsen und SPD in Brandenburg nochmal mit jeweils einem blauen Auge davon gekommen? Oder sind sie, dann allerdings im Verein mit der AfD, sämtlich erfolgreich gescheitert?
Das ist keineswegs bloss ein Wortspiel, sondern spiegelt – ironisch verpackt – die Wirklichkeit wider. Christ- wie Sozialdemokraten haben, im Vergleich zu 2014, erhebliche Verluste erlitten. Aber sie können, kluge Koalitionsverhandlungen vorausgesetzt, sowohl in Dresden als auch in Potsdam weiter regieren. Die „Alternative“, wiederum, hat gewaltig gewonnen, muss aber aussen vor bleiben, weil niemand mit ihr zusammengehen will. Es kommt nicht häufig vor, dass man in Parteizentralen über Niederlagen erleichtert ist. In Berlin, im Willy-Brandt- und im Konrad-Adenauer-Haus, war solches am Sonntag deutlich zu verspüren. Indessen, was folgt daraus? Dass in den beiden Bundesländern die AfD als stärkste Kraft doch noch verhindert werden konnte, war praktisch allein den beiden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (Brandenburg) und Michael Kretschmer (Sachsen) zu verdanken, die bis zur totalen Erschöpfung unterwegs waren. Ihr polarisierendes „Ich oder die Rechtsextremen“ hat vermutlich noch Bewegung bis ins Lager der Nichtwähler oder Unentschlossenen gebracht.
Spannungen bi den Grünen
Fazit: Führung zahlt sich aus. Die Richtung vorgeben. Vertrauen aufbauen. Diese Tugenden werden von nun an noch vermehrt gebraucht werden. Denn im deutschen Parteiengefüge ist nichts mehr so, wie es lange Zeit einmal war. Wahlergebnisse von 40 und sogar mehr Prozent sind Vergangenheit. Spätestens mit der Festigung der Grünen im öffentlichen Bewusstsein begann das Auseinanderbröseln der Volksparteien mit ihren weit gespannten Flügeln von links bis rechts. Aber gerade die Grünen stehen nach diesen Wahlen vor Spannungen, die vielleicht bis zu Zerreissproben führen könnten. Denn ohne ihre Bereitschaft (vielleicht auch Fähigkeit), sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg Koalitionen einzugehen, werden dort keine Regierungen zustande kommen können. In Potsdam, unter SPD-Führung, mit den Linken. In Dresden, mit der CDU vorn, im Verbund mit der SPD.
Selbstverständlich geht es bei Regionalwahlen in erster Linie um regionale Belange. Sollte es wenigstens. Tatsächlich aber strahlen die dortigen Ergebnisse auch immer auf den Bund ab. Und das ganz besonders im Moment. Denn in Berlin hangelt sich die bei den vorigen Bundestagswahlen klein gewordene „Grosse Koalition“ praktisch von Anfang an nur mühsam durch. Politische Erfolge (und davon gäbe es wirklich etliche) werden fast immer überdeckt von Berichten über neue Querelen und Gerüchten von angeblichem Koalitionsbruch.
Wo sind die Führungsfiguren?
Nach dem Ausgang der beiden Landtagswahlen sollte nun eigentlich einiger Druck aus dem Berliner Koalitionskessel gewichen sein. Was hülfe es schliesslich den auf Koalitions-Kündigung pochenden SPD-Linken, jetzt die Scheidung von der CDU vorzunehmen. In einer Phase, in der die verzweifelt nach Führung suchende Partei praktisch steuerlos durch das politische Geschehen treibt? Im Dezember sollen die Delegierten eines Sonderparteitags unter Bewerbern für den Vorsitz auswählen, von denen keiner und keine wirklichen Führungswillen zeigt. Bei der CDU wiederum hat die „Zeit nach Merkel“ längst begonnen – mit deren Ankündigung, 2021 nicht noch einmal anzutreten. Doch die Nachfolgefrage ist ebenfalls offen, zumal die Parteivorsitzende, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, nach etlichen Pannen keineswegs unumstritten ist.
Von allen relevanten Parteien haben, man mg es glauben oder nicht, die Grünen im Moment die geringsten Schwierigkeiten, sich auch personell gut zu präsentieren. Denn – Parteiprogramm hin, Politparolen her – am Ende wird in erster Linie nach Personen gewählt. Unabhängig davon, dass die einstige Sonnenblumen-Partei aktuell mit dem Klimathema im Mainstream schwimmt – sie hat mit ihrem Spitzenduo Robert Habeck und Annalena Baerbock auch überzeugende Persönlichkeiten. Jetzt freilich müssen sie erst einmal ihr Gesellenstück abliefern und die Partei mit Augenmass in Landeskoalitionen mit zum Teil herzlich ungeliebten Partnern führen.