
Demokratien weltweit stehen unter Druck. Immer mehr Menschen sehnen sich nach einem starken Mann, der alle ihre Probleme lösen wird. Die Amerikaner haben wohl deshalb 2024 Donald Trump als ihren neuen Präsidenten gewählt. In europäischen Demokratien setzen Rechtspopulisten (Männer und Frauen) die Regierenden unter Druck. Ein epochaler Bruch zeichnet sich ab.
Yuval Noah Harari, Historiker, ab 2011 mit seinem Buch Eine kurze Geschichte der Menschheit¹ berühmt geworden, hielt im November 2024 an der Galanacht der Non-Profit-Organisation Initiative Schweiz in Bern eine vielbeachtete Rede. Darin bezeichnete er die Wahl Trumps ins Weisse Haus als «epochalen Bruch» (Tages-Anzeiger). Gleichzeitig riet er dem Publikum, in dieser chaotischen Zeit die Zuversicht nicht zu verlieren.
Toxische Kombination: Trump und Musk
Als Historiker warnte Harari vor den Folgen der Allianz Trump/Musk, gleichzeitig warnte er Europa (und die Schweiz!) davor, mental in einer vergangenen Epoche zu verharren. Für ihn ist die zweite Wahl Trumps Anzeichen einer völlig neuen historischen Ära. Die erste Wahl 2016 bezeichnet er als das Ende der liberalen Weltordnung nach dem kalten Krieg. Jetzt sähen wir das Ende dieser Übergangsphase. Harari stellt die Frage, ob wir uns zukünftig nicht mehr auf alte Regeln verlassen können, auf Staatsgrenzen, auf internationale Abkommen. Was zähle, sei die nackte Macht.
Wenn das stimmt, dann werden es internationale Abkommen in Zukunft noch schwerer haben, Klimaabkommen als Beispiel, aber auch die Regulierung der künstlichen Intelligenz (KI). Und die NATO als Bündnis ist plötzlich abhängig von den Launen einer unberechenbaren Person.
Kandidaten der Wut
Ob Harari recht behält mit seinen düsteren Prognosen, wird sich zeigen, hoffentlich nicht. Er gesteht auch ein, dass «in der neuen Ära alles schwer vorauszusagen ist». Persönlich sehe ich nicht so schwarz, denn – schon einmal, im letzten Jahrhundert, 1945 dominierten, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, die düsteren Prognosen, doch es kam dann alles ganz anders.
Wenn zurzeit die Kandidaten der Wut weltweit dominieren, dann wohl deshalb, weil die Erzählungen, nach denen sich die Menschen richten, nicht mit der Realität verbunden sein müssen, wie Harari sagt. Wenn dem so ist, dann wünschen wir uns wieder politische Persönlichkeiten, die starke, konstruktive, zukunftsgerichtete Geschichten zu erzählen wissen.
Das grösste Problem
Letztes Jahr habe ich geschrieben, dass sich die Einwanderung auch in Europa und der Schweiz (nicht nur in den USA) zum abstimmungsdominanten Thema entwickle. Dies wurde mir in einigen Kommentaren übelgenommen. Doch da wurde ich falsch verstanden. Ich stelle damit nur fest, was längst bewiesen ist. Parteien, die dieses Thema bearbeiten, sind im Vormarsch. Das ist eine Tatsache, die bei den nachträglichen Abstimmungsanalysen immer deutlicher festzustellen ist.
Das Projekt Europa
Harari kritisiert den Verlauf der europäischen Politik vehement. «Wenn die Europäer weiterhin miteinander über das EU-Projekt streiten und sich in Nebensächlichkeiten verlieren», dann sehe er schwarz für Europa – noch immer eine der drei grossen Mächte dieser Welt.
«Wir wollen unabhängig sein!», riefen damals die Brexit-Befürworter. Und heute? Jene Menschen in Grossbritannien, die lautstark für Unabhängigkeit plädierten, mussten inzwischen einsehen, dass ihre Kritik am europäischen Projekt dazu geführt hat, dass sie nicht unabhängig sind. Wenn Harari von Europäern spricht, meint er damit explizit auch Schweizerinnen und Schweizer. Auch hier gibt es sie, die nicht müde werden, von unserer «Unabhängigkeit» ausserhalb eines Rahmenabkommens zu schwafeln.
Künstliche Intelligenz (KI)
Schliesslich kommt Harari auf das Phänomen künstliche Intelligenz (KI), die er als die wichtigste Erfindung der Menschheit taxiert, zu sprechen. «KI ist die erste Technologie, die kein Werkzeug ist, sondern ein eigenständig handelnder Akteur.» Er meint damit, dass KI selbst Entscheidungen treffen, selbst neue Ideen entwickeln kann, und dabei steht sie erst am Anfang ihrer Entwicklung.
Epochaler Neubeginn?
«Stehen wir an der Schwelle zu einem epochalen Neubeginn der Menschheitsgeschichte wie letztmals vor 2500 Jahren im antiken Griechenland? Treiben uns Globalisierung und Internet in eine radikal veränderte Wirklichkeit?»²
Diese Sätze stehen einleitend in meinem 2011 im Europäischen Hochschulverlag, D-Bremen, publizierten Buch, in dem es heisst: «Einst ahnten die Menschen, dann glaubten sie. Heute wissen wir vieles – können wir morgen verstehen?» Auch 14 Jahre später stehen wir vor der gleichen Herausforderung. «Entsteht vor unseren Augen eine neue Wirklichkeit? Das Buch signalisiert eine Phase der gewaltigen Umwälzungen, die sich über Jahre manifestiert. Die Welt ordnet sich neu», schrieb ich damals.
Verstehen wir, dass wir auf dem Sprung zum Neuen, zu einem epochalen Neubeginn sind? «Vielleicht spricht die allgemeine Verunsicherung dafür, denn die Tiefe des Abgrundes sieht erst, wer springt!»³
¹ Harari, Yuval Noah: «Eine kurze Geschichte der Menschheit», 2011
² Zollinger, Christoph: «Epochaler Neubeginn – Update nach 2500 Jahren», 2011
³ Hesse, Hermann: «Der Steppenwolf», 1927